Richterablehnung: Befangenheitsbesorgnis wegen Vortätigkeit in einem anderem Verfahren
Gesetze: § 24 Abs 2 StPO, § 267 StPO, Art 6 Abs 1 MRK, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 25 Abs 2 StGB, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
Instanzenzug: Az: 34 KLs 55/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es eine Kompensationsentscheidung sowie mehrere Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision, mit der der Angeklagte ein Verfahrenshindernis geltend macht sowie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, hat die Mitwirkung einer gemäß § 22 Nr. 5 StPO kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richterin an dem verfahrensgegenständlichen Eröffnungsbeschluss nicht dessen Unwirksamkeit zur Folge (vgl. , BGHSt 29, 351, 354 ff.; Beschluss vom – 5 StR 423/97, NStZ 1998, 93; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 338 Rn. 56).
II.
3Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
41. Die Rüge einer Verletzung der „Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Artikel 6 Abs. 1 MRK, § 24 StPO“ durch die Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs betreffend die beisitzende Richterin Dr. T. ist unbegründet.
5a) Der Beanstandung liegt der folgende Verfahrensablauf zugrunde:
6Vor dem zugrunde liegenden Verfahren hatte die beisitzende Richterin Dr. T. bereits an der Hauptverhandlung gegen die gesondert verfolgten A. A. und M. Al. teilgenommen. Unter ihrer Mitwirkung wurde A. A. schließlich mit wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. M. Al. wurde der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringe Menge in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen handelten die beiden als Mitglieder einer Bande, deren Chef der jetzt Angeklagte – gleichrangig mit einer weiteren gesondert verfolgten Person – gewesen war. Die damals abgeurteilten fünf Taten des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entsprechen den im angefochtenen Urteil als Fälle Nr. 1 bis 3, 6 und 7 festgestellten Tatgeschehen.
7Im vorliegenden Verfahren lehnte der Angeklagte die beisitzende Richterin aufgrund ihrer Vorbefassung mit dem Prozessgegenstand wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Richterin habe durch ihre Mitwirkung an dem Urteil vom zum Ausdruck gebracht, bereits von seiner Schuld überzeugt zu sein. Die Strafkammer wies das Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom als unbegründet zurück. Die Hauptverhandlung wurde im weiteren Verlauf insgesamt zweimal ausgesetzt. Im Rahmen des dritten Durchgangs, der zur Verkündung des angefochtenen Urteils führte, nahm der Angeklagte in dem Termin vom nochmals „Bezug“ auf das frühere Ablehnungsgesuch und regte zugleich eine Selbstanzeige der beisitzenden Richterin nach § 30 StPO an.
8b) Die Rüge ist zulässig erhoben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Vorbringen des Angeklagten in dem Hauptverhandlungstermin vom als erneutes Ablehnungsgesuch zu werten ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirkt die Verwerfung eines Ablehnungsantrags auch nach einer erfolgten Aussetzung in der späteren Hauptverhandlung fort (, BGHSt 31, 15 f.; vgl. demgegenüber – nicht tragend – , NJW 2006, 854).
9c) Die von der Revision vorgetragenen Tatsachen, auf deren Grundlage der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat, ob das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen worden ist (st. Rspr.; s. etwa , NStZ-RR 2022, 345, 347; Beschluss vom – 1 StR 571/17 Rn. 4), sind – auch mit Blick auf neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht geeignet gewesen, die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Richterin zu begründen.
10aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, sofern sie nicht den Tatbestand eines gesetzlichen Ausschlussgrundes erfüllt, regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (, NStZ-RR 2022, 345, 347; Urteil vom – 1 StR 159/17 Rn. 56; Beschluss vom – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; jew. mwN). Das betrifft nicht nur die Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, sondern auch die Mitwirkung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben Tat (, NStZ-RR 2022, 345, 347 f.).
11Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in einem früheren Urteil unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthalten oder ein Richter sich in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (, NStZ-RR 2022, 345, 348; Urteil vom – 1 StR 159/17 Rn. 56; Beschluss vom – 2 StR 234/16, NStZ-RR 2018, 186, 187; Beschluss vom – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; jeweils mwN).
