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NWB Nr. 13 vom Seite 894

Bestimmung des umsatzsteuerlichen Leistungsorts für E-Dienstleistungen

BFH-Urteil XI R 36/19 als herber Dämpfer für die deutsche Finanzverwaltung

Isabelle Axmann und Robert Hammerl

[i]BFH, Urteil v. 3.8.2022 - XI R 36/19, NWB HAAAJ-28644 Auch in Zeiten autonom fahrender Autos und Busse musste sich der BFH in seinem Urteil v.  - XI R 36/19 (NWB HAAAJ-28644) mit der Frage auseinandersetzen, welchen Stellenwert die menschliche Arbeitskraft hat. Werden Dienstleistungen auf elektronischem Weg im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erbracht? Nach der aktuellen BFH-Entscheidung kommt es für die Beurteilung der Art der Dienstleistung auf den eigentlichen Leistungsvorgang an.

I. Sachverhalt und Urteilsfindung

[i]Wetten auf den Ausgang staatlicher LotterienKlägerin und Revisionsbeklagte im Urteilsfall war eine britische Limited. Sie ist Inhaberin einer britischen Glücksspiellizenz und veranstaltete online sog. Zweitlotterien. Zweitlotterien offerieren keine Teilnahme an staatlichen Lotterien. Sie ermöglichen Wetten auf den Ausgang der Ziehungsergebnisse staatlicher Lotterien, z. B. „6 aus 49“. Die Kunden der Klägerin konnten ihre Tipps über die Webseite oder eine Telefonhotline der Klägerin platzieren. Nach manueller Überprüfung der persönlichen Daten der Kunden kam der Spielvertrag zustande, sobald die Spielquittung dem Spieler per E-Mail zugegangen war.

[i]Absicherung durch HedgingDieser elektronischen Bereitstellung der Spielquittung ging die Absicherung der Gewinnzusage durch Versicherungen oder den Erwerb entsprechender Tippscheine der jeweiligen Erstlotterie (sog. Hedging) voraus (, NWB HAAAJ-28644, Rz. 4).

[i]Menschliche Beteiligung am Leistungsvorgang maßgeblichEntscheidend für die Urteilsfindung des BFH war die genaue Ermittlung des Grads der menschlichen Beteiligung am eigentlichen Leistungsvorgang. Jeweils nach Ziehung der Gewinnzahlen der Erstlotterie wurden diese manuell erfasst. Ein ca. 20-köpfiges Team ermittelte das Ergebnis unter Rückgriff auf drei offizielle Veröffentlichungen. Nach der anschließenden computergestützten Auswertung der Gewinner der Zweitlotterie wurden diese manuell überprüft. Es folgten eine händische Berechnung der Gewinne pro Klasse und Kategorie und ein manueller Abgleich mit der parallel durchgeführten S. 895automatisierten Gewinnberechnung. Die jeweiligen Gewinner wurden per E-Mail benachrichtigt und die Gewinnsummen ihren Kundenkonten gutgeschrieben. Etwaige Abweichungen auf jeder Stufe des Prozesses wurden manuell aufgeklärt. Sobald die Gewinnsumme 2.500 € überschritt, wurde der Gewinn erst nach manueller Identitätsüberprüfung (z. B. durch Vorlage des Ausweises) ausgezahlt. Gewinner eines sog. Big-Wins (Gewinnsumme größer als 100.000 €) wurden ohnehin manuell identifiziert und auf etwaige Auffälligkeiten hin überprüft; auch der Betrag wurde manuell auf das Bankkonto des Spielers überwiesen. Die Big-Winner wurden jeweils vom Kundendienst über ihren Gewinn benachrichtigt und von einem deutschen Rechtsanwalt kontaktiert.

[i]Grambeck, NWB 52/2016 S. 3931 Das zuständige Finanzamt qualifizierte die Umsätze der Limited als auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen i. S. des § 3a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 i. V. mit Satz 2 Nr. 3 UStG. Diese sog. E-Dienstleistungen seien demnach in Deutschland, am jeweiligen Wohnsitz des Leistungsempfängers (= Spielers), steuerbar und steuerpflichtig. Eine etwaige Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG komme nicht in Betracht. Die Bemessungsgrundlage sei der jeweilige Spieleinsatz. Der von der Klägerin eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Die daraufhin erhobene Klage hingegen hatte vor dem Niedersächsischen FG (Urteil v.  - 5 K 134/17) und nunmehr auch vor dem BFH Erfolg. Denn eine auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistung liegt nicht vor, wenn bei den Wettumsätzen einer Zweitlotterie insbesondere Spielergebnisse nicht automatisiert über Computersysteme, sondern manuell durch menschliche Arbeitskraft in das System eingepflegt werden. Somit liegt der Leistungsort der online angebotenen Zweitlotterien nicht in Deutschland am Wohnsitz der Spieler, sondern am Sitz der Klägerin in Großbritannien.

II. Definition von E-Dienstleistungen

1. UStAE-Regelung

[i]Grambeck, NWB 43/2014 S. 3230Als elektronisch erbrachte Dienstleistung gilt gem. Art. 7 Abs. 1 der EU-VO Nr. 282/2011 eine über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz erbrachte Dienstleistung, deren Erbringung aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert, nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und ohne Informationstechnologie nicht möglich wäre. Diese Definition wurde vom deutschen Gesetzgeber in Abschnitt 3a.12 Abs. 1 UStAE übernommen. Gemäß Abschnitt 3a.12 Abs. 3 Nr. 7 Satz 1 UStAE sowie Anhang II zu Art. 58 Abs. 1 Buchst. c Nr. 4 MwStSystRL sollen auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen insbesondere die „Bereitstellung von Musik, Filmen und Spielen, einschließlich Glücksspielen und Lotterien [...]“ sein. Zusätzlich erfasst das Beispiel im UStAE Anhang I zu Art. 7 EU-VO Nr. 282/2011 in Nr. 4 Buchst. e folgend die „Gewährung des Zugangs zu automatisierten Online-Spielen, die nur über das Internet oder ähnliche elektronische Netze laufen und bei denen die Spieler räumlich voneinander getrennt sind.“ Dabei beinhaltet der Wortlaut „automatisierte Online-Spiele“ bereits einen so programmierten Spielablauf, dass die Zurverfügungstellung des Spiels automatisiert erfolgt, z. B. bei Spielen, die auf einem Zufallsgenerator basieren. Die menschliche Beteiligung erfolgt bei diesen bereits vor der Zurverfügungstellung des Produkts – bei der Programmierung des Zufallsgenerators – so dass der eigentliche Leistungsvorgang automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt. Diese Fälle sind u. E. unstrittig, insbesondere weil bereits Abschnitt 3a.12 Abs. 1 Satz 3 UStAE klarstellt, dass die ursprüngliche Inbetriebnahme, beispielsweise die Programmierung eines Zufallsgenerators, keine wesentliche menschliche Beteiligung darstellt. Im Falle des Angebots von Zweitlotterien sowie diverser anderer Online-Angebote bedarf es jedoch eines genaueren Blicks „hinter die Kulissen“. S. 896

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