BGH Urteil v. - 4 StR 298/22

Revision: Einziehung von Mobiltelefonen bei Drogendelikten; Revisionsbeschränkung auf Gesamtstrafenausspruch; Berücksichtigung der Untersuchungshaft bei Strafzumessung

Gesetze: § 244 Abs 6 S 1 StPO, § 249 StPO, § 344 Abs 1 StPO, § 46 Abs 1 S 1 StGB, § 51 Abs 1 S 1 StGB, § 52 Abs 2 S 1 StGB, § 74 StGB, § 29a Abs 1 BtMG, § 33 BtMG

Instanzenzug: LG Frankenthal Az: 2a KLs 5327 Js 36337/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Gesamtstrafenausspruch beschränkten Revision und der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist im aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Am stellte der Angeklagte dritten Personen sein Wohnanwesen in N.       zur Übergabe von mindestens 29,9 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 1.450 Gramm THC zur Verfügung. Die Betäubungsmittel wurden am Tattag auf den Hof des Grundstücks des Angeklagten verbracht und mit seinem Wissen gewinnbringend weiterverkauft. Der Angeklagte wollte die an dem Geschäft beteiligten Personen durch Bereitstellung seines Wohnanwesens unterstützen (Fall II. 1. der Urteilsgründe).

4Im Herbst 2021 verwahrte der Angeklagte dort ca. 2,4 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 90,37 Gramm THC und 1,7 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10 Gramm THC und einem Cannabidiolanteil von zwölf bis 21 Prozent, ferner ca. 875 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 147,8 Gramm Amphetaminbase sowie 1,6 Gramm Kokain. Die Betäubungsmittel waren zum ganz überwiegenden Teil zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch Dritte bestimmt (Fall II. 2. der Urteilsgründe).

52. Das Landgericht hat auf Einzelstrafen von drei Jahren Freiheitsstrafe (Fall II. 1. der Urteilsgründe) und zwei Jahren Freiheitsstrafe (Fall II. 2. der Urteilsgründe) erkannt. Sodann hat es unter „nochmaliger Würdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden täter- und tatbildrelevanten Umstände […] erneut alle Strafzumessungsfaktoren umfassend gegeneinander abgewogen“ und „im Rahmen einer versehentlich fehlerhaften Anwendung der §§ 53, 54 StGB eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren gebildet“.

II.

6Die Revision des Angeklagten hat nur zum Einziehungsausspruch teilweise Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

71. Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg versagt.

8a) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO wegen unterlassener Bescheidung eines Beweisantrages ist nicht zulässig erhoben; sie wäre aber auch unbegründet.

9aa) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

10Der Verteidiger des Angeklagten stellte am letzten Hauptverhandlungstag einen auf die Verlesung von näher bezeichneten Chatverläufen gerichteten Beweisantrag. Mit ihm sollte unter Beweis gestellt werden, dass die Übergabe der Betäubungsmittel in Fall II. 1. der Urteilsgründe nicht unter der Wohnanschrift des Angeklagten, sondern einer anderen Adresse in derselben Stadt erfolgt sei. Der Verteidiger überreichte dem Vorsitzenden der Strafkammer und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft eine Abschrift dieses Beweisantrags; dieser wurde als Anlage zu Protokoll genommen.

11Direkt im Anschluss wurden die im Beweisantrag genannten Chats von der Vertreterin der Staatsanwaltschaft verlesen. Sodann wurde die Beweisaufnahme fortgesetzt und am Schluss der Sitzung ohne eine förmliche Entscheidung über den Beweisantrag das angefochtene Urteil verkündet.

12bb) Die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, weil sich aus dem Revisionsvorbringen nicht ergibt, ob der Inhalt des unter Beweis gestellten Chatverlaufs im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO oder anderweitig in das Verfahren eingeführt worden ist. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung war das Selbstleseverfahren in Bezug auf verschiedene Chatprotokolle angeordnet. Unter diesen Umständen entspricht es nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn lediglich pauschal behauptet wird, der Beweis sei nicht erhoben worden. Vielmehr hätte es an dieser Stelle einer Auseinandersetzung mit den Umständen bedurft, die gegen die Richtigkeit des Revisionsvorbringens sprechen (vgl. , NStZ 2005, 222; Krehl in KK-StPO, 9. Aufl., § 244 Rn. 226).

