BVerwG Urteil v. - 2 WD 1/22

Entfernung eines rechtsextremen Soldaten aus dem Dienst

Gesetze: Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 21 Abs 2 GG, § 38 WDO 2002, § 58 Abs 1 Nr 5 WDO 2002, § 63 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 123 S 3 WDO 2002, § 139 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 140 Abs 3 S 3 WDO 2002, § 261 StPO, § 7 SG, § 8 Alt 1 SG, § 8 Alt 2 SG, § 10 SG, § 17 Abs 2 S 3 SG, § 23 Abs 1 SG, § 37 Abs 1 Nr 2 SG, § 86a StGB

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft den Vorwurf, die politische Treuepflicht verletzt zu haben.

21. Der ... geborene, ledige Soldat verfügt über die Fachhochschulreife. Er wurde 2014 zum Soldaten auf Zeit berufen und seine Dienstzeit sollte regulär Ende September ... enden. 2016 wurde er zum Obermaat der Besoldungsgruppe A 6M befördert. Die Lehrgänge zum Maat absolvierte er mit guten und befriedigenden Ergebnissen. Im Rahmen seiner militärfachlichen Ausbildung schloss er die zivile Aus- und Weiterbildung zum Mechatroniker erfolgreich ab.

3Seither wird er im ... verwendet. Förmliche Beurteilungen liegen nicht vor. Erstinstanzlich und in der Berufungshauptverhandlung hat der aktuelle Disziplinarvorgesetzte ausgesagt, der Soldat sei fleißig und mache seine Arbeit ordentlich. Er bewege sich leistungsmäßig im oberen bzw. ersten Drittel.

4Das Zentralregister und der Auszug aus dem Disziplinarbuch des Soldaten enthalten keine Eintragungen. Seinen Sicherheitsbescheid hat er wegen des angeschuldigten Dienstvergehens verloren. Mit Verfügung vom wurde er des Dienstes vorläufig enthoben.

5Der ledige Soldat bezieht um 30 % gekürzte Dienstbezüge von etwa 1 760 € netto. Für Warmmiete, Strom und Internet zahlt er etwa 700 €, für einen Autokredit 330 €, für Fahrtkosten etwa 150 € und für Versicherungen 200 €. Er übt als Nebentätigkeit auf 450 €-Basis eine Hausmeistertätigkeit aus.

62. Ein gegen den Soldaten und weitere Mitglieder der dem Fußballclub ... nahestehenden Fußballgruppe "..." wegen gefährlichen Eingriffs in den Eisenbahnverkehr und Sachbeschädigung geführtes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Ermittlungsverfahren war es aufgrund der Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts ... am zur Durchsuchung der Wohnung, des PKW und der dienstlichen Unterkünfte des Soldaten gekommen und anlässlich dessen Fotos angefertigt, die die in Anschuldigungspunkt 1 genannten Gegenstände - mit Ausnahme des Aufklebers "aktionsblog Nazi-Zone" - zeigen; ferner kam es zur Beschlagnahme des in Anschuldigungspunkt 2 aufgeführten USB-Sticks, der sich im Fahrzeug des Soldaten befand, das zu diesem Zeitpunkt in der Werkstatt des ... stand. Mit Beschluss vom entschied das Landgericht ..., dass die parallel gegen ein anderes Gruppenmitglied ergangene amtsgerichtliche Durchsuchungsanordnung rechtswidrig war. Die Staatsanwaltschaft übertrug diese rechtliche Bewertung auch auf den gegen den Soldaten erlassenen Durchsuchungsbeschluss.

73. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) unterrichtete am den Disziplinarvorgesetzten des Soldaten über die Durchführung einer Verdachtsfallbearbeitung und fügte dem auch ein Foto vom Aufkleber "aktionsblog Nazi-Zone" bei. Mit Schreiben vom hat es den Soldaten als Rechtsextremisten eingestuft und unter dem darauf hingewiesen, dass seit 2017 der Verdacht der Zugehörigkeit des Soldaten zur rechtsextremistischen Szene bestehe. Der Soldat war Gründungsmitglied des "... e.V." in ..., der ausweislich des Schreibens des Innenministeriums ... vom als Beobachtungsobjekt eingestuft ist.

84. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft den Soldaten mit einer die ursprüngliche Anschuldigungsschrift ersetzenden Nachtragsanschuldigungsschrift vom angeschuldigt:

"1. Der Soldat besaß zumindest am in seiner Wohnung, ..., mindestens fünf Orden und Ehrenzeichen des Dritten Reiches jeweils mit dem Hakenkreuz versehen, einen auf dem Spiegel angebrachten Propagandaaufkleber 'aktionsblog NAZI-ZONE' sowie Aufkleber 'ASYLANTENHEIM? NEIN DANKE!', zwei Reichskriegsflaggen sowie ein T-Shirt mit dem Aufdruck HTLR 'Meine Ehre heisst Treue', wobei er wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass er dadurch seine Überzeugung zum Ausdruck bringt, dass er das Unrechtsregime des Nationalsozialismus und seine kriegstreibenden Ziele sowie menschenverachtende und ausländerfeindliche Ideologien verharmlost, zumindest aber den Eindruck erweckt, dem Nationalsozialismus sowie menschenverachtenden und ausländerfeindlichen Ideologien nicht ablehnend gegenüberzustehen.

2. Ferner besaß der Soldat in seinem privaten Kraftfahrzeug, amtliches Kennzeichen ..., einen hellblauen USB-Stick der Firma Lexar mit einer Speicherkapazität von 8 GB, auf dem als Tondatenträger Musik im abspielbarem MP3-Format gespeichert war, u. a. der

a) Musikgruppe 'STAHLGEWITTER', mit dem Album 'Germania' u. a. mit dem Lied 'Schwarze Division' mit dem Textbeispiel 'Wir brauchen sie wieder, das ist kein Witz. Die Jungs in schwarz mit dem doppelten Blitz' und dem Lied 'Wir sind im Recht' mit dem Textbeispiel 'Ich denke wie ein nationaler Sozialist. Denn ich weiß genau, was für mein Land das Beste ist. Ich hör erst auf, wenn ich tot am Boden lieg. Doch vorher will ich ihn noch sehen - unseren Sieg'

b) Musikgruppe 'STAHLGEWITTER', mit dem Album 'Auftrag Deutsches Reich' u. a. mit dem Lied 'Auftrag Deutsches Reich' mit dem Textbeispiel 'Die BRD ist uns egal und völlig gleich, denn unsere Heimat ist das Deutsche Reich' und dem Lied 'Ohne Sonne braun' mit dem Textbeispiel 'Die Typen schwarz wie Neger, Frauen wie Afrikanerinnen Wissen die denn nicht: Gesunde Bräune kommt von innen',

c) Musikgruppe 'STAHLGEWITTER', mit dem Album 'Politischer Soldat' u. a. mit dem Lied 'Zurück zu unseren Traditionen' mit dem Textbeispiel 'Ich will als Deutscher unter Deutschen wohnen zurück zu unseren Traditionen'

d) Musikgruppe 'GIGI & Die braunen Stadtmusikanten', mit dem Album 'Adolf lebt' u. a. mit dem Lied 'Bis nach Istanbul' mit dem Textbeispiel 'Räder müssen rollen unentwegt. Alle wissen jetzt, wohin die Reise geht. Mit einem Fläschchen Raki macht es euch bequem. Deutschland werdet ihr nämlich nicht wiedersehen' und dem Lied 'Geschwür im After' mit dem Textbeispiel 'Heute weiß ein jeder stümperhafte Schreiberling: Wessen Brot ich ess, dessen Lüge ich sing. All die geschmierten 'Historikerkommissionen', mit den Lieblingsthemen: Massenmord und Perversionen. Doch Wahrheiten von heute sind die Lügen von morgen Und so viele ihrer Leichen sind bis heute nicht gestorben.'

