Anwaltliche Verpflichtung zur Einreichung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument: Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verspäteter Glaubhaftmachung
Leitsatz
1. Zur Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments.
2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verspäteter Glaubhaftmachung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130d S 1 ZPO, § 130d S 2 ZPO, § 130d S 3 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 121 BGB
Instanzenzug: Az: 318 S 69/21vorgehend Az: 22a C 2/20
Gründe
I.
1Die Kläger haben gegen ein Urteil des Amtsgerichts, mit dem ihre Klage abgewiesen worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Mit am Tag des Ablaufs der (verlängerten) Berufungsbegründungsfrist () in den Briefkasten des Landgerichts eingeworfenem Schriftsatz haben sie die Berufung begründet.
2Das Landgericht hat die Kläger mit ihrem Prozessbevollmächtigten am zugegangenem Beschluss unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen auf die Unzulässigkeit der Berufung hingewiesen, da diese nicht in der seit dem vorgeschriebenen elektronischen Form begründet worden sei. Mit am elektronisch eingereichtem Schriftsatz haben die Kläger gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufungsbegründung elektronisch übermittelt. Zugleich haben sie unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigen geltend gemacht, dieser habe für seine anwaltliche Tätigkeit am häuslichen Arbeitsplatz eine von der Kanzlei genutzte Software einrichten lassen. Seit Dezember 2020 sei es allerdings trotz technischer Unterstützung durch den Softwarehersteller nicht gelungen, Schriftsätze und Anlagen elektronisch zu versenden. Erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist habe ihr Prozessbevollmächtigter von der Möglichkeit erfahren, Schriftsätze nicht über die von der Kanzlei verwendete Software, sondern direkt über das für ihn im Dezember 2019 eingerichtete besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden.
3Das Landgericht hat die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.
II.
4Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden. Die Kläger hätten weder die Berufungsbegründungsschrift gemäß § 130d Satz 1 ZPO elektronisch übermittelt noch die Voraussetzungen für eine gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausnahmsweise zulässige Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften glaubhaft gemacht. Es sei schon fraglich, ob die dafür erforderliche vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen bestanden habe. Die Probleme mit der verwendeten Kanzleisoftware hätten bereits seit Dezember 2020 bestanden und seien jedenfalls nicht gemäß § 130d Satz 3 Halbs. 1 ZPO unverzüglich glaubhaft gemacht worden.
5Auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO hätten wegen eines den Klägern zurechenbaren Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegen. Seit dem Inkrafttreten des § 130d ZPO gehöre es zu den Pflichten eines Rechtsanwaltes, sich mit sämtlichen technischen Möglichkeiten einer fristwahrenden Einreichung von Schriftsätzen vertraut zu machen. Das habe der Prozessbevollmächtigte der Kläger versäumt.
III.
6Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber unzulässig, weil es an den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
71. Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Annahme, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt sei.
8a) Eine Entscheidung des Senats ist zunächst nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) geboten.
9aa) Eine höchstrichterliche Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts nur dann erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (Senat, Beschluss vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 225). Ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO gegeben sind, beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (, NJW 2003, 3781, 3782; siehe auch Senat, Beschluss vom - V ZR 260/03, NJW 2005, 154, 155 zu § 543 Abs. 2 ZPO).
10bb) Danach ist der Zulassungsgrund nicht (mehr) gegeben.
11(1) Gemäß § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung Satz 2 der Vorschrift zufolge nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 ZPO). Wie die Bestimmung des § 130d Satz 3 ZPO, auf die das Beschwerdegericht hier maßgeblich abgestellt hat, auszulegen ist, ist indes nach Erlass der angegriffenen Entscheidung durch den Beschluss des XII. Zivilsenats vom (XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647) geklärt worden. Danach bedarf es für die Glaubhaftmachung, die nach der Intention des Gesetzgebers möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (BT-Drucks. 17/12634 S. 28), einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung in der Lage ist (zum Ganzen , NJW 2022, 3647 Rn. 13 ff.).
