Kindergeld | Ermittlung des Lebensbedarfs eines Kindes mit Behinderung (BFH)
Bezieht ein volljähriges Kind mit Behinderung eine Rente, die durch Vermögensumschichtung begründet wurde, so sind die den Ertragsanteil übersteigenden Teile der Rentenzahlungen nicht als Bezug zu berücksichtigen (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Kindergeld wird einem Kind gewährt, welches wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Infolgedessen kommt es darauf an, ob das Kind seinen existenziellen Lebensbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln decken kann.
Sachverhalt: Die beklagte Familienkasse hatte für den Streitzeitraum Dezember 2019 bis Juli 2021 Kindergeld festgesetzt. Sie hob diese Festsetzung mit Bescheiden vom März 2021 auf. Der Kindsvater machte geltend, es gebe keine Änderungsnorm. Die Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Außerdem habe die Familienkasse die Einkünfte und Bezüge des Kinds fehlerhaft berechnet. Dessen Erbschaft von der Mutter sei zweckgebunden gewesen und zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung verwendet worden. Die abweisende Einspruchsentscheidung datiert vom , der Absendevermerk vom . Die Familienkasse schilderte die interne Organisation der Postaufgabe unter Einschaltung eines privaten Postdienstleisters. Nach den Angaben des Vertreters des Klägers ging ihm die Einspruchsentscheidung am zu. Seine Klage vom sei fristgemäß (s. unsere Online-Nachricht v. 7.6.2022).
Der BFH sah die Revision der Familienkasse als unbegründet an:
Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich das Kind in den Monaten April bis Juli 2021 behinderungsbedingt nicht selbst unterhalten konnte.
Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.
Die Fähigkeit des volljährigen behinderten Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs seines gesamten existenziellen Lebensbedarfs einerseits und der finanziellen Mittel seiner Einkünfte und Bezüge andererseits zu prüfen; das Vermögen des Kindes bleibt dabei unberücksichtigt (ständige Rechtsprechung).
Leibrenten, die wie im Streitfall auf eigenen Einzahlungen beruhen, welche ausschließlich oder überwiegend aus versteuertem Einkommen erbracht wurden, werden verfassungsgemäß typisierend nicht mit ihrem gesamten Betrag, sondern nur mit ihrem Ertragsanteil (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG) besteuert.
Die von der Familienkasse aufgeworfene Frage der Verfügungsbefugnis des Kindes über die nach dem Tod seiner Mutter erlangten Mittel ist unerheblich. Der Begriff des Vermögens setzt nicht voraus, dass damit nach freiem Belieben verfahren werden kann. Vermögen hat auch, wer zweckgebundene Mittel erhält (z. B. einen Zuschuss der Eltern für den Immobilienerwerb) oder einen ertragbringenden Vermögensgegenstand z.B. als Vorerbe (§ 2113 Abs. 1 BGB) nicht veräußern darf oder kann.
Quelle: ; NWB Datenbank (JT)
Fundstelle(n):
GAAAJ-39640