13cc) Die Rüge wäre aber auch unbegründet, da sich aus dem Revisionsvorbringen eine Verletzung von § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO nicht ergibt. Alle Beteiligten sind erkennbar davon ausgegangen, dass der Beweisantrag durch die – allerdings rechtsfehlerhafte (vgl. Diemer in KK-StPO, 9. Aufl., § 249 Rn. 30; Ganter in BeckOK-StPO, 46. Edition, § 249 Rn. 22; Kreicker in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 249 Rn. 45; Mosbacher in Löwe/Rosenberg, 27. Aufl., § 249 Rn. 43; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 249 Rn. 15; jeweils mwN) – Verlesung der Chatprotokolle seitens der Vertreterin der Staatsanwaltschaft direkt im Anschluss an die Antragstellung erledigt worden ist. Die Ablehnung des Beweisantrags war von der Strafkammer ersichtlich nicht beabsichtigt. Ein Verstoß gegen § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO wird von der Verteidigung nicht geltend gemacht.

14b) Die weiteren Verfahrensbeanstandungen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom keinen Erfolg.

152. Die auf die Sachrüge gebotene sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

163. Die im Übrigen rechtsfehlerfreien Einziehungsentscheidungen haben in Bezug auf die eingezogenen Mobiltelefone und die Anordnung der erweiterten Einziehung der Armbanduhr keinen Bestand.

17a) Zur Einziehung der Mobiltelefone des Angeklagten hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:

„Die Einziehung der Mobiltelefone des Angeklagten hat keinen Bestand. Die Vorschrift des § 33 BtMG ist keine Grundlage für die Einziehung. Es handelt sich bei dem Mobiltelefon nicht um einen so genannten Beziehungsgegenstand (vgl. Senat, Beschluss vom – 4 StR 166/08 m.w.N.). Ebenso wenig kommt die Möglichkeit der Einziehung als Tatwerkzeug (§ 74 StGB) in Betracht, da vom Landgericht in den Urteilsgründen keine Feststellungen getroffen wurden, dass die Mobiltelefone bei der Begehung der angeklagten und festgestellten Taten verwendet wurden oder verwendet werden sollten oder gefördert haben oder fördern sollten. Es ist auszuschließen, dass insoweit weitere Feststellungen getroffen werden können.“

18Dem schließt sich der Senat an.

19b) Soweit das Landgericht die erweiterte Einziehung einer Uhr der Marke Rolex nach § 73a Abs. 1 StGB angeordnet hat, sieht der Senat aus verfahrensökonomischen Gründen mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung ab.

204. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).

III.

21Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.

221. Das Rechtsmittel ist nicht wirksam auf die Anfechtung der Gesamtstrafe beschränkt, sondern betrifft den Strafausspruch insgesamt (§ 344 Abs. 1 StPO).

23a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft ihren Revisionsangriff ausdrücklich auf den Gesamtstrafenausspruch beschränkt. Diese Beschränkung ist aber nicht wirksam.

24Eine Beschränkung der Anfechtung auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe ist zwar grundsätzlich möglich (vgl. , NStZ-RR 2012, 288; Urteil vom – 3 StR 285/99, NStZ-RR 2000, 13, 14), denn § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB enthält eigene, über § 46 StGB hinausgehende Bewertungsgrundsätze und erfordert einen gesonderten Strafzumessungsvorgang (vgl. dazu im Einzelnen Rissing-van Saan/Scholze in LK-StGB, 13. Aufl., § 54 Rn. 10 ff. mwN). Innerhalb des Strafausspruchs ist die Gesamtstrafenbildung aber nur dann einer getrennten Überprüfung und Beurteilung zugänglich, wenn bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht auf die zur Festsetzung der Einzelstrafen niedergelegten Erwägungen Bezug genommen worden ist (, NStZ-RR 2013, 373; Urteil vom , aaO; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 318 Rn. 20 mwN). Danach erweist sich die Beschränkung der Revision auf den Gesamtstrafenausspruch unter den hier gegebenen Umständen als unwirksam. Denn das Landgericht hat sich bei der Gesamtstrafenbildung ausdrücklich auf die zu den Einzelstrafen genannten Strafzumessungsgesichtspunkte berufen und keine darüber hinausgehenden Erwägungen angestellt.

