BGH Beschluss v. - XIII ZB 58/21

Instanzenzug: LG Dresden Az: 2 T 403/21vorgehend AG Dresden Az: 470 XIV 317/21 B

Gründe

1Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, hielt sich jedenfalls seit 2018 in Deutschland auf und stellte unter Aliaspersonalien einen Asylantrag, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Bei der Passbeschaffung konnte die wahre Identität des Betroffenen ermittelt werden. Nachdem er verschiedentlich unbekannten Aufenthalts war, wurde er am festgenommen.

2In der Anhörung vor dem Amtsgericht am erklärte er, er wolle einen Anwalt, den bezahle seine Freundin. Er wurde von der Richterin darauf hingewiesen, dass er in der Einrichtung telefonieren und einen Rechtsanwalt beauftragen könne, womit er sich einverstanden erklärte. Am gleichen Tag hat das Amtsgericht Abschiebungshaft bis zum angeordnet. Der Betroffene hat am Beschwerde eingelegt. Er hat ferner den Rechtsbeschwerdeführer als seine Vertrauensperson benannt. Er solle zum Verfahren hinzugezogen werden und in seinem Interesse einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft analog § 62 FamFG einlegen.

3Am hat der Rechtsbeschwerdeführer sich gemäß § 66 FamFG der laufenden Beschwerde des Betroffenen angeschlossen, einen Haftaufhebungsantrag gemäß § 426 Abs. 2 FamFG gestellt und für den Fall der Haftentlassung "bereits jetzt im Interesse des Betroffenen beantragt, das Verfahren als Feststellungsverfahren nach § 62 FamFG fortzusetzen und festzustellen, dass der Haftbeschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat".

4Am hat der Betroffene Rechtsanwalt D. als seinen Rechtsanwalt benannt. Das Amtsgericht hat daraufhin eine erneute Anhörung auf den anberaumt und den Rechtsanwalt geladen, der indes mitgeteilt hat, dass er den Betroffenen nicht vertrete. Nach erneuter Anhörung hat das Amtsgericht am erneut Abschiebungshaft bis zum angeordnet.

5Nach der Abschiebung des Betroffenen am hat das Landgericht am "den Antrag des Betroffenen vom 25. Juni und 26. Juni festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom in der Fassung des Beschlusses vom den Betroffenen in seinen Rechten verletzt", zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Rechtsbeschwerdeführer mit der Rechtsbeschwerde, mit der er seinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft für den Zeitraum vom bis weiterverfolgt.

6I. Die Rechtsbeschwerde hat ganz überwiegend keinen Erfolg.

71. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, zwar sei die Anschlussbeschwerde der Vertrauensperson mit dem Ziel, das Hauptrechtsmittel zu unterstützen, unzulässig. Das Schreiben der Vertrauensperson vom könne im Zusammenhang mit der Beschwerde des Betroffenen vom aber dahin ausgelegt werden, dass auch der Betroffene selbst die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft begehre. Indes hätten die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft vorgelegen.

82. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Rechtsbeschwerdeführer konnte entsprechend § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG Rechtsbeschwerde einlegen. Dabei kann dahinstehen, ob er noch in erster Instanz hätte beteiligt werden müssen, § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG. Jedenfalls wurde er im Beschwerdeverfahren gemäß § 7 Abs. 3, § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG zu Recht als Beteiligter hinzugezogen (, juris Rn. 4).

93. Auf die Rechtsbeschwerde ist der angefochtene Beschluss des Landgerichts aufzuheben.

10a) Zu Recht geht die Rechtsbeschwerde davon aus, dass der Betroffene - anders als das Landgericht meint - zusammen mit der gegen die Haftanordnung vom eingelegten Beschwerde keinen Feststellungsantrag gestellt hat.

