BGH Urteil v. - 6 StR 497/22

Instanzenzug: Az: 6 StR 497/22 Beschlussvorgehend LG Frankfurt (Oder) Az: 21 KLs 23/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten M.     unter Freispruch im Übrigen wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl, wegen „Versuches der Beteiligung an der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl“, wegen Diebstahls, wegen versuchten Diebstahls mit Waffen und wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten G.    hat es unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter räuberischer Erpressung verwarnt und ihm aufgegeben, innerhalb von sechs Monaten nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe 120 Sozialstunden abzuleisten. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren zuungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revisionen gegen die Schuld- und Teilfreisprüche, hinsichtlich des Angeklagten M.      wirksam beschränkt auf Fall II.A.9 der Urteilsgründe. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen haben Erfolg.

I.

2Im Fall II.A.9 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten M.     der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und den Angeklagten G.   der versuchten räuberischen Erpressung schuldig gesprochen; gegen M.     hat es insoweit auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten erkannt. Von dem Anklagevorwurf eines in diesem Fall tatmehrheitlich begangenen schweren Raubes hat das Landgericht die Angeklagten freigesprochen. Dem liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:

31. Die Angeklagten und zwei unbekannte Mittäter drangen gewaltsam in die Wohnung der Zeugen P.    und D.     Su.      ein, die sie irrtümlich für Drogenhändler hielten, und verlangten von ihnen die Herausgabe von Betäubungsmitteln und Bargeld. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte der Angeklagte M.   P.    Su.         mit einem etwa 25 cm langen Schraubendreher, den er in der erhobenen Faust umklammert hielt. Anschließend schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht, woraufhin P.    Su.      laut um Hilfe rief. Währenddessen durchsuchten die unbekannten Mittäter die Räumlichkeiten nach Bargeld, sonstigen Wertsachen und Drogen.

4Um die Hilferufe P.    Su.       s zu unterbinden, nahm M.     ihn von hinten in den „Schwitzkasten“, wobei er ihn mit seinem Arm so stark würgte, dass P.    Su.      schwarz vor Augen wurde und beinahe das Bewusstsein verlor. Der Angeklagte G.   redete währenddessen beruhigend auf D.   Su.      ein, um ihn davon abzuhalten, P.    Su.      zu helfen. G.   versuchte auch, beruhigend auf M.     einzuwirken, und zog ihn schließlich von dem blutend am Boden liegenden P.    Su.     weg. M.    wandte sich daraufhin D.    Su.     zu, verlangte nochmals von diesem die Herausgabe von Drogen und Bargeld und schlug ihm zur Bekräftigung der Forderung auf ein Auge. Anschließend durchsuchte auch M.     ebenso erfolglos wie die Mittäter die Wohnung nach Drogen und Bargeld. Beim Verlassen der Wohnung nahmen die Angeklagten und ihre Mittäter eine Bauchtasche P.    Su.     s, in der sich dessen Geldbeutel, Fahrzeugpapiere, Personalausweis, Bankkarte und Autoschlüssel befanden, sowie zwei Mobiltelefone und eine Stange Zigaretten mit, was P.       und D.    Su.     unter dem Eindruck der von M.     ihnen gegenüber verübten Gewalttätigkeiten geschehen ließen.

52. Das Landgericht hat im Hinblick auf die dem Angeklagten M.     zur Last fallende versuchte besonders schwere räuberische Erpressung die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung die qualifizierenden Merkmale gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB als erfüllt angesehen; insoweit hat der Senat die dem Angeklagten M.     zur Last gelegte Verletzung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf dessen Revision gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen und diese auf die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt. Zugunsten des Angeklagten G.   ist das Landgericht davon ausgegangen, dass diesem weder die Verwendung des Schraubendrehers durch M.     noch das Würgen des Zeugen P.    Su.      bis fast zur Bewusstlosigkeit zuzurechnen sei, weil es sich insoweit jeweils um einen Mittäterexzess gehandelt habe. Die gegen M.   ausgesprochene Strafe hat das Landgericht dem nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entnommen. Es hat die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs für gegeben erachtet, weil M.    sich in der Hauptverhandlung bei P.    Su.      entschuldigt, ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro übergeben und dieser das Geld angenommen habe.

6Von dem Vorwurf eines tatmehrheitlich zum Nachteil P.    Su.     s begangenen schweren Raubes (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB) hat das Landgericht die Angeklagten aus rechtlichen Gründen mit der Begründung freigesprochen, dass das Tatgeschehen in der Wohnung als tateinheitlich zu bewerten sei: „Wegen des in Tatmehrheit angeklagten schweren Raubes“ seien die Angeklagten „somit“ freizusprechen.

II.

7Diese Bewertungen stoßen in mehrfacher Hinsicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Das Landgericht hat den der Anklage zugrundeliegenden Lebenssachverhalt, wie er sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt, entgegen § 264 Abs. 2 StPO nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten beurteilt und dadurch seine Kognitionspflicht verletzt (vgl. etwa , NStZ-RR 2012, 215 mwN).