12Nach Maßgabe der gebotenen konventionsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts – hier des § 24 Abs. 2 StPO – und der insoweit zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann eine Besorgnis der Befangenheit eines Richters darüber hinaus auch dann vorliegen, wenn das unter seiner Mitwirkung entstandene frühere Urteil Feststellungen zur Beteiligung des jetzigen Angeklagten trifft, die dort rechtlich nicht geboten waren, weil für sie weder zur Beschreibung des strafrechtlich relevanten Handelns des früheren Angeklagten noch für dessen rechtliche Einordnung oder die Rechtsfolgenentscheidung ein Erfordernis bestand (vgl. , NStZ-RR 2022, 345, 349 mwN; EGMR, Urteil vom – 63703/19 Rn. 49, 58; Urteil vom – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 48, 57, 61 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich das frühere Urteil in Bezug auf die Tatbeteiligung des jetzigen Angeklagten nicht auf eine Darstellung des tatsächlichen Geschehens und dessen für die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des damaligen Angeklagten relevante rechtliche Einordnung beschränkt, sondern darüber hinausgehend eine rechtliche Würdigung des Verhaltens des jetzigen Angeklagten und Feststellungen zu dessen Schuld enthält (, NStZ-RR 2022, 345, 349 mwN). Maßgeblich ist hierbei eine Gesamtabwägung aller Umstände im Einzelfall (vgl. EGMR, Urteil vom – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 47 ff.; , NStZ-RR 2022, 345, 348 f.).
13bb) Daran gemessen zeigt das Revisionsvorbringen keine Umstände auf, die geeignet gewesen wären, die Besorgnis der Befangenheit gegen die beisitzende Richterin Dr. T. zu begründen.
14(1) Das Urteil vom enthält keine unnötigen oder sachlich nicht begründeten Werturteile über den Beschwerdeführer und keine sonstigen unsachlichen Äußerungen zu seinem Nachteil. Soweit hier relevant, sind die dortigen Feststellungen im Wesentlichen – siehe im Übrigen nachfolgend (2) – für die Begründung der Schuld- und Strafaussprüche gegen die gesondert verfolgten A. A. und M. Al. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bzw. Beihilfe hierzu rechtlich erforderlich gewesen. Die in dem damaligen Urteil getroffenen Feststellungen zur Funktion des Beschwerdeführers als einer von zwei Chefs einer Bande, deren Mitglieder sich zum fortgesetzten Handeltreiben mit Kokain verbunden hatten, und die Darlegungen zu dessen Handlungen waren zwingend geboten, um das Verhalten der gesondert Verfolgten im Schuldspruch sowie in der Strafzumessung (untergeordnete Rolle des damals angeklagten A. A. im Vergleich zu den beiden Bandenchefs) rechtlich zu bewerten und insoweit einen Darstellungsmangel zu vermeiden. Gleiches gilt, soweit die damalige Strafkammer bei einzelnen Verkaufsgeschäften einen Auftrag bzw. zumindest ein Billigen des jetzigen Angeklagten feststellte, da die rechtliche Bewertung als bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (in nicht geringer Menge) voraussetzt, dass sich auch die einzelnen Taten als Ausfluss der Bandenabrede darstellen (vgl. , NStZ-RR 2013, 208, 209; Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30 Rn. 87). Dabei hat das Landgericht weder Feststellungen zur Schuld des Beschwerdeführers getroffen noch dessen Verhalten strafrechtlich gewürdigt, sondern nur dessen tatsächliches Agieren beschrieben. Soweit es dabei den Rechtsbegriff der Bande verwendet hat, diente dies offensichtlich allein dazu, die für die rechtliche Bewertung der Handlungen der damaligen Angeklagten notwendigen Feststellungen zu treffen.
15Aus der rechtlichen Notwendigkeit dieser Feststellungen folgt zugleich, dass die insoweit zugrunde liegende umfangreiche Beweiswürdigung der Strafkammer – auch zur Rolle des Beschwerdeführers – zwingend erforderlich war.