11aa) Der Betroffene oder für ihn seine Vertrauensperson darf unabhängig von der Einlegung und Durchführung einer Beschwerde gegen die Haftanordnung eine Aufhebung der Haft gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG beantragen. Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Verfahren mit unterschiedlichen Voraussetzungen, das mit Blick auf die auch verfassungsrechtlich mit Art. 104 GG hervorgehobene Bedeutung des Freiheitsgrundrechts sicherstellen soll, dass eine angeordnete Haft aufgehoben wird, wenn die Haftanordnung fehlerhaft war oder der Betroffene durch die Fortdauer der Haft in seinen Rechten verletzt wird (vgl. , juris Rn. 8 mwN). Erledigen sich sowohl das Beschwerdeverfahren als auch der Haftaufhebungsantrag durch die Entlassung des Betroffenen, kann aber über einen Feststellungsantrag gemäß § 62 FamFG nur einmal abschließend entschieden werden. In diesem Fall ist derjenige Feststellungsantrag, der später rechtshängig geworden ist, durch die Rechtshängigkeit des früheren gesperrt und folglich unzulässig (, juris Rn. 18).

12bb) Vor diesem Hintergrund macht die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend, dass der haftrechtlich versierte Rechtsbeschwerdeführer, der nach seinem Vortrag die Anträge des Betroffenen selbst vorformuliert hat, den Feststellungantrag gemäß § 62 FamFG eindeutig nur im Haftaufhebungsverfahren gestellt hat. Mit der Formulierung "das Verfahren" in Ziffer 3 des am beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatzes konnte nur das unmittelbar zuvor unter Ziffer 2 anhängig gemachte Haftaufhebungsverfahren gemeint sein, während die vom Betroffenen unterzeichnete Beschwerde gerade keinen Feststellungsantrag enthält. So sollte nach dem Vortrag des Rechtsbeschwerdeführers ein Rechtshängigkeits- und Rechtskraftkonflikt im Haftanordnungs- und im Haftaufhebungsverfahren vermieden werden, was nach dem oben Ausgeführten sachgerecht ist. Auch mit der Anschlussbeschwerde konnte der Rechtsbeschwerdeführer keinen Feststellungsantrag gemäß § 62 FamFG anhängig machen. Denn die Anschließung darf nicht über den Verfahrensgegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung hinausgehen (, FamRZ 2016, 794 Rn. 18; Sternal in Keidel, FamFG, 21. Aufl., § 66 Rn. 12).

13b) Beim Landgericht war folglich nur die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom verfahrensgegenständlich. Die Entscheidung über den Haftaufhebungsantrag und den mit ihm verbundenen Feststellungsantrag ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde beim Landgericht nicht angefallen. Weder hat das Amtsgericht über den Haftaufhebungsantrag entschieden, noch hat der Rechtsbeschwerdeführer gegen eine solche (nicht getroffene) Entscheidung Beschwerde eingelegt. Auch durch die Anschlussbeschwerde konnte der Feststellungsantrag - wie bereits ausgeführt - nicht verfahrensgegenständlich werden.

14aa) Das Amtsgericht, das nach Eingang des Schriftsatzes des Rechtsbeschwerdeführers die Übersendung der "Beschwerden" vom 24. und an die beteiligte Behörde verfügt hatte, hat keine Entscheidung im Haftaufhebungsverfahren getroffen. Es hat den Betroffenen zwar am erneut angehört. Diese Anhörung erfolgte ausweislich des Protokolls und des Beschlusses aber nicht im Haftaufhebungsverfahren, sondern diente der Heilung eines (möglichen) Verfahrensfehlers wegen der Verletzung des fairen Verfahrens im Verfahren über die Haftanordnung (vgl. auch den Beschluss vom - XIII ZB 47/22, z.V. best. Rn. 1 ff.). Dem Beschluss vom kann im vorliegenden Fall auch nicht durch Auslegung (vgl. etwa , juris Rn. 12) entnommen werden, dass damit auch über den Haftaufhebungsantrag entschieden worden sei. Weder aus dem Protokoll der Anhörung noch aus dem Beschluss selbst ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht über den Haftaufhebungsantrag entscheiden wollte und entschieden hat, zumal der Rechtsbeschwerdeführer angekündigt hatte, den Haftaufhebungsantrag nach erfolgter Akteneinsicht zu begründen, und weder Akteneinsicht gewährt worden ist noch eine Begründung erfolgt war und der Rechtsbeschwerdeführer am Verfahren auch nicht beteiligt worden ist. Vor diesem Hintergrund verbietet sich auch, in der Nichtabhilfeentscheidung vom , die lediglich das Beschwerdeverfahren betrifft, eine Entscheidung im Haftaufhebungsverfahren zu sehen.

