BFH Urteil v. - II R 40/20 BStBl 2023 II S. 1012

Zurechnung von Grundstücken nach Abschluss einer Vereinbarungstreuhand

Leitsatz

1. Hat das FA in einem Feststellungsbescheid nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG Feststellungen zu mehreren Grundstücken getroffen, von denen eines oder mehrere nicht in die Feststellungen hätte einbezogen werden dürfen, ist der Bescheid insgesamt rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Eine bloße Änderung oder nur teilweise Aufhebung des Feststellungsbescheids ist nicht möglich.

2. Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.

Für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG ist es ihr nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.

3. Der BFH kann über die Entscheidung des FG hinaus zu Lasten des Revisionsklägers in der Sache entscheiden, wenn die Entscheidung eine unvermeidbare Folge einer prozessual gebotenen Aufhebung des angefochtenen Urteils und der erneuten Entscheidung über den Klageantrag ist. [1]

Gesetze: FGO § 96 Abs. 1 Satz 2; FGO § 100 Abs. 1 Satz 1; FGO § 100 Abs. 2; FGO § 121; GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG § 1 Abs. 2; GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 3; GrEStG § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, erwarb durch Kaufvereinbarung vom von der MG 100 % der Anteile an der DN. Die DN war teils mittelbar, teils unmittelbar zu insgesamt 100 % an drei GmbHs beteiligt, die Eigentümer inländischen Grundbesitzes in verschiedenen Bundesländern und Finanzamtsbezirken waren.

2 Mit Treuhandverträgen vom hatte die MG mit den GmbHs jeweils eine Vereinbarungstreuhand begründet. Danach hielten die GmbHs als Treuhänder mit Wirkung ab dem einen erheblichen Teil der zu ihrem bisherigen Geschäftsbetrieb gehörenden Vermögensgegenstände einschließlich Grundbesitz, jedoch ohne Beteiligungen, für Rechnung und Gefahr der MG als Treugeber.

3 Parallel zur Kaufvereinbarung vom übertrug MG sämtliche Rechte und Pflichten aus den Treuhandverträgen auf Tochtergesellschaften der Klägerin. Auch für diese Übertragungen wurde —ebenso wie bereits zuvor für die Treuhandvereinbarungen vom — Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes in der 2004 geltenden Fassung (GrEStG) festgesetzt.

4 Mit Bescheid vom stellte das seinerzeit zuständige Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für den unmittelbaren Erwerb der Anteile an der DN aufgrund Kaufvereinbarung vom gesondert fest. Neben den im Eigentum der drei GmbHs befindlichen Grundstücken erfasste der Bescheid ein im Eigentum einer Tochtergesellschaft einer der GmbHs stehendes Gebäude in Z. Der Feststellungsbescheid wurde am aus im Revisionsverfahren nicht streitigen Gründen geändert. Der gegen den Bescheid vom in Gestalt des Änderungsbescheids vom eingelegte Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom zurückgewiesen.

5 Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG), während dessen ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel zugunsten des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) stattfand, beantragte die Klägerin sinngemäß, die Bescheide dahingehend zu ändern, dass die Feststellungen nur in Bezug auf das Gebäude in Z verbleiben und im Übrigen aufgehoben werden.

6 Das FG gab der Klage in der so formulierten Weise statt und führte im Wesentlichen aus, durch die Kaufvereinbarung sei zwar ein grunderwerbsteuerbarer Vorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG verwirklicht worden. Die Grundstücke hätten zunächst auch der DN „gehört“ i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG, da sie zu 100 % an den GmbHs beteiligt gewesen sei. Diese Zurechnung habe jedoch bereits vor dem Stichtag geendet, da der Grundbesitz durch die Treuhandverträge vom Gegenstand eines Veräußerungsvorgangs i.S. des § 1 Abs. 1 oder zumindest nach § 1 Abs. 2 GrEStG gewesen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 477 veröffentlicht.

7 Mit seiner Revision macht das FA eine Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG geltend. Die Treuhandvereinbarungen vom stellten kein Verpflichtungsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG dar. Bei Begründung einer Vereinbarungstreuhand könne es lediglich zu einem Übergang der Verwertungsbefugnis nach § 1 Abs. 2 GrEStG, nicht aber zu einem Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG kommen. Bei der Übertragung der Verwertungsbefugnis wiederum würden zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum auseinanderfallen. Daher könne grunderwerbsteuerrechtlich eine doppelte Zurechnung —beim Treuhänder als zivilrechtlichem und beim Treugeber als wirtschaftlichem Eigentümer— vorgenommen werden. Die der MG eingeräumte Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG ändere nichts daran, dass die Grundstücke i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG nach wie vor zum Vermögen der GmbHs gehörten und über die Beteiligung der DN an diesen GmbHs daher auch der DN zuzurechnen gewesen seien.