25b) Die Revision ist aber wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Eine entsprechende Beschränkung ist ohne weiteres zulässig (st. Rspr.; vgl. Rn. 9; Urteil vom – 5 StR 219/20 Rn. 13; Urteil vom – 1 StR 721/95 Rn. 9 mwN; Beschluss vom – 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155 Rn. 20) und entspricht dem Willen der Beschwerdeführerin, wenn schon nicht den Gesamtstrafenausspruch isoliert, jedenfalls aber nicht mehr als den Strafausspruch anzufechten.

262. Die danach gegen den gesamten Strafausspruch gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, weil sowohl die Einzelstrafen- als auch die Gesamtstrafenbildung rechtsfehlerhaft ist.

27a) Die Wahl des Strafrahmens für die Ahndung von Tat II. 2. der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat hierfür ebenso wie für Fall II.1. der Urteilsgründe den nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 und Nr. 3 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu elf Jahren und drei Monaten zugrunde gelegt, obwohl es hier – rechtsfehlerfrei – von einer Strafbarkeit des Angeklagten nicht nur wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sondern tateinheitlich auch von einem täterschaftlichen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 4 BtMG ausgegangen ist. Die Strafkammer hätte daher nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB prüfen müssen, welche dieser beiden Vorschriften die schwerere Strafe androht, wofür der Vergleich der konkret in Betracht kommenden Strafrahmen unter Berücksichtigung von Ausnahmestrafrahmen maßgeblich ist (vgl. Rn. 11; Urteil vom – 4 StR 136/20 Rn. 6; Beschluss vom – 3 StR 123/03, NStZ 2004, 109; Eschelbach in SSW-StGB, 5. Aufl., § 52 Rn. 76; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 52 Rn. 3; jeweils mwN).

28b) Auch die konkrete Strafzumessung für beide Taten nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB weist Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf. So hat das Landgericht jeweils ohne weitere Begründung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich annähernd sechs Monate in Untersuchungshaft befand. Der – auch erstmalige – Vollzug von Untersuchungshaft ist aber regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil diese nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird (st. Rspr.; vgl. Rn. 22; Urteil vom – 4 StR 312/18, NStZ 2019, 81 Rn. 5; Urteil vom – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645 Rn. 9 f.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 46 Rn. 70 mwN). Zwar kann es einen strafmildernden Umstand darstellen, wenn die erlittene Untersuchungshaft mit Beschwernissen für den Angeklagten verbunden ist, die über das Übliche hinausgehen (vgl. dazu Rn. 22; Beschluss vom – 2 StR 507/21 Rn. 4 mwN). Konkrete Beschwernisse in diesem Sinne hat die Strafkammer aber nicht festgestellt. Der Umstand, dass der Angeklagte erstmals Untersuchungshaft erlitten hat, reicht dafür nicht aus (vgl. , NStZ 2012, 147; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 46 Rn. 344 mwN).

29c) Der Wegfall der Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Im Übrigen ist diese aber auch wegen eines Verstoßes gegen § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht auf keine höhere als die Einsatzstrafe erkannt hat.

303. Das Urteil ist daher im gesamten Strafausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Senat hebt auch die diesbezüglichen Feststellungen gemäß § 353 Abs. 2 StPO auf, um der neu zur Entscheidung berufenen Strafkammer eine umfassende und widerspruchsfreie Strafzumessungsentscheidung zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:020323U4STR298.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-38172