e) Musikgruppe 'Sturm 18', mit dem Album 'Komm zu uns' u. a. mit dem Lied 'Brauner Terrorist' mit dem Textbeispiel 'Und ihre Fahnen schwarz, weiß und rot Wehen gegen SS-Verbot Wir sind gegen dieses heuchlerische Staatssystem Auch genannt BRD' und dem Lied 'Befiehl wir folgen' mit dem Textbeispiel 'Den Eid geleistet auf Volk und Führer Getreu bis in den Tod Deutschland erwache mit Leidenschaft Befrei das Volk von Unheil und Not',

obwohl er wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass sich die zuvor genannten Lieder mit ihren Liedtexten gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, so dass sie deshalb durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften als jugendgefährdend eingestuft und in die Liste der jugendgefährdenden Schriften eingetragen wurden, wobei er wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass er dadurch seine Überzeugung zum Ausdruck bringt, dass er das Unrechtsregime des Nationalsozialismus und seine kriegstreibenden Ziele sowie menschenverachtende und ausländerfeindliche Ideologien verharmlost, zumindest aber den Eindruck erweckt, dem Nationalsozialismus sowie menschenverachtenden und ausländerfeindlichen Ideologien nicht ablehnend gegenüberzustehen."

95. Das Truppendienstgericht ... hat den Soldaten mit Urteil vom freigesprochen. Es könne offenbleiben, ob das Verwertungsverbot der rechtswidrig erlangten Durchsuchungsfunde auf die Gegenstände, deren Besitz dem Soldaten in Anschuldigungspunkt 1 zur Last gelegt werde, ausgedehnt werden müsse; denn der Soldat habe nach richterlichem Hinweis auf ein etwaiges Verwertungsverbot eingeräumt, dass sie in seiner Wohnung vorgefunden worden seien. Im Übrigen sei die Einlassung des Soldaten nicht zu widerlegen, dass er über keine rechtsradikale Gesinnung verfüge. Das Zurschaustellen diverser Devotionalien sei auch nicht strafrechtlich relevant.

106. Mit ihrer unbeschränkt eingelegten Berufung trägt die Wehrdisziplinaranwaltschaft vor, eine Gesamtschau zeige, dass es sich um Schutzbehauptungen des Soldaten handele und dieser wegen eines schweren Dienstvergehens aus dem Dienstverhältnis zu entfernen sei.

Gründe

11Da die zulässige Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft unbeschränkt eingelegt ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung (1.) mangels Verfahrenshindernissen und wegen des Fehlens von Zurückverweisungsgründen (2.) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (3.), diese rechtlich zu würdigen (4.) und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (5.).

121. Da zum Gegenstand der Urteilsfindung gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 107 Abs. 1 WDO nur die angeschuldigten Pflichtverletzungen gemacht werden dürfen, muss der in der Anschuldigungsschrift gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zu bezeichnende Vorwurf so deutlich und klar sein, dass Umfang und Grenzen des Prozessstoffes konkret bestimmt sind und sich der Soldat für seine Verteidigung darauf einstellen kann (zur Umgrenzungs- und Informationsfunktion: 2 WDB 1.21 - BVerwGE 172, 154 Rn. 12 ff. sowie Urteil vom - 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 17). Dabei darf das wesentliche Ermittlungsergebnis zur Auslegung der Anschuldigungsformel mit herangezogen werden ( 2 WD 11.20 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 10 Rn. 23 m. w. N.). Verbleiben auch danach noch Zweifel, wirkt sich dies zu Lasten des anschuldigenden Bundes aus ( 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 19 m. w. N.).

13In Anwendung dieser Grundsätze ist die Anschuldigungsschrift zu Anschuldigungspunkt 1 noch hinreichend bestimmt, obwohl sie mit der Formulierung, der Soldat habe gewusst, zumindest aber wissen können, dass er das Unrechtsregime - unter anderem - des Nationalsozialismus verharmlose (1. Variante), zunächst den Anschein erweckt, eine tatsächliche Identifikation damit werde ihm nicht vorgeworfen; denn durch die nachfolgende Formulierung, er habe zumindest aber den Eindruck erweckt, dem nicht ablehnend gegenüberzustehen (2. Variante), wird deutlich, dass ihm mit der 1. Variante ein Mehr vorgeworfen wird. Dieses Mehr besteht folglich in dem Vorwurf, die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anzuerkennen, mithin tatsächlich über eine verfassungsfeindliche Gesinnung zu verfügen. Dies folgt zudem aus dem wesentlichen Ermittlungsergebnis, in dem - auf Seite 4 - das Verhalten rechtlich gewürdigt wird. Entsprechendes gilt für die Formulierung zu Anschuldigungspunkt 2.