8 Das FA beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9 Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10 Die Treuhandverträge vom seien Rechtsgeschäfte i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, sodass die Grundstücke am Steuerstichtag nicht mehr i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG der MG „gehört“ hätten. Aber selbst wenn man davon ausgehe, dass der MG aufgrund der Vereinbarungstreuhand lediglich eine Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG eingeräumt worden sei, seien die Grundstücke nur noch der MG als Treugeber und wirtschaftlichem Eigentümer zuzurechnen gewesen.

Gründe

II.

11 Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Vorentscheidung ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil dem FG die Befugnis zu der von ihm vorgenommenen Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheids fehlte (dazu 1.). Über den Antrag der Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren ist erneut zu entscheiden (dazu 2.). Die Sache ist spruchreif. Der Feststellungsbescheid vom , der Änderungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom sind rechtswidrig und daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). § 1 Abs. 3 GrEStG ist nicht erfüllt, da die Grundstücke am der DN nicht mehr i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG „gehörten“ (dazu 3.).

12 1. Die Vorentscheidung war bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG durfte den angefochtenen Feststellungsbescheid nicht nach § 100 Abs. 2 FGO ändern.

13 a) Fehlt dem FG die Befugnis zu der von ihm vorgenommenen Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheids, ist sein Urteil aufzuheben (z.B. , BFHE 248, 228, BStBl II 2015, 405).

14 b) Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG. Nach dieser Vorschrift werden die Besteuerungsgrundlagen in den Fällen des § 1 Abs. 2a und 3 (heute Abs. 2a bis 3a) GrEStG durch das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung der Gesellschaft befindet, gesondert festgestellt, wenn ein außerhalb des Bezirks dieses Finanzamts liegendes Grundstück oder ein auf das Gebiet eines anderen Landes sich erstreckender Teil eines im Bezirk dieses Finanzamts liegenden Grundstücks betroffen wird.

15 Die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 Abs. 3 GrEStG hat für alle von einem der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang betroffenen Grundstücke in nur einem Verwaltungsakt zu erfolgen (BFH-Urteil in BFHE 248, 228, BStBl II 2015, 405, Rz 22; vgl. auch , BFHE 174, 465, BStBl II 1994, 819).

16 c) Hat das Finanzamt in einem solchen Feststellungsbescheid Feststellungen zu mehreren Grundstücken getroffen, von denen eines oder mehrere nicht in die Feststellungen hätten einbezogen werden dürfen, ist der Bescheid insgesamt rechtswidrig und deshalb nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben. Eine bloße Änderung oder nur teilweise Aufhebung des Feststellungsbescheids nach § 100 Abs. 2 FGO ist nicht möglich. Die Änderung der Angabe der betroffenen Grundstücke stellt insbesondere keine bloß betragsmäßige Änderung der Besteuerungsgrundlagen dar.

17 d) Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen, sodass sein Urteil aufzuheben ist. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob Ziffer 1 des Tenors des FG-Urteils hinreichend bestimmt ist, insbesondere, ob durch die Angabe „... die Feststellungen zu den betroffenen Grundstücken mit Ausnahme ...“ in Verbindung mit der dem angefochtenen Bescheid beigefügten Grundstücksliste die durch die Anteilsvereinigung betroffenen Grundstücke so ausreichend bezeichnet sind, dass das FA den Bescheid umsetzen kann.

18 2. Nach der Aufhebung der Vorentscheidung ist erneut über den im finanzgerichtlichen Verfahren gestellten Antrag zu entscheiden.

19 Der Antrag der Klägerin im FG-Verfahren ist dahingehend zu verstehen, dass sie die vollumfängliche Aufhebung des Feststellungsbescheids, des Änderungsbescheids und der Einspruchsentscheidung begehrt. Die Klägerin hatte zwar zuletzt selbst einen eingeschränkten Antrag formuliert. Ein unter Verkennung der Entscheidungsmöglichkeiten nach § 100 FGO gestellter Antrag kann aber dahingehend sachdienlich ausgelegt werden, dass die Aufhebung aller angefochtenen Bescheide begehrt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 248, 228, BStBl II 2015, 405). Dies entspricht sinngemäß dem ursprünglichen Antrag der Klägerin im FG-Verfahren mit Schriftsatz vom .

