BSG Beschluss v. - B 7 AS 123/22 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anspruch auf rechtliches Gehör - Recht auf ein faires Verfahren - Mündlichkeitsgrundsatz - Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung - Glaubhaftmachung erheblicher Gründe durch anwaltliche Versicherung - Recht auf den gesetzlichen Richter - Entscheidung über Verlegungsantrag vor Erledigung eines Ablehnungsgesuchs - Heilung - Entbehrlichkeit einer dienstlichen Äußerung gemäß § 44 Abs 3 ZPO)

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 124 Abs 1 SGG, § 110 Abs 3 SGG, § 227 Abs 2 ZPO, § 227 Abs 3 S 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 60 Abs 1 SGG, § 47 Abs 1 ZPO, § 44 Abs 3 ZPO

Instanzenzug: SG Darmstadt Az: S 21 AS 871/18 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 6 AS 199/22 Urteil

Gründe

1Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG). Die Klägerin hat die als Zulassungsgrund allein geltend gemachten Verfahrensmängel nicht schlüssig bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

2Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

3Die Klägerin macht geltend, das LSG habe gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) iVm dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) und dem Mündlichkeitsgrundsatz (§ 124 Abs 1 SGG) verstoßen, weil ihrem Terminverlegungsantrag vom , den sie auf eine urlaubsbedingte Abwesenheit ihrer Prozessbevollmächtigten in der 33. (Schreiben vom ) bzw 34. Kalenderwoche (Schreiben vom ) gestützt habe, nicht entsprochen worden sei.

4Indes ergibt sich aus ihrem Vorbringen, dass sich ihre Prozessbevollmächtigte auch nach dem Hinweis des LSG, der Verhinderungsgrund sei glaubhaft zu machen, mit Schreiben vom (Freitag der 33. Kalenderwoche) darauf zurückgezogen hat, dass gemäß § 227 Abs 3 Satz 1 ZPO ohne Weiteres ein Anspruch auf Verlegung des für den bestimmten Termins bestehe. In Anbetracht der Regelung des § 110 Abs 3 SGG, der § 227 Abs 3 Satz 1 ZPO ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt, ist eine verfahrensfehlerhafte Handhabung des Prozessrechts durch das LSG mit diesem Vorbringen nicht hinreichend aufgezeigt. Dies gilt auch, soweit die Klägerin geltend macht, die Ablehnung der Terminverlegung sei angesichts des anwaltlichen Vortrags "reine Förmelei". Denn selbst wenn man davon ausgeht, die Glaubhaftmachung iS des § 227 Abs 2 ZPO könne durch anwaltliche Versicherung erfolgen, so bedarf diese zumindest einer ausdrücklichen Erklärung des Anwalts (vgl - RdNr 14 mwN). Dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine solche abgegeben habe, hat sie nicht dargebracht. Sie bringt im Gegenteil die Auffassung zum Ausdruck, einer solchen Versicherung bedürfe es nicht.

5Im Zusammenhang mit einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) rügt die Klägerin, der mit Schreiben vom abgelehnte Richter habe nicht am den Terminverlegungsantrag ablehnen dürfen, obwohl über den Ablehnungsantrag noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Der Termin zur mündlichen Verhandlung betreffe unstreitig keine Sache, die in § 227 Abs 3 Satz 2 ZPO aufgezählt worden sei und sei keine unaufschiebbare Maßnahme gemäß § 60 Abs 1 SGG iVm § 47 Abs 1 ZPO.

6Ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, ist damit nicht dargetan. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, weshalb angesichts der Unanwendbarkeit des § 227 Abs 3 Satz 1 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren vorliegend Ausnahmeregelungen dazu zur Anwendung kommen können. Soweit die Klägerin meint, der abgelehnte Richter habe nicht über den Terminverlegungsantrag entscheiden dürfen, weil das keine unaufschiebbare Handlung gewesen sei, entspricht es ständiger Rechtsprechung des BSG, dass eine Versagung rechtlichen Gehörs - ohne dass es auf die inhaltliche Berechtigung zur Verlegung ankommt - grundsätzlich schon anzunehmen ist, wenn der Vorsitzende seiner Verpflichtung zur Bescheidung eines Terminsaufhebungs- bzw Verlegungsantrags nicht nachkommt, obwohl eine Entscheidung nach den Gesamtumständen möglich gewesen wäre (vgl nur - RdNr 9 mwN). Schon aus diesem Grund hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, inwieweit unter diesen Umständen von der Aufschiebbarkeit der Entscheidung auszugehen gewesen sein könnte.

7Das gilt auch, soweit die Klägerin vorgebracht hat, im Zeitpunkt der Ablehnung des Terminverlegungsantrags sei noch nicht rechtskräftig über das Ablehnungsgesuch entschieden worden. Ein Verfahrensfehler ist damit nicht hinreichend bezeichnet. Da die Verletzung einer "Wartepflicht" infolge der Ablehnung eines Richters durch die (wirksame) Zurückweisung des Befangenheitsantrags geheilt wird ( - SozR 3-1500 § 160a Nr 29 S 55 = juris RdNr 4; - RdNr 3; Stackmann in Münchener Komm zur ZPO, 6. Aufl 2020, § 47 RdNr 8 mwN) und diese nach der Beschwerdebegründung erfolgt ist, fehlt es an schlüssigem Vortrag dazu, weshalb es auf die Rechtskraft der Verwerfung oder Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs ankommen soll.

8Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit dem Ablehnungsgesuch gesondert geltend macht, sie habe auf eine Stellungnahme zur dienstlichen Äußerung gemäß § 44 Abs 3 ZPO nicht verzichtet, ist nach der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, dass sich der geltend gemachte Ablehnungsgrund "Besorgnis der Befangenheit Herr Richter …, da er trotz Urlaubszeit nicht verlegen wolle" auf einen nicht aktenkundigen Vorgang bezieht. In diesem Fall wäre schon die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters entbehrlich ( - RdNr 10; AnwZ <Brfg> 61/15 ua - RdNr 14), genauso wie bei der Unzulässigkeit des Antrags (dazu BH - RdNr 6).

9Wegen der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter, weil das LSG nicht gemäß § 153 Abs 5 SGG habe entscheiden dürfen, genügt die Begründung nicht den Anforderungen an die Bezeichnung einer verfahrensfehlerhaften Handhabung dieser Vorschrift (dazu - SozR 4-4300 § 144 Nr 27 RdNr 13). Das gilt sowohl hinsichtlich der bemängelten Länge der Entscheidung angesichts der Zahl der von der Klägerin gestellten Anträge (§ 56 SGG), als auch im Hinblick auf die gerügte Wiedergabe von Rechtsprechung des BSG im Urteil des LSG.

10Mit der Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG), des Anspruchs auf ein faires Verfahren und des Justizgewährungsanspruchs (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) erhebt die Klägerin letztlich inhaltliche Einwände gegen die Entscheidung des LSG. Es geht ihr darum, einen Aufenthaltsgrund dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts gleichzustellen. Das beantwortet sich nicht nach dem für den Ablauf des Gerichtsverfahrens geltenden Vorgaben, sondern nach materiellem Recht und kann damit grundsätzlich nicht zum Erfolg einer Verfahrensrüge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG führen. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 2 SGG und des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG rügt; sie bringt insoweit nur vor, die Entscheidung des LSG sei in der Sache unzutreffend.

11Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:160223BB7AS12322B0

Fundstelle(n):
NAAAJ-37296