12(2) Auch wenn diese Entscheidung zu § 14b Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 FamFG ergangen ist, bietet sie zugleich - wie sich auch dem Leitsatz entnehmen lässt, der § 130d Satz 2 und 3 ZPO zitiert - eine richtungweisende Orientierungshilfe für die Auslegung von § 130d ZPO. Der Gesetzgeber verfolgt mit den weitestgehend wort- und inhaltsgleichen Regelungen in § 14b Abs. 1 FamFG und § 130d ZPO nicht nur das gleiche gesetzgeberische Anliegen, eine aktive Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs für die betroffenen Personenkreise zu schaffen, sondern verweist auch in den Gesetzesmaterialien zu § 14b Abs. 1 FamFG ausdrücklich auf die Ausführungen zu § 130d ZPO (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 36). Zwischenzeitlich haben außerdem der IX. Zivilsenat (Beschluss vom - IX ZB 17/22, WM 2023, 198) und der III. Zivilsenat (Beschluss vom - III ZB 18/22, WM 2023, 189) des Bundesgerichtshofs Entscheidungen zu § 130d ZPO getroffen.
13b) Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) ist keine Entscheidung des Senats erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bleibt eine Rechtsbeschwerde zwar trotz nachträglicher Klärung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage zulässig, wenn die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung widerspricht (vgl. , FamRZ 2020, 847 Rn. 23 mwN). Diese Voraussetzung ist hier aber nicht gegeben.
14aa) Insoweit kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Kläger die Annahme einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit überhaupt getragen hätte, zumal vertreten wird, dass die technische Ausstattung und die Netzwerkanbindung jedenfalls einmal funktionsfähig gewesen sein müssten (juris-PK-ERV/Biallaß, Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO Rn. 52). Ebenso kann dahinstehen, ob die dem Prozessbevollmächtigten der Kläger bereits seit Längerem bekannten Schwierigkeiten bei der Übermittlung elektronischer Dokumente mit Blick auf die gesetzgeberische Intention, dass die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (s.o. unter 1. b) bb)), einer Nachholung der Glaubhaftmachung ohnehin entgegengestanden hätten (so , WM 2023, 198 Rn. 11; aA allerdings BAG, NZA 2023, 58 Rn. 32 zu der mit § 130d Satz 3 ZPO wörtlich übereinstimmenden Regelung in § 46g Satz 4 ArbGG).
15bb) Denn jedenfalls haben die Kläger die von ihnen geltend gemachten Gründe für die Ersatzeinreichung nicht unverzüglich danach glaubhaft gemacht, sodass die Ersatzeinreichung unwirksam ist.
16(1) Unverzüglich - und somit ohne schuldhaftes Zögern - ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht abzugeben, sobald er Kenntnis davon erlangt, dass die Einreichung an einer technischen Störung gescheitert ist und er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist (vgl. , NJW 2022, 3647 Rn. 17; BAG, NZA 2023, 58 Rn. 38 zu § 46g Satz 4 ArbGG). Dies beruht auf der Überlegung, dass die Glaubhaftmachung lediglich die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur umfasst, ohne dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung über deren Ursache bedarf (ebenso BAG aaO; VGH München, NVwZ 2022, 1392 Rn. 8; OVG Schleswig, NordÖR 2022, 198, 199, jeweils zu § 55d VwGO). Dies spricht dafür, den Zeitraum des unverschuldeten Zögerns eng zu fassen (vgl. , aaO; Beschluss vom - III ZB 18/22, WM 2023, 189 Rn. 10).