20 Der BFH darf im Revisionsverfahren zwar nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Er kann diesbezüglich die Klageschrift selbst auslegen (vgl. , BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306, unter I.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht. Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung (, BFH/NV 2012, 1628, Rz 9, m.w.N.).

21 3. Der so ausgelegte Antrag der Klägerin hat Erfolg. Der Feststellungsbescheid vom , der Änderungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie waren daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im Ergebnis zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die Grundstücke am der DN nicht mehr i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG „gehörten“ (dazu a). Entgegen der Auffassung des FG konnte der Fehler des FA in dem angegriffenen Bescheid aber nicht durch dessen Änderung behoben werden. Vielmehr waren der Bescheid, der Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben (dazu b). Der vollständigen Aufhebung der Bescheide steht auch das Verböserungsverbot nicht entgegen (dazu c).

22 a) Am „gehörten“ die Grundstücke der DN nicht mehr i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG.

23 aa) Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt der Steuer, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a (heute auch Abs. 2b) GrEStG nicht in Betracht kommt, u.a. ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 % (heute 90 %) der Anteile der Gesellschaft begründet (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG).

24 (1) Ob ein Grundstück i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG zum Vermögen der Gesellschaft „gehört“, richtet sich weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 der Abgabenordnung. Maßgebend ist vielmehr die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung (vgl. , BFHE 247, 343, BStBl II 2015, 402, Rz 18, und vom  – II R 44/18, BFHE 275, 373, Rz 22).

25 (a) Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG ist es ihr nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG (und die Verwertungsbefugnis einschließenden) oder einen unter § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.

26 (b) Ein (nach den Grundsätzen unter (a)) einer anderen Gesellschaft zuzurechnendes inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang (hinsichtlich der Anteile an dieser Gesellschaft) zuzurechnen, wenn sie zuvor hinsichtlich dieses Grundstücks einen unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fallenden (fiktiven) Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG ist es ihr jedoch in dem Moment nicht mehr zuzurechnen, in dem ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht. Dasselbe gilt, wenn ihre Beteiligung an der grundbesitzenden Gesellschaft unter 95 % (heute 90 %) sinkt oder der grundbesitzenden Gesellschaft nach den unter (a) genannten Grundsätzen das Grundstück nicht mehr zuzurechnen ist.

27 (c) Soweit der Senat für Erwerb und Verlust der Zurechnung bisher auf Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 1 bis (!) 3a GrEStG abgestellt hat, läuft die Formulierung für Erwerbe nach § 1 Abs. 2a (heute auch Abs. 2b) GrEStG, die lediglich eine neue Gesellschaft fingieren und bei denen sich die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung nicht ändert, leer. Der Senat hält insoweit daran nicht fest.

28 (d) Entsprechendes gilt für die Zurechnung eines Grundstücks für Zwecke des § 1 Abs. 2a (heute auch Abs. 2b) und Abs. 3a GrEStG, denn auch diese Tatbestände betreffen Gesellschaften, denen ein Grundstück „gehört“.

29 Die Verwirklichung von anderen Erwerbstatbeständen nach § 1 GrEStG bleibt hiervon ausdrücklich unberührt.

30 (2) Die vorstehenden Grundsätze finden auch bei mehrstöckigen Beteiligungen Anwendung. Ein Grundstück einer Untergesellschaft ist einer Obergesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich nur zuzurechnen, wenn die Obergesellschaft selbst es aufgrund eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG erworben hat. Der bloße Erwerb des Grundstücks durch die Untergesellschaft führt nicht zu einer automatischen Zurechnung bei der Obergesellschaft bzw. im Falle mehrstöckiger Beteiligungsketten bei den Obergesellschaften. Das bloße Halten einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe stellt selbst keinen grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang dar (BFH-Urteil in BFHE 275, 373, Rz 25).

31 (3) Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Dadurch sollen Sachverhalte erfasst werden, bei denen es zwar nicht —wie in den Fällen des § 1 Abs. 1 GrEStG— zu einem Rechtsträgerwechsel, d.h. zu einer Änderung der Rechtszuständigkeit im Außenverhältnis kommt, bei denen der Eigentümer einem anderen aber im Innenverhältnis so weitgehende Möglichkeiten zur Einflussnahme hinsichtlich des Grundstücks einräumt, dass dieser und nicht mehr der Eigentümer über die Verwertung des Grundstücks entscheiden kann.