142. Ein zur Zurückverweisung führender schwerer Verfahrensmangel im Sinne des § 121 Abs. 2 WDO, der die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen Feststellungen zur Schuld des Soldaten erschüttert ( 2 WD 19.11 - juris Rn. 23), liegt auch nicht etwa deshalb vor, weil ein Beweisverwertungsverbot bestanden hätte. Ungeachtet dessen, ob bezogen auf die anlässlich der Wohnungsdurchsuchung gefertigten Fotoaufnahmen wegen der unterschiedlich betroffenen Rechtsgüter im Straf- und Disziplinarverfahren auch im disziplinargerichtlichen Verfahren tatsächlich ein Beweisverwertungsverbot bestanden hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 2225/08 - BVerfGK 16, 22 <28 f.> sowie vom - 2 BvR 2500/09 - BVerfGE 130, 1 <27>), hat der Soldat der Verwertung der Fotografien in der Berufungshauptverhandlung erneut nicht widersprochen (vgl. 2 WD 6.11 - juris Rn. 16 und vom - 2 WD 8.11 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 22, sowie grundlegend: BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 190/91 - BGHSt 38, 214 <225 f.>, vom - StB 14/19 - BGHSt 64, 89 Rn. 27 und vom - 5 StR 197/20 - BGHSt 65, 155 Rn. 21 sowie - BGHSt 61, 266 Rn. 15 f.).

153. In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Senats fest:

16a) Am befanden sich in der Wohnung des Soldaten, ..., in einer Vitrine ausgestellt fünf Orden und Ehrenzeichen des Dritten Reiches jeweils mit dem Hakenkreuz versehen, ein auf dem Spiegel angebrachter Propagandaaufkleber "aktionsblog NAZI-ZONE", ein Aufkleber "ASYLANTENHEIM? NEIN DANKE!", mindestens eine Reichskriegsflagge sowie ein T-Shirt mit dem Aufdruck "HTLR Meine Ehre heisst Treue". Der Soldat hat diese Umstände nicht bestritten, die auf der Grundlage der in die Berufungshauptverhandlung in Augenschein genommenen Fotografien feststehen.

17b) Fast alle der in Anschuldigungspunkt 1 bezeichneten Gegenstände weisen auch einen unmittelbaren nationalsozialistischen Bezug auf.

18Ob die durch den Aufkleber "ASYLANTENHEIM? NEIN DANKE!" objektiv zum Ausdruck gebrachte Meinung noch von dem auch Soldaten gemäß § 6 SG dem Grunde nach zustehenden Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gedeckt ist, welches jedwede durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnete Äußerung unabhängig davon schützt, ob sie sich als wahr oder unwahr erweist, begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos ist ( 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 25 m. w. N.), kann dahingestellt bleiben ( 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 32); jedenfalls bringen die sonstigen Gegenstände bei objektiver Betrachtung eine Identifikation mit nationalsozialistischem Gedankengut zum Ausdruck. Wie bei Äußerungen ist dabei auch bei nonverbalen Bekundungen vom objektiven Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen muss. Dabei sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der sich die Bekundung bewegt, zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Deutung ist nicht die subjektive Absicht des Soldaten, sondern der Sinn, den die Bekundung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Dritten hat (vgl. - NJW 2022, 769 Rn. 17 m. w. N.; 2 WD 20.21 - Rn. 36). Bei mehrdeutigen Bekundungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor eine zu einer Sanktionierung führende Bedeutung zugrunde gelegt wird (vgl. 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 25 und vom - 2 WD 4.21 - NVwZ-RR 2022, 385 Rn. 34).