17(2) Daran gemessen überschreiten jedenfalls die hier von den Klägern in Anspruch genommenen zweieinhalb Wochen die zulässige Frist. Eine andere Betrachtung ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht deshalb geboten, weil das Berufungsgericht die Kläger unter Einräumung einer Stellungnahmefrist darauf hingewiesen hat, dass die Berufung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden ist (ebenso , WM 2023, 189 Rn. 11). Der Hinweis des Berufungsgerichts und die Einräumung einer Stellungnahmemöglichkeit beruhen auf Art. 103 Abs. 1 GG. Der Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens hat ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern (st. Rspr., vgl. nur , NJW-RR 2020, 877 Rn. 11 mwN). So hätten die Kläger die Möglichkeit gehabt, beispielsweise zu einer rechtzeitig erfolgten, aber vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten elektronischen Übermittlung vorzutragen, oder - wie geschehen - einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Gerichtliche Hinweispflichten ändern aber nichts an dem in § 130d Satz 3 ZPO normierten Erfordernis der unverzüglichen Nachholung der Glaubhaftmachung.
18(3) Mangels unverzüglicher Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit ist die Ersatzeinreichung unwirksam (vgl. , juris Rn. 18). Hierdurch wird die Rechtsschutzgewährung entgegen der Rechtsbeschwerde auch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Erforderlich gemäß § 130d Satz 3 ZPO ist lediglich die Glaubhaftmachung der Gründe des § 130d Satz 2 ZPO. Die Verpflichtung zur Glaubhaftmachung stellt keine unzumutbaren Anforderungen an den Rechtsanwalt, da insoweit eine anwaltliche Versicherung genügt (vgl. BAG, NZA 2023, 58 Rn. 29, 36, 63). Eine solche ist jedenfalls nach der Ersatzeinreichung regelmäßig unschwer möglich und stellt sicher, dass das Gericht und die übrigen Prozessbeteiligten zeitnah Klarheit über die Wirksamkeit der Prozesserklärung erlangen. Gründe, die vorliegend eine andere Betrachtung rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch zeigt die Rechtsbeschwerde solche auf.
192. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen zuletzt auch nicht mit Blick auf die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor. Mit der Annahme eines den Klägern zurechenbaren Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) hat das Berufungsgericht weder Verfahrensgrundrechte der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch ihr Grundrecht auf ein objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.
20a) Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht hinreichend mit den technischen Möglichkeiten der Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut gemacht hatte.
21aa) Seit dem ist die elektronische Übermittlung vorbereitender Schriftsätze sowie schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen der gemäß § 130d Satz 1 ZPO gesetzlich vorgeschriebene Regelfall. Die elektronische Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichtbeachtung ist die Prozesserklärung unwirksam. Auf die Einhaltung der elektronischen Form kann der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (vgl. , WM 2023, 189 Rn. 8). Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Kläger bei Inkrafttreten der Vorschrift am bekannt sein. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner Verantwortung liegt es, die gesetzlichen Formerfordernisse zu beachten (vgl. , NJW 2022, 2415 Rn. 15). Zu den Gesetzen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen und die ein Prozessbevollmächtigter daher kennen muss, zählen ohne jeden Zweifel die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr.
22bb) Zu den anwaltlichen Pflichten gehörte es in diesem Zusammenhang aber auch, in Vorbereitung auf die Änderung der Rechtslage rechtzeitig vor dem alle Vorkehrungen für eine elektronische Übermittlung von Schriftsätzen gemäß § 130d Satz 1 ZPO zu treffen und sich mit der Nutzung eines funktionstüchtigen Übermittlungsweges vertraut zu machen. Die Zielsetzung des Gesetzgebers, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern und gleichzeitig im Kosteninteresse sicherzustellen, dass die für einen wirtschaftlichen Betrieb erforderliche Nutzung tatsächlich erfolgt, erfordert es neben der Vorhaltung der notwendigen technischen Ausstattung auch, dass der Einreichende subjektiv zu der Umsetzung der elektronischen Übermittlung in der Lage ist (vgl. VGH München, NVwZ-RR 2022, 789 Rn. 14 zu § 55d VwGO; Schultzky, MDR 2022, 201, 202). Da die Vorschrift des § 130d ZPO, die auf § 130a ZPO aufbaut, durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom (BGBl. I S. 3786) eingeführt worden und gemäß Art. 26 Abs. 7 dieses Gesetzes mit Wirkung zum in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber auch einen ausreichenden zeitlichen Rahmen zur Verfügung gestellt.