32 Eine Verwertungsbefugnis des Auftraggebers i.S. von § 1 Abs. 2 GrEStG kann auch bei Vereinbarung eines Treuhandverhältnisses zwischen dem Auftraggeber und dem Beauftragten gegeben sein. In solchen Fällen unterliegt gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG die damit dem Auftraggeber verschaffte Verwertungsbefugnis der Grunderwerbsteuer (vgl. , BFHE 253, 276, BStBl II 2016, 715, Rz 10 f., zu einer Übertragungstreuhand). Da dieser Steuertatbestand ebenso wie die Tatbestände des § 1 Abs. 1, Abs. 2a (heute auch Abs. 2b), Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG den wirtschaftlichen Zugriff auf das Grundstück zu erfassen suchen, ist es gerechtfertigt, bei Auseinanderfallen von Eigentum und Verwertungsbefugnis die Zurechnung eines Grundstücks für Zwecke jener Erwerbstatbestände an die Verwertungsbefugnis und nicht mehr an das wirtschaftlich bedeutungslos gewordene Eigentum anzuknüpfen.

33 bb) Danach „gehörten“ die Grundstücke der GmbHs am der DN nicht mehr i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG. Denn sie waren zuvor bereits Gegenstand eines Veräußerungsvorgangs entweder i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG gewesen.

34 Sind die Treuhandverträge vom dahingehend auszulegen, dass sie einen Übereignungsanspruch für die MG begründet haben, ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllt, anderenfalls wurde die Verwertungsbefugnis an dem Grundbesitz i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG auf die MG übertragen. In beiden Fällen waren die Grundstücke aufgrund der Treuhandverträge für Zwecke des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG am der MG, aber jedenfalls nicht (mehr) der DN grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen.

35 Es kann dahinstehen, ob die Grundstücke der DN jemals „gehörten“, d.h. ihr aufgrund eines entsprechenden Erwerbstatbestands grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen waren. Jedenfalls hätte eine solche Zurechnung spätestens mit Abschluss der Treuhandverträge vom geendet.

36 b) Da die damit gegebene Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Feststellungsbescheids nicht durch dessen bloße Änderung behoben werden konnte (dazu oben I.1.), waren dieser Bescheid, der vorangegangene Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

37c) Die über das Urteil des FG hinausgehende vollständige Aufhebung der Bescheide ist zulässig, obwohl nur das FA gegen das Urteil des FG Revision eingelegt hatte.

38Grundsätzlich gilt auch im Revisionsverfahren das Verböserungsverbot gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, durch welches der BFH die Rechtsposition des Revisionsklägers im Vergleich zum angefochtenen Urteil nicht verschlechtern darf, wenn kein anderer Beteiligter Revision eingelegt hat (vgl. z.B. , BFHE 212, 388, BStBl II 2006, 584; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 121 Rz 1, m.w.N.). Im Streitfall hingegen ist die Verböserung eine unvermeidbare Folge der Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen des Fehlens einer Änderungsbefugnis des FG nach § 100 Abs. 2 FGO und der erneuten Entscheidung über den Klageantrag (vgl. , BFHE 159, 555, BStBl II 1990, 504, unter 2.).

394. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2022:U.141222.IIR40.20.0

Fundstelle(n):
BStBl 2023 II Seite 1012
AG 2023 S. 588 Nr. 16
AO-StB 2023 S. 145 Nr. 5
AO-StB 2023 S. 145 Nr. 5
BB 2023 S. 1690 Nr. 29
BB 2023 S. 789 Nr. 14
BFH/NV 2023 S. 646 Nr. 5
BFH/PR 2023 S. 227 Nr. 7
BFH/PR 2023 S. 227 Nr. 7
DB 2023 S. 1446 Nr. 25
DB 2023 S. 1448 Nr. 25
DB 2023 S. 938 Nr. 16
DStR 2023 S. 700 Nr. 13
DStR 2023 S. 703 Nr. 13
DStRE 2023 S. 508 Nr. 8
EStB 2023 S. 182 Nr. 5
EStB 2023 S. 183 Nr. 5
ErbStB 2023 S. 197 Nr. 7
ErbStB 2023 S. 199 Nr. 7
GStB 2023 S. 27 Nr. 7
GmbH-StB 2023 S. 202 Nr. 7
GmbH-StB 2023 S. 203 Nr. 7
GmbHR 2023 S. 758 Nr. 14
NWB-Eilnachricht Nr. 14/2023 S. 955
NWB-Eilnachricht Nr. 14/2023 S. 956
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2023 S. 358
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2023 S. 358
EAAAJ-36596

1Hinweis auf gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom (BStBl 2023 I S. 1872).