81. Die Teilfreisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Da das Landgericht die Raubtat als erwiesen angesehen hat, hätte es die Angeklagten auf der Grundlage seines Rechtsstandpunktes jeweils auch des tateinheitlich begangenen besonders schweren oder zumindest schweren Raubes (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 StGB) schuldig sprechen müssen (vgl. etwa , NStZ 1993, 77; Urteil vom , NStZ 2013, 471, 472). Seine von der Anklage abweichende konkurrenzrechtliche Bewertung stand dem nicht entgegen.

92. Hinsichtlich der dem Angeklagten M.     zur Last fallenden gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen P.    Su.      erweist es sich als rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht – neben § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – nicht auch § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erörtert hat. Denn nach den Feststellungen leistete der Angeklagte G.   insoweit zumindest Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB), indem er beruhigend auf D.    Su.      einredete, um diesen davon abzuhalten, P.    Su.     zu helfen. Die Mitwirkung eines Gehilfen genügt für das qualifizierende Merkmal der gemeinschaftlichen Tatbegehung mit einem anderen Beteiligten, wenn dadurch – wie hier – auf der Seite des Täters eine Übermacht geschaffen und die Verteidigungschancen des Geschädigten reduziert werden (vgl. , BGHSt 47, 383, 387).

103. Ferner hat das Landgericht nicht bedacht, dass der Angeklagte M.   eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zum Nachteil des Zeugen D.    Su.    beging, indem er ihm einen Schlag auf das Auge versetzte.

114. Die im Fall II.A.9 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten M.   verhängte Strafe hat schon aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler des Schuldspruchs keinen Bestand; überdies belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Voraussetzungen der Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Dafür ist ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer erforderlich, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert; die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. , NStZ-RR 2019, 369 mwN). Dies lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Es genügt insoweit nicht, dass sich der Angeklagte bei P.    Su.     entschuldigte und ihm 500 Euro übergab. Der Wegfall der im Fall II.A.9 der Urteilsgründe verhängten Strafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.

125. Im Hinblick auf den Angeklagten G.   beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht, dass das Landgericht ihn nur wegen versuchter räuberischer Erpressung, nicht jedoch wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt hat. Die Annahme des Landgerichts, wonach es sich bei der Verwirklichung der qualifizierenden Merkmale des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB um einen Mittäterexzess des Angeklagten M.     handelte, wird von den Urteilsgründen nicht getragen. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Zuschrift ausgeführt:

„Handlungen von Mittätern, mit denen ein anderer Tatbeteiligter nach den Umständen des Einzelfalls rechnen muss, sind diesem zuzurechnen, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat (vgl. Rn. 6). Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seines Tatgenossen gleichgültig ist. Bei einem mehraktigen Geschehen kann auch derjenige Täter sein, welcher nicht sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt, wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl. etwa BGH, Urteile vom (…) – 2 StR 158/93, BGHSt 39, 236, 238). Auch tatbezogene qualifizierende Merkmale, die arbeitsteilig verwirklicht werden können, sind jedem Mittäter nach Maßgabe des gemeinsamen Tatplans zuzurechnen (vgl. etwa , BGHSt 48, 189, 192). (…)

Gemessen an diesen Anforderungen ist die Annahme eines Mittäterexzesses nicht tatsachenfundiert belegt. Das Landgericht ist zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass weder die Verwendung des massiven Schraubendrehers durch den Mitangeklagten M.   beim Schlag in das Gesicht des P.    Su.      noch dessen Würgen fast bis zur Bewusstlosigkeit von dem gemeinsamen Tatplan umfasst gewesen seien (…). Tatsachen, die für eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Tatablauf sprechen würden, hat das Landgericht indessen nicht festgestellt. Die Strafkammer würdigt in diesem Zusammenhang insbesondere nicht, dass der Angeklagte G.   sich während der Körperverletzungshandlungen im selben Raum (Wohnzimmer) aufhielt und beruhigend auf D.    Su.      einsprach, um diesen daran zu hindern, seinem Bruder P.     zur Hilfe zu kommen (…). Die hierin zum Ausdruck kommende Billigung des Verhaltens des Mitangeklagten M.     steht der Annahme eines Mittäterexzesses entgegen.“

13Dem schließt sich der Senat an.

146. Das Landgericht hat ferner auch in Bezug auf den Angeklagten G.  nicht bedacht, dass sich dessen Einwirkung auf D.    Su.     nach den Feststellungen zumindest als Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung darstellt.

157. Schließlich hätte das Landgericht – worauf die Revision zutreffend hinweist – jedenfalls erörtern müssen, ob wenigstens die Verwirklichung der Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB vom Willen des Angeklagten G.     umfasst war. Es hat nur in den Blick genommen, ob G.     Kenntnis von der konkreten Verwendung des Schraubendrehers hatte, nicht jedoch, ob er zumindest wusste, dass M.     das Werkzeug im Sinne der Vorschrift bei sich führte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:190423U6STR497.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-39606