23cc) Danach hat das Berufungsgericht zu Recht ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger angenommen. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, lastet es ihm nämlich nicht an, dass er die technischen Probleme bei der von ihm verwendeten Kanzleisoftware nicht (selbst) behoben hat. Vielmehr stellt es darauf ab, dass er nicht rechtzeitig die Voraussetzungen zur Nutzung eines (anderen) zumutbaren Übermittlungsweges geschaffen hatte. Dies war hier aber geboten, nachdem eine elektronische Übermittlung unter Verwendung der Kanzleisoftware am häuslichen Arbeitsplatz ausweislich der Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Kläger bereits seit Dezember 2020 nicht möglich war und die technischen Probleme auch mit fachlicher Unterstützung nicht behoben werden konnten. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hätte daher weitere Schritte unternehmen müssen, um eine elektronische Übermittlung gemäß § 130d Satz 1 ZPO rechtzeitig zum auf andere Weise - etwa unter Verwendung des für ihn eingerichteten besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) - sicherzustellen. Hierzu hatte etwa die Bundesrechtsanwaltskammer, die auch ein Service Desk mit einer Telefonnummer für Nachfragen eingerichtet hatte, in Heft 6/2021 der BRAK-Mitteilungen darauf hingewiesen, dass ein Versenden über beA ohne weitere Einstellungen möglich ist. Seit dem konnten zudem unter https://portal.beasupport.de zusätzliche Informationen, typische Fragen und Antworten sowie ein Video zum Versenden von Nachrichten abgerufen werden. Dass ihr Prozessbevollmächtigter nach dem Vortrag der Kläger erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist von der Möglichkeit erfahren hat, Schriftsätze per beA zu versenden, lässt daher das Verschulden nicht entfallen.
24b) Entgegen der Rechtsbeschwerde kann es den Prozessbevollmächtigten der Kläger auch nicht entlasten, dass er im Zweifel darüber gewesen sein will, ob er nicht vor der Glaubhaftmachung zunächst Ursachenforschung betreiben müsse. Ein darauf bezogener eventueller Rechtsirrtum wäre nicht unverschuldet.
25aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Bei zweifelhafter Rechtslage muss der bevollmächtigte Anwalt den sichersten Weg gehen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 20/93, NJW 1993, 2538, 2539; zu § 130d Satz 3 ZPO , WM 2023, 189 Rn. 10; zu § 46g Satz 4 ArbGG BAG, NZA 2023, 58 Rn. 36).
26bb) Nach diesem Maßstab wäre ein eventueller Rechtsirrtum des Prozessbevollmächtigten der Kläger darüber, ob er (nur) die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines § 130d ZPO unterfallenden Schriftsatzes unverzüglich durch anwaltliche Versicherung glaubhaft machen oder (auch) deren Ursachen erforschen musste, nicht unverschuldet. Dies entsprach ganz offensichtlich nicht der gesetzgeberischen Intention (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27) und wurde und wird auch, soweit ersichtlich, so nicht vertreten. Der Prozessbevollmächtigte hätte daher den sichersten Weg gehen und vor einer eventuellen Ursachenforschung zunächst unverzüglich die vorübergehende technische Unmöglichkeit glaubhaft machen müssen.
IV.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Senatsbeschluss vom wird gemäß § 319 Abs. 1 ZPO im ersten Absatz des Tenors dahin berichtigt, dass das Entscheidungsdatum des Beschlusses des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 18 - der (statt ) ist.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260123BVZB11.22.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1154 Nr. 21
ZIP 2023 S. 5 Nr. 21
UAAAJ-39884