BGH Beschluss v. - 3 StR 399/22

Instanzenzug: LG Osnabrück Az: 18 KLs 5/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen unter Einbeziehung der im Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom gegen ihn verhängten Einzelstrafen und unter Auflösung der bisher gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und zudem wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, im Übrigen freigesprochen sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 28.841,32 € als Gesamtschuldner mit dem gesondert verfolgten    K.   angeordnet. Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2Der Erörterung bedarf über die Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift hinaus lediglich das Folgende:

31. Die von dem Angeklagten zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO, mit der er geltend macht, die Vorsitzende der Strafkammer habe zu Unrecht den Verhinderungsfall hinsichtlich einer ursprünglich zur Entscheidung berufenen Schöffin festgestellt, ist nicht begründet.

4a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5Die am begonnene Hauptverhandlung fand bis zum an insgesamt 15 Hauptverhandlungstagen statt. Am Morgen des teilte der Ehemann einer Schöffin telefonisch mit, dass diese notfallmäßig in eine Klinik aufgenommen worden sei. Der für diesen Tag anberaumte Hauptverhandlungstermin wurde aufgehoben. Die Vorsitzende der Strafkammer verfügte sodann am , dass anstelle der Schöffin die Ergänzungsschöffin in die Strafkammer eintrete, da die (bisherige) Schöffin aus gesundheitlichen Gründen gehindert sei, an den weiteren Fortsetzungsterminen teilzunehmen. Zur Begründung führte sie unter Hinweis auf eine vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und ein Attest aus, die Schöffin habe in einem Telefonat mitgeteilt, sie sei bereits zum dritten Mal wegen derselben Symptome notfallmäßig behandelt worden, eine Ursache sei bislang nicht abschließend festgestellt worden und sie fühle sich gesundheitlich nach wie vor stark beeinträchtigt. Zudem sei die Schöffin mindestens bis zum an einer Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert, so dass vier Hauptverhandlungstermine betroffen seien, zu denen mehr als 20 Zeugen geladen seien; es sei nicht hinreichend sicher festzustellen, dass die Schöffin anschließend gesundheitlich wieder soweit hergestellt sein werde, dass verlässlich von ihrer Teilnahme an den Folgeterminen ausgegangen werden könne. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um eine Haftsache mit vier in Haft befindlichen Angeklagten handele und noch eine Vielzahl von Hauptverhandlungstagen zu erwarten sei, sei die Hauptverhandlung - in Abwägung aller Umstände - mit der Ergänzungsschöffin als Hauptschöffin fortzusetzen.

6b) Die Vorgehensweise der Vorsitzenden lässt Rechtsfehler nicht erkennen; insbesondere war das Gericht durch den Eintritt der Ergänzungsschöffin nicht vorschriftswidrig besetzt (§ 338 Nr. 1 StPO). Der Angeklagte wurde daher nicht seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Hierzu gilt:

7aa) Nach § 192 Abs. 2 und 3 GVG tritt ein zu der Hauptverhandlung zugezogener Ergänzungsrichter in das Quorum ein, wenn ein zur Entscheidung berufener Richter an der weiteren Mitwirkung verhindert ist. Die Feststellung, ob ein Verhinderungsfall vorliegt, obliegt dem Vorsitzenden (, BGHSt 61, 160 Rn. 4 mwN). Der Vorsitzende hat bei seiner Entscheidung einen Ermessensspielraum; die Verkennung des Rechtsbegriffs der Verhinderung begründet nur im Falle der Willkür die Revision (vgl. , BGHSt 61, 160 Rn. 4 mwN). Dementsprechend liegt es auch im Ermessen des Vorsitzenden, wann er die Entscheidung darüber trifft, ob ein Verhinderungsfall vorliegt. Er kann die Hauptverhandlung zunächst unterbrechen und abwarten, ob sie später mit dem vorübergehend verhinderten Richter fortgeführt werden kann, oder die Verhandlung sofort unter Mitwirkung des Ergänzungsrichters fortsetzen (, BGHSt 61, 160 Rn. 4 mwN).

8bb) Bei der vom Vorsitzenden zu treffenden Ermessensentscheidung sind verschiedene, einander widerstreitende Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Richter während der laufenden Hauptverhandlung erkrankt und deshalb nicht zu einem Fortsetzungstermin erscheinen kann. Einerseits gebietet das Prinzip des gesetzlichen Richters in solchen Fällen, die Hauptverhandlung zu unterbrechen und abzuwarten, ob sie noch fristgemäß unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden kann. Denn es soll derjenige Richter an der Urteilsfindung mitwirken, der nach den allgemeinen Regeln von vornherein dafür zuständig war. Andererseits können es insbesondere die Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime sachgerecht erscheinen lassen, die Verhinderung möglichst bald festzustellen, um die Hauptverhandlung ohne Zeitverzug fortzusetzen (vgl. insgesamt BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 400/20, BGHR GVG § 192 Abs. 2 Verhinderung 4 Rn. 8; vom - 2 StR 421/17, BGHR GVG § 192 Abs. 2 Ergänzungsrichter 2 Rn. 6; vom - 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160 Rn. 5).

