BSG Beschluss v. - B 7 AS 97/22 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss vor Ablauf der gerichtlich gesetzten Anhörungsfrist - unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts - absoluter Revisionsgrund - Zurückverweisung

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 33 Abs 1 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: Az: S 13 AS 130/20vorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 7 AS 563/21 Beschluss

Gründe

1I. Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens waren Feststellungs- und Unterlassungsanträge des Klägers im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II.

2Auf die am eingegangene Berufung hörte die Berichterstatterin beim LSG mit Schreiben vom den Kläger zur Zurückweisung der Berufung an. Der 7. Senat halte die Berufung einstimmig für unbegründet und beabsichtige, diese durch Beschluss zurückzuweisen. Es bestehe Gelegenheit, sich binnen zwei Wochen nach Zugang des Schreibens zu äußern. Die Anhörung hat der Kläger am erhalten. Mit beim LSG am eingegangenem Schreiben hat er die Richterinnen und Richter des 7. Senats des LSG abgelehnt, sinngemäß den Geschäftsverteilungsplan angefordert, sich gegen das Schreiben vom gewandt und erklärt, eine Begründung werde zurückgestellt. Mit Beschluss vom hat das LSG die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.

3Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger ua die unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, weil das LSG vor Ablauf der Anhörungsfrist entschieden hat.

4II. Dem Kläger wird antragsgemäß Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist gewährt (§ 67 Abs 1 SGG) wegen der fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags durch ihn und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung seiner Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung der PKH durch den Senat.

5Die zulässige Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

6Der Kläger hat einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Bezogen auf die Verletzung seines Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) hat er den Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Weil bei der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts dessen Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), kommt es auf Ausführungen zu einer möglichen Kausalität zwischen Besetzungsfehler und Verfahrensergebnis nicht an ( - RdNr 11).

7Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 SGG wird jeder Senat beim LSG in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Zu Entscheidungen des Gerichts in hiervon abweichender Besetzung, zB wie hier durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG, an dem die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken (§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 SGG), muss angehört werden. Für die Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG ergibt sich das unmittelbar aus § 153 Abs 4 Satz 2 SGG.

8Fehler im Rahmen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG können sich unterschiedlich auswirken. Eine unterbliebene Anhörung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern. Dagegen tritt diese Wirkung bei nur nicht ordnungsgemäß durchgeführter Anhörung nicht in jedem Fall ein ( - RdNr 10 mwN). Nach der Rechtsprechung des BSG darf das LSG vor Ablauf einer selbst gesetzten Anhörungsfrist die Berufung grundsätzlich nicht nach § 153 Abs 4 SGG zurückweisen (vgl nur - RdNr 6). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend geäußert hat (so schon - RdNr 7) und weitere Stellungnahmen nach Lage der Dinge nicht zu erwarten sind ( - RdNr 8; - RdNr 7 mwN). Ob solche Gründe vorliegen, ist ausgehend vom dargestellten Regel-Ausnahme-Verhältnis nach strengen Maßstäben zu bewerten. Anderenfalls ist die Entscheidung vor Fristablauf vergleichbar mit einer unterbliebenen Anhörung ( - RdNr 6; - RdNr 6).

9Die Entscheidung des LSG vor Ablauf der Anhörungsfrist am durch Beschluss vom ist einer unterbliebenen Anhörung gleichzustellen. Ein Ausnahmefall, der die verfahrensfehlerfreie Entscheidung vor Ablauf der Anhörungsfrist ermöglichen könnte, liegt nicht vor. Insoweit hat der Kläger auf die Anhörung (erneut) vorgebracht, über Anträge aus dem Klageverfahren sei noch gar nicht entschieden, worauf das Anhörungsschreiben der Berichterstatterin nicht eingegangen war. Ungeachtet dessen hatte der Kläger die Richter des 7. Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zu ihrer namentlichen Benennung den Geschäftsverteilungsplan des LSG angefordert. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere Stellungnahmen nicht zu erwarten waren.

10Da die Sache schon wegen der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird (§ 160a Abs 5 SGG), ist nicht darüber zu entscheiden, ob die Entscheidung des Berufungsgerichts für ein Vorgehen nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ermessensfehlerhaft gewesen ist (zum Prüfmaßstab - SozR 3-1500 § 153 Nr 13).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:080323BB7AS9722B0

Fundstelle(n):
VAAAJ-37117