BFH Beschluss v. - IX S 17/21

Anhörungsrüge - Verletzung des rechtlichen Gehörs

Leitsatz

1. NV: Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.

2. NV: Die Rüge der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist im Rahmen einer Anhörungsrüge nach § 133a FGO nicht statthaft.

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2; FGO § 133a; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2; GG Art. 103 Abs. 1;

Gründe

1 Die von der Klägerin, Revisionsklägerin und Rügeführerin (Klägerin) erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Sätze 2 und 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

2 1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. , Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom  - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47, Rz 2; vom  - IX S 18/19, BFH/NV 2020, 25, Rz 2).

3 2. Das ist vorliegend nicht der Fall. Der erkennende Senat hat den Vortrag der Klägerin aus ihrer Revisionsbegründung ersichtlich zur Kenntnis und dazu in der angefochtenen Entscheidung auch Stellung genommen.

4 a) Mit der Anhörungsrüge macht die Klägerin geltend, der Bundesfinanzhof (BFH) habe seiner Entscheidung eine unzutreffende Annahme zur Dauer der Markttätigkeit der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland zugrunde gelegt. Zudem sei die Anzahl der Kunden mit hohen Wetteinsätzen („High Roller“) nicht entsprechend ihrem Vortrag und den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zugrunde gelegt worden. Es sei zu Unrecht unterstellt worden, dass die „High Roller“ besonders für Suchtgefahren und damit verbundene Begleiterscheinungen anfällig seien. Unzutreffend sei von einer fehlenden Erdrosselungswirkung der Sportwettenbesteuerung sowie fehlenden Anpassungsmöglichkeiten des Wettbörsengeschäftsmodells ausgegangen worden. Der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sei unvollständig und unzutreffend geprüft worden. Es sei ausschließlich auf Betreiber einer Wettbörse, nicht aber auch auf andere Anbieter von Sportwetten abgestellt worden. Zudem sei nicht erkennbar gewesen, dass die Frage einer Doppelbelastung mit ausländischen Sportwettenabgaben eine Rolle spiele. Das Vorliegen eines strukturellen Vollzugsdefizits sei unvollständig und unzutreffend geprüft worden. Es seien lediglich Wettbörsen als Steuerpflichtige, nicht aber sämtliche der Sportwettenbesteuerung unterfallende Anbieter betrachtet worden. Der Quotenwettbewerb im Sportwettenmarkt werde nicht beachtet. Ohne tatsächliche Grundlage sei die Auffassung vertreten worden, der Markt für Sportwetten sei reguliert und auf wenige Anbieter beschränkt, so dass Gewinne relativ risikolos erzielt werden könnten. Der BFH habe weiter zu Unrecht angenommen, im Wortprotokoll der 82. Sitzung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom (Protokoll Nr. 17/82) sei die Einbeziehung von Wettbörsen in den Veranstalterbegriff des Rennwett- und Lotteriegesetzes Gegenstand gewesen. Der BFH gehe zudem nicht auf die von ihr skizzierten alternativen Besteuerungsvarianten für ihr Geschäftsmodell ein. Schließlich seien ihr rechtliches Gehör und das Recht auf den gesetzlichen Richter dadurch verletzt worden, dass eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) noch nicht einmal erwogen worden sei. Mit Blick auf eine mittelbare Diskriminierung durch die Sportwettenbesteuerung und die Richtlinie 98/34 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— L 204 vom , S. 37), geändert durch die Richtlinie 98/48 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABlEG L 217 vom , S. 18) und die Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom (Amtsblatt der Europäischen Union L 363 vom , S. 81) hätte eine Vorlage an den EuGH erwogen werden müssen.

5 b) Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich keine Gehörsverletzung. Das Vorbringen ist im Revisionsverfahren vom Senat vollständig gewürdigt und sämtliche Gesichtspunkte des klägerischen Vortrags sind in der Entscheidung berücksichtigt worden.

6 Zunächst verkennt die Klägerin, dass der BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO an die Tatsachenfeststellungen des FG gebunden ist. Soweit die Klägerin daher in Bezug auf die Dauer ihrer Markttätigkeit im Inland abweichende Tatsachen vorbringt, können diese im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die Frage, ob Anpassungsmöglichkeiten hinsichtlich des von der Klägerin praktizierten Geschäftsmodells bestehen. In der fehlenden Berücksichtigung ihres Vorbringens liegt daher keine Gehörsverletzung.

7 Soweit die Klägerin vorbringt, der Senat habe in seinem Urteil die Anzahl der „High Roller“ unzutreffend mit „weniger als 1 % der Nutzer“ zugrunde gelegt und damit ihr rechtliches Gehör verletzt, liegt eine Gehörsverletzung nicht vor. Den Feststellungen des FG lässt sich nur ein ungefährer Wert entnehmen („Ca. 1 bis 2 % der Kunden“). Zudem führt die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung vom unter Rz 98 aus, dass „ca. 1% der Spieler für ca. 64% der Wetteinsätze verantwortlich“ waren und zu den „High Rollern“ die „Top 1 % Kunden“ gehörten.

8 Das Vorbringen der Klägerin, es sei fehlerhaft zugrunde gelegt worden, dass im Wortprotokoll der 82. Sitzung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom (Protokoll Nr. 17/82) auch die Behandlung von Wettbörsen angesprochen worden sei, legt keine Gehörsverletzung dar. Die rechtliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Eilers vom , die Gegenstand der Diskussion im Finanzausschuss war, war dem Protokoll der Sitzung als Anlage beigefügt.

9 Mit ihrem Vorbringen, der BFH habe unzutreffend eine fehlende Erdrosselungswirkung der Sportwettenbesteuerung angenommen, wendet sich die Klägerin gegen die rechtliche Würdigung und damit die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des erkennenden Senats über die Revision. Gleiches gilt für die von ihr aufgeworfene Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, die unzutreffende Gewichtung der Suchtgefährdung von Spielern, die Frage der Annahme eines strukturellen Vollzugsdefizits, die Konkurrenzsituation oder das Vorhandensein alternativer Besteuerungsmodelle für Sportwetten und Wettbörsen. Damit wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den BFH indes nicht dargelegt.

10 Soweit die Klägerin schließlich die fehlende Erwägung einer Vorlage an den EuGH anspricht, liegt darin allenfalls eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Rüge der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist im Rahmen einer Anhörungsrüge nach § 133a FGO aber nicht statthaft (vgl. , BFH/NV 2017, 49, Rz 5). Im Übrigen sind die europarechtlichen Einwände der Klägerin sämtlich in der Entscheidung berücksichtigt und damit in die Entscheidungsüberlegungen einbezogen worden.

11 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133a Abs. 4 Satz 4 FGO).

12 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge wird eine Gebühr in Höhe von 60 € erhoben (Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes; , X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH), BFH/NV 2022, 423).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:B.030523.IXS17.21.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2023 S. 213 Nr. 7
NAAAJ-41070