9cc) Diese Grundsätze bedürfen nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Fall der Erkrankung eines Richters angesichts der Hemmungsregelung des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO der Einschränkung. Danach ist es im Hinblick auf das Prinzip des gesetzlichen Richters geboten, die Feststellung des Verhinderungsfalls zurückzustellen und abzuwarten, ob die Hauptverhandlung noch unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden kann. Solange die Fristen gehemmt sind, ist für eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden deshalb kein Raum, und der Eintritt des Ergänzungsrichters kommt erst in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann (, BGHSt 61, 160 Rn. 6 mwN). Etwas Anderes kann nur ausnahmsweise etwa dann gelten, wenn schon von vornherein feststeht, dass eine Fortsetzung der Hauptverhandlung mit dem erkrankten Richter auch nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung nicht möglich sein wird, oder wenn andere vorrangige Prozessmaximen beeinträchtigt würden (, BGHSt 61, 160 Rn. 6 mwN).

10Der Senat kann offen lassen, ob an dieser Rechtsprechung vor dem Hintergrund der neuerlichen Änderung des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO, mit der die maximal sechswöchige Hemmung auf zwei Monate ausgedehnt wurde (BT-Drucks. 19/14747, S. 32 f.), in vollem Umfang festgehalten werden kann. Insoweit könnte insbesondere deshalb Anlass zu neuerlicher Prüfung bestehen, da in der Gesetzesbegründung kein Konnex zwischen der Verlängerung der Hemmungsfrist und der Frage des Zeitpunkts der Feststellung der Verhinderung eines Richters oder Schöffen und der Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters oder Ergänzungsschöffen hergestellt wurde, die Gesetzesbegründung sich zu diesem Umstand vielmehr - in Kenntnis der Rechtsprechung des Senats - nicht verhält. Es kommt hinzu, dass auch nach der damaligen Gesetzesbegründung die Ausdehnung der Hemmungsfrist in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht mit der Frage des Zeitpunkts der Feststellung der Verhinderung eines Richters oder Schöffen gemäß § 192 Abs. 2 und 3 GVG verknüpft war (BT-Drucks. 15/1508, S. 25; siehe auch Schäfer, JR 2017, 41). Die damalige Neuregelung zur Fristenhemmung durch das Justizmodernisierungsgesetz vom (BGBl. I, S. 2198) wurde im Gegenteil explizit damit begründet, einer Aussetzung solcher Verfahren entgegenzuwirken, „bei denen in der Regel keine Ergänzungsrichter oder -schöffen bestellt werden“; zudem sollte sichergestellt werden, „dass die von § 192 GVG vorgesehene Möglichkeit der Bestellung von Ergänzungsrichtern und -schöffen auf die vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmefälle beschränkt bleibt“ (BT-Drucks. 15/1508, S. 25).

11dd) Vorliegend durfte die Vorsitzende der Strafkammer jedenfalls auf der Grundlage der eingangs ausgeführten Maßstäbe ausnahmsweise bereits vor Ablauf der Hemmungsfrist aus § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO über die Verhinderung der Schöffin und den Eintritt der Ergänzungsschöffin in das Quorum entscheiden, da anderenfalls mit dem Gebot besonderer Beschleunigung in Untersuchungshaftsachen eine vorrangige Prozessmaxime beeinträchtigt worden wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 400/20, BGHR GVG § 192 Abs. 2 Verhinderung 4 Rn. 12 ff.; vom - 2 StR 421/17, BGHR GVG § 192 Abs. 2 Ergänzungsrichter 2 Rn. 6). Da sich vor Abtrennung des gegenständlichen Verfahrens alle vier Angeklagten - die Angeklagten E.    und N.    seit Dezember 2020 - in Untersuchungshaft befanden, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Verhinderung der Schöffin am vier Hauptverhandlungstermine mit über 20 Zeugen von dem - sicher feststehenden - krankheitsbedingten Ausfall bis zum erfasst waren und noch zahlreiche Hauptverhandlungstermine anstanden, kommt dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen hier vorrangige Bedeutung zu. Dies gilt auch besonders vor dem Hintergrund, dass - wie die Vorsitzende in ihrer Verfügung ausgeführt hat - eine dauerhafte und kontinuierliche Teilnahme der gesundheitlich angeschlagenen Schöffin, die wegen derselben Krankheitssymptome bereits dreimal zur Behandlung in der Notaufnahme eines Krankenhauses war, an der weiteren Hauptverhandlung nicht sicher war.

12ee) Nach den zuvor ausgeführten Grundsätzen standen die Entscheidungen darüber, ob eine Verhinderung des Schöffen gegeben ist und wann über die Verhinderung zu entscheiden ist, im Ermessen der Vorsitzenden der Strafkammer. Die sorgfältig begründete Entscheidung der Vorsitzenden lässt Willkür nicht erkennen und ist damit nicht zu beanstanden.

132. Die Urteilsformel war hinsichtlich der einbezogenen Strafen (§ 55 Abs. 1, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB) um das Berufungsurteil des Landgerichts Osnabrück vom zu ergänzen, da mit dieser Entscheidung neue Einzelstrafen und eine neue Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt wurden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:070323B3STR399.22.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-38995