19Bei objektiver Betrachtung bringen die vom Soldaten nicht im Schrank verschlossenen, sondern in einer Vitrine im Wohnzimmer außenwirksam präsentierten Orden und Ehrenzeichen, die jeweils ein Hakenkreuz als Kennzeichen der NSDAP ( - BGHSt 23, 65 <78>) und damit ein Kennzeichen oder Propagandamittel einer verfassungswidrigen Organisation im Sinne von § 86a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB aufweisen ( 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 25 und 33), eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus zum Ausdruck. Bei objektiver Betrachtung findet auch mit dem Besitz des T-Shirts mit dem Aufdruck "HTLR Meine Ehre heisst Treue" eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus statt, da es sich dabei um den Wahlspruch der nationalsozialistischen Schutzstaffel ("SS") handelte (vgl. - NStZ-RR 2002, 231 <231>; Bundesamt für Verfassungsschutz, Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen, Stand September 2022, S. 65, 82). Evident ist die Identifizierung ferner durch den Aufkleber, der für die Wohnung des Soldaten eine "NAZI-ZONE" reklamiert. Zwar enthält die beim Soldaten aufgefundene Reichskriegsflagge - anders als die Reichskriegsflagge in ihrer Fassung ab 1935 - kein Hakenkreuz (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom - 11 ME 293/20 - juris Rn. 34); jedoch erlangt sie vorliegend in Verbindung mit den vorgefundenen Gegenständen sowie des Umstandes, dass sie namentlich in rechtsextremen Kreisen Verwendung findet, ihre nationalsozialistische Konnotation (Bundesamt für Verfassungsschutz, Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen, Stand September 2022, S. 81).

20c) Nichts anderes gilt für nahezu alle Lieder, deren Inhalt auf dem unter Anschuldigungspunkt 2 beschriebenen USB-Stick aufgezeichnet waren. Dies gilt namentlich für Texte, in denen es heißt "Wir brauchen sie wieder, das ist kein Witz. Die Jungs in schwarz mit dem doppelten Blitz" - Anspielung auf die SS -, "Ich denke wie ein nationaler Sozialist", "Die BRD ist uns egal und völlig gleich, denn unsere Heimat ist das Deutsche Reich", "Und ihre Fahnen schwarz, weiß und rot Wehen gegen SS-Verbot. Wir sind gegen dieses heuchlerische Staatssystem auch genannt BRD" (Reichsbürgergedanken - vgl. 2 WD 10.21 - juris Rn. 20 sowie Verfassungsschutzbericht 2021, S. 102 ff.), "Die Typen schwarz wie Neger, Frauen wie Afrikanerinnen Wissen die denn nicht: Gesunde Bräune kommt von innen", "Doch Wahrheiten von heute sind die Lügen von morgen Und so viele ihrer Leichen sind bis heute nicht gestorben.".

21d) Soweit der Soldat bestreitet, dass die Liedertexte auf einem ihm gehörenden Stick gespeichert waren und sie ihm somit nicht zuzurechnen sind, handelt es sich zur Überzeugung des Senats um eine Schutzbehauptung.

22Zur Erlangung der nach § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 261 StPO erforderlichen Überzeugungsgewissheit zum Vorliegen der Tatumstände reicht ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit aus, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt; insbesondere haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich auf die Annahme einer lediglich denktheoretischen Möglichkeit gründen ( 2 WD 27.11 - juris Rn. 20 m. w. N.). Dabei enthält der Grundsatz der freien Beweiswürdigung keine generellen Maßstäbe für den Aussage- und Beweiswert einzelner zum Prozessstoff gehörender Beweismittel, Erklärungen und Indizien. Insbesondere besteht keine Rangordnung der Beweismittel; diese sind grundsätzlich gleichwertig ( 1 B 45.19 - juris Rn. 8). Nach Maßgabe dessen stützt der Senat seine Überzeugungsgewissheit auf folgende Umstände:

23Der Stick wurde im Handschuhfach des im Eigentum des Soldaten stehenden Kraftfahrzeugs gefunden. Zwar fand es sich zum Zeitpunkt der Beschlagnahme des Sticks nicht im unmittelbaren Besitz des Soldaten, sondern des Herrn ...; gleichwohl begründet dies nicht vernünftige Zweifel dahingehend, dass der Stick nicht dem Soldaten gehörte. Denn auf ihm befanden nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen Polizeihauptkommissar ... und nach den aktenkundigen Feststellungen zwei Fotos, die einen unmittelbaren Bezug zum Soldaten dokumentierten. Zum einen ein Foto vom feierlichen Gelöbnis des Soldaten; zum anderen ein Foto von dessen Spind. Soweit der Soldat behauptet, das Foto von seinem feierlichen Gelöbnis habe er an mehrere Personen versendet, sodass möglicherweise einer dieser Adressaten es auf den Stick gezogen habe, ist bereits diese Annahme lebensfremd. Vor allem aber begründet die Einlassung deshalb einen nur theoretischen und für die richterliche Überzeugungsbildung folglich nicht maßgeblichen Zweifel, weil dies nicht erklärt, warum diese Person auch noch ein Foto vom Spind des Soldaten auf ihren Stick gezogen haben sollte. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob die davon abweichende Aussage des Soldaten vor dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst vom , der Stick sei anlässlich einer außer Kontrolle geratenen Party im Januar 2019 von einer ihm unbekannten Person in seiner Wohnung gelassen worden, wegen des Fehlens einer Belehrung des Soldaten als weiterer Nachweis einer widersprüchlichen und deshalb unglaubhaften Einlassung heranziehbar ist.

24e) Zur Überzeugung des Senats steht des Weiteren fest, dass der Soldat mit den Gegenständen und den gespeicherten Liedtexten nicht nur wissentlich und willentlich den Anschein einer nationalsozialistischen Gesinnung erweckt hat, sondern er sie auch tatsächlich hat.

25Die Einlassung des Soldaten insbesondere zu den von ihm - auch weiterhin - in der Vitrine ausgestellten Orden und Ehrenzeichen, er habe sie als Erbstücke in Gedenken an seinen (Ur-)Großvater ausgestellt, stellt sich ebenso als Schutzbehauptung dar wie die Einlassung, von der Aufschrift auf dem T-Shirt keine Kenntnis gehabt zu haben, weil er es auf links gewaschen und auf links in den Schrank gelegt habe. Entsprechendes gilt für seine Behauptung, er habe den Besitz sowohl des Propagandaaufklebers "NAZI-ZONE“ als auch der Reichskriegsflagge(n) vergessen. Die Vielzahl der aufgefundenen Gegenstände sowie des aufgefundenen Liedguts spricht dagegen, dass der Soldat mit ihnen nicht nur, wie von ihm bereits erstinstanzlich konzediert, durch Nachlässigkeit fahrlässig den Anschein einer Identifikation mit dem Nationalsozialismus erweckt, sondern vielmehr seine Identifikation mit demselben zum Ausdruck gebracht hat.

26Verstärkt wird diese Überzeugungsgewissheit dadurch, dass der Soldat sich nicht darauf beschränkt hat, in einer Vitrine nur die Orden und Ehrenzeichen (angeblich) seines Großvaters auszustellen, sondern auch eine Wodka-Flasche, die ebenfalls mit einem Hakenkreuz versehen war. Abgesehen davon, dass der Soldat gar nicht wusste, was sein Großvater im Krieg konkret gemacht hat, tritt ferner das in Augenschein genommene Foto hinzu, auf dem der Soldat mit weiteren sechs Männern zu sehen ist, von denen jedenfalls vier den Hitlergruß zeigen (vgl. 2 WD 16.16 - juris Rn. 76 und vom - 2 WD 7.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 28); dabei kann dahingestellt bleiben, ob nicht auch der Soldat dort einen durch einen erhobenen Arm mit zurückgezogener Hand "modifizierten" Hitler- bzw. Führergruß erweist.

27Ein weiteres Indiz für dessen rechtsradikale Einstellung bildet zudem, dass er Gründungsmitglied des Vereins "... e.V." gewesen ist, aus dem er nach eigenem Bekunden wegen dessen Rechtslastigkeit ausgetreten sein soll, ohne dies in irgendeiner Weise untermauert zu haben. Angesichts dieser Umstände runden die nur als sekundäre Beweismittel (vgl. 1 B 45.19 - juris Rn. 8; - NStZ 2016, 370 <370>) zu würdigenden Mitteilungen des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst vom über die Einstufung des Soldaten als Rechtsextremisten sowie des Ministeriums für Inneres ... vom (und vom ) über die Einstufung des Vereins "... e.V." als rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt das Gesamtbild stimmig ab.

