Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 5 KLs 850 Js 33863/19nachgehend Az: 5 StR 273/24 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag und mit Urkundenfälschung schuldig gesprochen, ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, hiervon wegen Erfüllung einer Bewährungsauflage aus einer einbezogenen Entscheidung acht Tage als vollstreckt erklärt und Einziehungsentscheidungen getroffen; zudem hat es die Fahrerlaubnisbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der unter anderem wegen Betäubungsmittel- und Verkehrsdelikten mehrfach vorbestrafte und langjährig Drogen konsumierende Angeklagte am gegen 0.30 Uhr mit einem Leichtkraftrad (Yamaha YZF-R 125) Richtung L. , ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Das Kraftrad war weder für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen noch versichert. An ihm war das für ein anderes Motorrad ausgegebene amtliche Kennzeichen L-TS 94 angebracht, um den Anschein ordnungsgemäßer Zulassung zu erwecken. Er führte einen Rucksack mit sich, der ihm von unbekannten Dritten mit dem Auftrag übergeben worden war, ihn nach Le. zu einer weiteren Person zu bringen.
3Im Rucksack befanden sich knapp 215 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von etwa 16 g THC und 7,5 g Crystal mit einem Wirkstoffgehalt von 4,6 g Base, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Zudem waren darin eine schwarze Ledertasche mit knapp 600 Euro Bargeld, ein Pfefferspray und ein – vom Angeklagten selbst dort platziertes – Bajonett mit einer Klingenlänge von 14 cm. Der Angeklagte rechnete mit der Möglichkeit und nahm billigend in Kauf, dass er im Rucksack zum Weiterverkauf bestimmte Drogen in einer nicht geringen Menge transportiert und damit deren Verkauf unterstützt. Für seine Kurierfahrt sollte er Geld oder einen kleinen Anteil der Drogen erhalten. In seinem Gürtel führte der Angeklagte griffbereit ein Klappmesser mit einer feststellbaren Klinge von 8,5 cm Länge mit sich. Messer, Bajonett und Pfefferspray waren zur Verletzung von Menschen geeignet und bestimmt. Eine gegen 2 Uhr am Tattag entnommene Blutprobe ergab, dass der Angeklagte vor Fahrtantritt Crystal und Marihuana zu sich genommen hatte.
42. In seiner Beweiswürdigung ist das Landgericht überwiegend der Einlassung des Angeklagten gefolgt. Danach habe er von Hinterleuten, die er aus Angst nicht nennen wolle, das Motorrad und den Rucksack mit dem Auftrag einer Kurierfahrt nach Le. erhalten, vor Fahrtantritt bei einem Freund noch Drogen konsumiert und von diesem ein Bajonett erworben und in den Rucksack gesteckt, das Pfefferspray dabei aber nicht gesehen. Die Angaben zur Überlassung des Motorrads hat die Strafkammer aufgrund objektiver Beweismittel als unzutreffend bewertet, weil er selbst das falsche Kennzeichen nebst dem zugehörigen Motorrad erworben hat. Im Übrigen hätten die Angaben des Angeklagten zu seiner Kuriertätigkeit „im Rahmen der Beweisaufnahme nicht widerlegt werden“ können; zu seinen Gunsten sei deshalb lediglich von einer Gehilfentätigkeit auszugehen. Das vom Angeklagten am Gürtel getragene Messer könne eine Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht begründen, weil die Haupttäter hiervon keine Kenntnis gehabt hätten.
5Eine relevante Einschränkung der Steuerungs- oder Leistungsfähigkeit durch den vorangegangenen Drogenkonsum hat die Strafkammer auf der Grundlage mehrerer Zeugenaussagen ausgeschlossen. Aufgrund seines langjährigen Konsums sei der Angeklagte so an diese Substanzen gewöhnt, dass sie keine körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen verursachten. Der Sachverständigen folgend hat die Strafkammer weiter ausgeführt: „Aufgrund dieser Einschätzung … bestehe auch keine Veranlassung, die Unterbringung des Angeklagten in einer geschlossenen Einrichtung zu empfehlen, da es bereits an der Eingangsvoraussetzung dazu fehlt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen könnte die Anwendung des § 35 BtMG erwogen werden.“
II.
6Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils.
71. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur bloßen Gehilfentätigkeit des Angeklagten hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil es die Einlassung des Angeklagten, der sie insoweit gefolgt ist, nicht rechtsfehlerfrei gewürdigt hat.
8a) Entlastende Angaben eines Angeklagten sind – wie andere Beweismittel – eigenständig und kritisch insbesondere auf ihre Plausibilität und anhand des übrigen Beweisergebnisses auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen; sie brauchen nicht etwa mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz als „unwiderlegt“ den Feststellungen zugrunde gelegt werden, wenn es für ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit keine Beweise gibt (st. Rspr.; vgl. nur ; Beschluss vom – 5 StR 451/19).
9b) Eine Würdigung der Angaben des Angeklagten findet sich im Urteil lediglich zur Frage der Herkunft des Motorrads bzw. Nummernschildes und zur Beschlagnahme eines ihm gehörenden Geldbeutels. Im Übrigen hat sich die Strafkammer darauf beschränkt, seine Angaben als „nicht widerlegt“ den Feststellungen zugrunde zu legen. Die gebotene kritische Würdigung dieser Angaben hat die Strafkammer unterlassen, obgleich bereits die Tatsache, dass der Angeklagte bei einem wesentlichen Teil seiner Aussage – Herkunft von Motorrad und Nummernschild – nachweislich falsche Angaben gemacht hat, hierfür Anlass gab. In diesem Zusammenhang bleibt auch unerörtert, dass sich in seinem Blut Abbaustoffe genau derjenigen Drogen befanden, die er transportiert hat. Weshalb der Angeklagte bei dem von ihm behaupteten Verstauen des Bajonetts im Rucksack das dort befindliche Pfefferspray nicht gesehen haben will, erschließt sich ohne nähere Ausführungen nicht.
102. Das Landgericht hat zudem nicht in den Blick genommen, dass die Tat auf der Grundlage seiner Feststellungen nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 Var. 4 BtMG strafbar sein könnte. Erlangt der bewaffnete Gehilfe selbst die tatsächliche Sachherrschaft über die Betäubungsmittel, verwirklicht er ein bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln, das mit der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit steht; denn das Sichverschaffen umfasst auch den Erwerb, für den es ausreicht, dass der Erwerber für einen Fremden tätig wird (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 30a Rn. 109). Die bloße Prüfung, ob sich der Angeklagte an einem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln beteiligte, stellt damit keine erschöpfende Würdigung der festgestellten Tat dar.
113. Die Nichtanwendung von § 64 StGB ist ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet. Nach den Feststellungen handelt es sich bei dem Angeklagten um einen langjährigen Drogenkonsumenten. Zudem hat das Landgericht im Einklang mit den Angaben des Angeklagten ausgeführt, seine Tat stehe im Zusammenhang mit seinem langjährigen Drogenkonsum. An welcher Voraussetzung von § 64 StGB es fehlen soll, erschließt sich mangels näherer Begründung nicht. Die Maßregelanordnung nach § 64 StGB hat gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG Vorrang; ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht (st. Rspr.; vgl. nur ).
124. Rechtsfehler zulasten des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils nach § 301 StPO nicht ergeben.
135. Die Sache bedarf nach alledem insgesamt – unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:290323U5STR346.22.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-38030