Online-Nachricht - Mittwoch, 10.05.2023

Gewerbe | OVG urteilt zu Kammerbeiträgen der IHK Pfalz und IHK Koblenz

Die Beiträge zur IHK für die Pfalz waren in den Jahren 2019 bis 2021 rechtswidrig, da die IHK die Ausgleichsrücklage fehlerhaft gebildet hat. Die Beiträge zur IHK Koblenz im Jahr 2021 sind hingegen nicht zu beanstanden (Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteile v. - 6 A 11190/22.OVG, 6 A 11191/22.OVG und 6 A 11192/22.OVG; Revision zugelassen).

Sachverhalt und Verfahrensgang: Eine Gewerbetreibende aus der Pfalz wandte sich mit ihrer Klage gegen ihre Heranziehung zu Beiträgen durch die IHK für die Pfalz für die Jahre 2018 bis 2021. In zwei weiteren Verfahren erhob eine Firma aus der Bekleidungsbranche mit bundesweiten Filialen Klage sowohl gegen ihre Veranlagung zu Kammerbeiträgen durch die IHK für die Pfalz für die Jahre 2018 und 2021 als auch durch die IHK Koblenz für das Jahr 2021. Beide Klägerinnen machten geltend, die Beklagten betrieben durch zu hohe Rücklagen eine unzulässige Vermögensbildung.

Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße gab beiden Klagen gegen die Beitragserhebung durch die IHK für die Pfalz insoweit teilweise statt, als ein Beitrag für 2018 festgesetzt worden ist, weil die von der Beklagten gebildete Digitalisierungsrück­lage kein im Jahr 2018 bestehendes finanzielles Risiko abdecke. Im Übrigen wies es beide Klagen ab. Die Klage gegen die Beitragserhebung durch die IHK Koblenz wies das Verwaltungsgericht Koblenz ab.

Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil wies das OVG zurück. Auf die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt hob es hingegen die Festsetzung der Kammerbeiträge durch die IHK für die Pfalz bezüglich der Jahre 2019 bis 2021 auf:

  • Der angefochtene Beitragsbescheid der IHK Koblenz ist rechtmäßig. Beiträge zur Industrie- und Handelskammer dürften von Gesetzes wegen nur insoweit erhoben werden, als die Kosten ihrer Errichtung und Tätigkeit nicht anderweitig gedeckt sind; sie dürfen daher grundsätzlich nicht der Bildung von zweckfreiem Vermögen dienen. Die Bildung von Rücklagen ist an einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammerarbeit gebunden und muss auch in ihrer Höhe von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein. Kammern dürfen daher keine überhöhten Rücklagen bilden und müssen solche baldmöglichst wieder auf ein zulässiges Maß zurückführen.

  • Hiervon ausgehend ist die Bildung der Ausgleichsrücklage zur Kompensation etwaiger ergebniswirksamer Schwankungen im Wirtschaftsjahr 2021 durch die IHK Koblenz weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Die Beklagte hat sich einer geeigneten Methodik zur Bemessung der Ausgleichsrücklage bedient. Die Höhe der Risikovorsorge, die zugleich die maximal zulässige Obergrenze für die Ausgleichsrücklage darstellt, ist mit Hilfe eines implementierten Risikokalkulationsmodells und einer von Wirtschaftsprüfern geprüften Softwarelösung, dem sog. Risiko-Tool, ermittelt worden.

  • Ziel des Risiko-Tools ist es, eine Vorstellung zu erhalten, welches Gesamtrisiko die Kammer eingeht. Je nach Auswahl des sog. Konfidenzniveaus (90 %, 95 %, 99 % oder 99,99 %) erhält man eine Information, mit welcher Wahrscheinlichkeit – in Höhe dieses Konfidenzniveaus – das tatsächliche Risiko nicht höher ist als das vom Risiko-Tool ermittelte Gesamtrisiko. Gegen die Anwendung dieser Softwarelösung, die die Industrie- und Handelskammern in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und einer Unternehmensberatungsgesellschaft zum Zwecke der Berechnung von Risiken für die jährliche Dotierung der Ausgleichsrücklage entwickelt haben, ist nichts einzuwenden.

  • Die konkrete Anwendung des Risiko-Tools im Wirtschaftsjahr 2021 ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere für die Wahl eines Konfidenzniveaus von 95 %. Zwar ist es grundsätzlich notwendig, eine sachlich begründete Entscheidung für die Wahl des Konfidenzniveaus zu treffen. Eine gesonderte Begründung ist jedoch dann entbehrlich, wenn sich die Beklagte – wie hier die IHK Koblenz – bei der Wahl des Konfidenzniveaus an einem standardisierten und als üblich anzuerkennenden Wert orientiert, mit dem sie gerade zum Ausdruck bringt, dass keine Besonderheiten, insbesondere keine Gründe für eine besonders konservative oder besonders risikofreudige Herangehensweise bestehen. Dies trifft auf das von der Beklagten gewählte Konfidenzniveau von 95 % zu, da insbesondere im Versicherungsbereich, in dem auf ähnliche Prognosemethoden zurückgegriffen wird, mit einem solchen Konfidenzniveau gearbeitet wird.

  • Die angefochtenen Beitragsbescheide der IHK für die Pfalz sind hingegen rechtswidrig. Denn die von ihr gebildeten Ausgleichsrücklagen zur Kompensation etwaiger ergebniswirksamer Schwankungen in den Wirtschaftsjahren 2019 bis 2021 sind der Höhe nach zu beanstanden.

  • Bei der konkreten Anwendung des Risiko-Tools im Wirtschaftsjahr 2021 hat sich die beklagte IHK für die Pfalz in Kenntnis des Standardwerts von 95 % für die Anwendung eines Konfidenzniveaus von 99 % entschieden. Insbesondere vor dem Hintergrund des gravierenden Unterschieds zwischen einem Konfidenzniveau von 95 % (1,898 Millionen €) und einem Konfidenzniveau von 99 % (4,379 Millionen €) von fast 2,5 Millionen € im Wirtschaftsjahr 2021 hätte es wegen der damit verbundenen unterschiedlich starken finanziellen Belastung der Beitragspflichtigen einer aussagekräftigen und belastbaren Begründung für eine Abweichung vom Standardwert bedurft. An einer solchen tragfähigen, sachgerechten Begründung fehlt es. Demgegenüber genügt die zudem gebildete Digitalisierungs- bzw. Zinsausgleichsrücklage den rechtlichen Anforderungen.

Hinweis:

Das OVG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts­sache jeweils die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Quelle: OVG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
NWB WAAAJ-39545