28Dieses Gesamtbild wird auch nicht durch die Aussage des Zeugen ... in Frage gestellt, der die Einlassung des Soldaten bestätigt hat, von dem Zeugen eine Reichskriegsflagge geschenkt bekommen zu haben und kein Nationalsozialist zu sein. Zum einen stellt dies nicht den Umstand in Abrede, dass der Soldat die Reichskriegsflagge in Besitz genommen und sie nicht zurückgewiesen hat; zum anderen ist der Zeuge nach dem Eindruck des Senats nicht glaubwürdig, sodass dessen Aussage über die verfassungstreue Gesinnung des Soldaten nicht überzeugt. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der Zeuge - ausweislich des Gründungsprotokolls - (zusammen mit dem Soldaten) Gründungsmitglied des als rechtsradikal eingestuften Vereins "... e.V." war und anlässlich der Durchsuchung auch bei ihm Gegenstände (wie Bronzemedaille mit Silhouette von Adolf Hitler, Stahlhelm mit Hakenkreuz, <ebenfalls> Vitrine mit Medaille mit Hakenkreuz, <ebenfalls> Aufkleber "NAZI-ZONE" am Kühlschrank, Schusswaffe, Kfz-Kennzeichen "...–XX 18", Programm der NSDAP, Kette mit "schwarzer Sonne"-Motiv <vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen, Stand September 2022, S. 81>) aufgefunden wurden, die ebenfalls eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus belegen. Dafür spricht zudem dessen Aussage in der Berufungshauptverhandlung, man habe diese Gegenstände bei ihm gefunden, weil er "vielleicht mal so gedacht habe". Die zahlreich bei ihm aufgefundenen Gegenstände nationalsozialistischer Couleur widerlegen zudem dessen Aussage, er interessiere sich für Politik "nicht wirklich".

29Dass der Soldat nach Aussage des Leumundszeugen im Dienst nicht durch rechtspolitische Äußerungen in Erscheinung getreten ist, ändert an der Überzeugungsgewissheit des Senats ebenfalls nichts. Denn der Soldat ist intelligent genug, die disziplinarische Relevanz solcher Äußerungen zu erkennen und sich ihrer im Dienst aus taktischen Erwägungen zu enthalten.

304. Der Soldat hat damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.

31a) Die dienstgradunabhängige ( 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 41) Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Sie fordert von ihm mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung ( - BVerfGK 13, 531 <535 f.>) und sie gehört zu den elementaren soldatischen Pflichten, deren Verletzung eine der schwersten Pflichtwidrigkeiten bildet ( 2 WD 26.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 39 Rn. 49 m. w. N.).

32Der Begriff "freiheitliche demokratische Grundordnung" in § 8 SG ist identisch mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie er bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG konturiert worden ist. Daraus folgt eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts ist danach die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Schließlich erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Mit der politischen Treuepflicht ist folglich ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den "Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes" (vgl. - BVerfGE 124, 300 <328>; 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 54 und vom - 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 28 ff.).

33Danach hat der Soldat nicht nur wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich, gegen die Verpflichtung verstoßen, für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG einzutreten, welche verlangt, auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung - etwa aus Solidarität zu Freunden, aus Übermut, aus Provokationsabsicht oder aus anderen Gründen ( 2 WD 4.21 - NVwZ-RR 2022, 385 Rn. 44) - nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen und sich objektiv betrachtet, illoyal zu verhalten ( 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 36 ff. und vom - 2 WD 7.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 28); er hat mit seinem als gelebte Auffassung in Erscheinung getretenen und somit das "forum internum" verlassenden Verhalten (dazu 2 C 25.17 - BVerwGE 160, 370 Rn. 25; - BVerfGK 13, 531 <540 f.>; Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 8 Rn. 30) seine innere Abkehr von den Fundamentalprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Ausdruck gebracht und damit auch gegen die Pflicht nach § 8 Alt. 1 SG verstoßen, sie anzuerkennen.