16(2) Soweit das Urteil vom auch Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers und zu dessen Umgang mit Betäubungsmitteln vor dem dort abgeurteilten Tatgeschehen enthält, vermag auch dies bei der gebotenen Gesamtwürdigung nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Diese Feststellungen hat das Landgericht zwar nicht mit Blick auf den Schuldspruch und die Strafzumessung getroffen. Es hat sie aber herangezogen, um eine Unterbringung des damaligen Angeklagten A. A. in der Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) abzulehnen. Denn die Strafkammer hat einen symptomatischen Zusammenhang zwischen den abgeurteilten Taten und dessen Betäubungsmittelkonsum mit der – an eine entsprechende Beweiswürdigung anknüpfenden – Begründung verneint, er sei von vornherein im Jahr 2016 nach Deutschland eingereist, um „in den Kokainhandel von Am. A. und/oder E. “ einzusteigen und sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Daher sei sein später aufgenommener Konsum nicht einmal mitursächlich für die Tätigkeit innerhalb der Bande. Überdies beziehen sich diese weitergehenden Feststellungen auf Vorgänge, die sich – teilweise bereits mehrere Jahre – vor den verfahrensgegenständlichen Taten ereignet haben und auch sonst keinen konkreten Bezug zu den hier angeklagten Tatgeschehen aufweisen. Sie vermögen demzufolge auch nicht die Besorgnis zu begründen, die abgelehnte Richterin sei bereits von einer Schuld des Beschwerdeführers überzeugt gewesen.
17(3) Schließlich würden auch die weiteren Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die vom Senat im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Stellung des Befangenheitsgesuchs allerdings nicht zu berücksichtigen sind (vgl. , NStZ-RR 2022, 345, 349), gegen den Eindruck der Voreingenommenheit der beisitzenden Richterin sprechen. Denn die Strafkammer hat die Verurteilung des jetzigen Angeklagten auf eine neu durchgeführte Beweisaufnahme und eine ausführliche eigenständige Beweiswürdigung gestützt, sowie neue, im Detail abweichende Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 50, 56 mwN).
182. Die weiteren Verfahrensbeanstandungen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
III.
191. Die Nachprüfung des Schuld- und des Strafausspruchs auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
202. Die Einziehungsentscheidung hält indes einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht vollumfänglich stand.
21a) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) wird von den Feststellungen lediglich in Höhe von 70.625 € getragen. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:
„Lediglich im Rahmen der Einziehungsentscheidung gemäß § 73c StGB hat das Landgericht – wie es selbst in den Urteilsgründen dargelegt hat (UA S. 71) – übersehen, dass eine Bezahlung der an den Abnehmer „Zu/Z“ gelieferten 500 g Kokain nicht feststellbar war (UA S. 16), sodass der errechnete Einziehungsbetrag um 17.500 Euro (500g x 35 Euro/g; UA S. 70 f.) zu hoch angesetzt wurde. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist demnach – entsprechend § 354 Abs. 1 StPO – nur in Höhe von 70.625 Euro anzuordnen.“
22Dem schließt sich der Senat an. Die von der Kammer angeordnete weitergehende Einziehung entfällt.
23Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen bedarf zudem der Änderung dahin, dass der Angeklagte in der genannten Höhe als Gesamtschuldner haftet. Nach den Feststellungen hatten neben dem Angeklagten zumindest auch die gesondert verfolgten A. A. und Ai. Al. (Fall 4) eine faktische Mitverfügungsgewalt über die Taterträge. Es liegt daher eine Gesamtschuld vor (vgl. Rn. 30; Beschluss vom – 4 StR 31/22 Rn. 3; Urteil vom – 2 StR 54/19, NStZ-RR 2020, 76). Der Senat ergänzt entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Einziehungsausspruch um die gesamtschuldnerische Haftung. Der individuellen Benennung des Gesamtschuldners bedarf es dabei nicht ( Rn. 3; Beschluss vom – 3 StR 308/20 Rn. 3).
24b) Die von der Strafkammer daneben angeordnete „Einziehung der Taterträge […] in Höhe von 145.000 €“ (§ 73 Abs. 1 StGB) bedarf der Korrektur. Der Ausspruch über die Anordnung der Einziehung hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu kennzeichnen, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. Rn. 4 mwN). Diesen Anforderungen wird die Kennzeichnung des Einziehungsgegenstands im Urteilstenor nicht gerecht. Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es jedoch nicht, wenn die Urteilsgründe – wie hier – die erforderlichen Angaben enthalten und das Revisionsgericht analog § 354 Abs. 1 StPO die Entscheidung selbst treffen kann (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 5 StR 531/16 Rn. 3 mwN). Der Senat ändert die Einziehungsentscheidung daher wie aus der Beschlussformel ersichtlich ab.
253. Der geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (vgl. § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:310123B4STR67.22.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-40271