15bb) Das Haftaufhebungsverfahren hätte zudem beim Landgericht nur anfallen können, wenn der Rechtsbeschwerdeführer gegen eine (etwaige) Entscheidung des Amtsgerichts im Haftaufhebungsverfahren Beschwerde eingelegt hätte. Das war aber nicht der Fall. Soweit der Rechtsbeschwerdeführer behauptet, er habe per E-Mail vom einen Schriftsatz eingereicht, der nicht zur Akte gelangt sei, kann dahinstehen, ob das zutrifft und dem Schriftsatz eine Beschwerde entnommen werden könnte. Der frühestens am vollständig ausgedruckte und zur Akte gelangte Schriftsatz war durch die Übermittlung per E-Mail entgegen § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor der hier angegriffenen Entscheidung des Beschwerdegerichts vom nicht wirksam eingereicht worden (, NJW 2019, 2096 Rn. 16 f.).

16c) Das Landgericht hätte im Verfahren über die Beschwerde des Betroffenen gegen die Haftanordnung eine Sachentscheidung nicht mehr treffen dürfen, weil sich die Hauptsache erledigt hatte (vgl. , juris Rn. 6). Ein Feststellungsantrag gemäß § 62 FamFG war - wie oben ausgeführt - nicht Verfahrensgegenstand, sondern sollte nach den eindeutigen Anträgen, denen die Erklärungen der Vertrauensperson im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechen, im Haftaufhebungsverfahren weiterverfolgt werden. Dabei kann dahinstehen, ob die Erledigung bereits durch den zweiten auf deren Grundlage die Haft nunmehr vollzogen wurde, eingetreten war oder sich der Beschluss vom mit der Entlassung des Betroffenen am erledigt hat. Der Beschluss des Landgerichts war daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG).

174. Der Senat kann gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst entscheiden, da sie entscheidungsreif ist. Nach Erledigung der Hauptsache war die Beschwerde gegen die Haftanordnung wegen des bereits in der Beschwerdeschrift des Betroffenen vom enthaltenen Kostenantrags nur noch wegen der Kosten zulässig; im Übrigen durfte eine Entscheidung nicht mehr ergehen.Gemäß § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1 FamFG ist über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach käme es für die Kostenentscheidung erster Instanz darauf an, ob das Rechtsmittel des Betroffenen ohne die Erledigung der Hauptsache begründet gewesen wäre (vgl. , juris Rn. 7 f. mwN). Das ist im vorliegenden Fall indes nicht zu prüfen, weil das Amtsgericht über die Kosten des Haftanordnungsverfahrens im Beschluss vom bereits entschieden hat. Dieser Beschluss ist gemäß § 45 FamFG rechtskräftig geworden, weil der Betroffene dagegen keine Beschwerde eingelegt hat (vgl. , z.V. best. Rn. 9 ff.) und steht einer Änderung der Kostenentscheidung daher entgegen (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom - Vf. 81-VI-17, juris Rn. 23 mwN).

185. Da die Vertrauensperson insoweit unterlegen ist, als sie den Feststellungsantrag im Rechtsbeschwerdeverfahren weiterverfolgt hat, ergibt sich für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Berücksichtigung des teilweisen Unterliegens und des geringfügigen Obsiegens durch die gebotene Aufhebung des an gefochtenen Beschlusses die aus dem Tenor ersichtliche Kostenverteilung. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140223BXIIIZB58.21.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-36735