34b) Damit einher geht eine vorsätzliche und schuldhafte Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG ( 2 WD 10.21 - juris Rn. 41), weil sie die Beachtung der auch außerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Anlagen bestehenden politischen Treuepflicht nach § 8 SG verlangt und das Verhalten des Soldaten keinen unmittelbaren funktionellen Bezug zum Dienst aufwies ( 2 WD 2.21 - juris Rn. 24).

35Darüber hinaus einen Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht durch einen Verstoß gegen den - einen Strafrahmen bis zu drei Jahre vorsehenden - § 86a StGB anzunehmen, verbietet sich, weil der Soldat durch das Vorhalten der Gegenstände im privaten Wohnbereich sie nicht verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt verwendet und auch nicht den Inhalt, den ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland hergestellt, vorrätig gehalten, eingeführt oder ausgeführt hat. Die Straflosigkeit des Verhaltens nimmt ihm jedoch nicht seine disziplinarische Relevanz ( 2 C 25.17 - BVerwGE 160, 370 Rn. 84).

36c) Ein Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG liegt nicht vor, weil § 17 Abs. 2 Satz 3 SG eine abschließende Regelung für außerdienstliche Verfehlungen bildet ( 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 50 m. w. N.).

375. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

38a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Ist das Verhalten eines Soldaten - wie vorliegend festgestellt - Ausdruck einer tatsächlich nationalsozialistischen Gesinnung, ist regelmäßig die Höchstmaßnahme zu verhängen ( 2 WD 35.01 - Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 4 S. 24 f. und vom - 2 C 25.17 - BVerwGE 160, 370 Rn. 25 f.; Beschlüsse vom - 2 WDB 6.02 - S. 15 ff. und vom - 2 WDB 3.19 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 8 Rn. 23). Dies ist bei einem Soldaten im aktiven Dienst gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 5 WDO i. V. m. § 63 Abs. 1 Satz 1 WDO die Entfernung aus dem Dienstverhältnis. Denn es liegt sowohl eine Verletzung der Anerkennungspflicht aus § 8 Alt. 1 SG als auch der Eintretenspflicht aus § 8 Alt. 2 SG vor.

39b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet. Dabei müssen die Milderungsgründe umso gewichtiger sein, je schwerer das Dienstvergehen wiegt ( 2 WD 3.17 - Die Bundeswehr 2020, Nr. 9, 80 <81>). Nach Maßgabe dessen besteht kein Grund, von der Höchstmaßnahme abzuweichen:

40Das bei dem Soldaten weder Reue noch Unrechtseinsicht vorhanden waren, darf zwar nicht als erschwerender, kann ihm aber auch nicht als mildernder Umstand zugerechnet werden ( 2 WD 9.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 80 Rn. 39). Erschwerend ist als Folge des Dienstvergehens jedoch einzustellen, dass er seit August 2019 des Dienstes vorläufig enthoben ist, bei ihm ein Sicherheitsrisiko festgestellt wurde und er über die Vorgesetzteneigenschaft (§ 10 SG) verfügte. Mildernd einzustellen wären im Grundsatz zwar die sich nach den Aussagen des aktuellen Disziplinarvorgesetzten im oberen Drittel bewegenden Leistungen des Soldaten; da jedoch die Höchstmaßnahme im Raum steht, würde selbst eine Nachbewährung ihr nicht entgegenstehen. Denn die persönliche Integrität eines Soldaten, zu der in besonderem Maße seine Verfassungstreue als Eignungsmerkmal gehört (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG) gehört, steht gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation, sodass gravierende Defizite der persönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn führen, nicht durch Fachkompetenz ausgeglichen werden können ( 2 WD 18.18 - Buchholz 450.2 § 63 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 40).

416. Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO, § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO. Es liegen keine Gründe vor, die es unbillig erscheinen ließen, den Soldaten mit den Kosten des Verfahrens und den ihm darin erwachsenen Auslagen zu belasten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:011222U2WD1.22.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-37049