Körperschaftsteuer | Rückwirkende Einführung einer Regelung betreffend vororganschaftliche Mehrabführungen teilweise nichtig (BVerfG)
§ 34 Abs. 9 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz – EURLUmsG) v. (in der Fassung des EURLUmsG) ist teilweise nichtig (, 2 BvL 18/14).
Hintergrund: Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG gelten Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger. Gemäß § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG ist diese potenziell körperschaftsteuererhöhend wirkende Vorschrift erstmals für (vororganschaftliche) Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem endet.
Sachverhalt: Die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft dient der steuerlichen Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verflechtung verbundener Unternehmen. Die Voraussetzungen für die Einkommenszurechnung einer Organgesellschaft an den Organträger sind in § 14 KStG geregelt. Für die Begründung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft ist danach insbesondere der Abschluss eines wirksamen Gewinnabführungsvertrags erforderlich, der auch als Ergebnisabführungsvertrag bezeichnet wird. Der Gewinnabführungsvertrag muss auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und während seiner gesamten Geltungsdauer tatsächlich durchgeführt werden. Eine vorzeitige Kündigung ist nur bei einem wichtigen Grund unschädlich; andernfalls wird das Organschaftsverhältnis steuerrechtlich von Anfang an nicht anerkannt. Die handelsrechtliche Gewinnabführungspflicht besteht unabhängig davon bis zur zivilrechtlich wirksamen Beendigung des Ergebnisabführungsvertrags fort.
Der handelsrechtlich an den Organträger abzuführende Gewinn ist nicht gleichbedeutend mit dem dem Organträger steuerlich zuzurechnenden Einkommen der Organgesellschaft, welches auf der Grundlage des Steuerbilanzgewinns ermittelt wird. Geht der handelsrechtlich abgeführte Gewinn über den Steuerbilanzgewinn hinaus, liegt eine sogenannte Mehrabführung vor. Zu unterschiedlichen Ansätzen in der Handels- und Steuerbilanz führt etwa die voneinander abweichende Aktivierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten.
Umstritten war, ob Mehrabführungen, deren Ursache vor Begründung der Organschaft liegt (sog. vororganschaftliche Mehrabführungen), als steuerneutrale Gewinnabführungen im Sinne der §§ 14 ff. KStG oder als Gewinnausschüttungen zu qualifizieren sind, die sowohl unter dem bis Ende des Jahres 2000 geltenden körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahren als auch unter dem Übergangsrecht zum Halbeinkünfteverfahren bis zum Veranlagungsjahr 2006 zu einer Körperschaftsteuererhöhung führen konnten. Der BFH entschied, dass vororganschaftliche Mehrabführungen – entgegen der damaligen Auffassung der Finanzverwaltung – keine Gewinnausschüttungen, sondern steuerneutrale Gewinnabführungen darstellten ( BStBl 2005 II S. 49, s. hierzu Ley, ). Am leitete die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes zu, mit welchem die frühere Verwaltungsauffassung gesetzlich festgeschrieben werden sollte. Dieses Gesetz mit § 14 Abs. 3 und § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG trat am in Kraft.
Die Klägerinnen der beiden Ausgangsverfahren, zwei ehemals gemeinnützige und bis Ende 1990 steuerbefreite Wohnungsbauunternehmen, waren in den Streitjahren 2004 bis 2006 Organgesellschaften einer Organschaft. In einem Fall bestand die Organschaft bereits seit 1991, im anderen Fall wurde der maßgebliche Gewinnabführungsvertrag erst im Oktober 2002 geschlossen. In beiden Fällen fielen vororganschaftliche Mehrabführungen an, die das Finanzamt als Gewinnausschüttungen behandelte, woraus eine höhere Festsetzung von Körperschaftsteuer resultierte. Nach erstinstanzlicher Abweisung der dagegen gerichteten Klagen setzte der BFH das in beiden Verfahren angestrengte Revisionsverfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 9 Nr. 4 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) zur Entscheidung vor (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 11.9.2013).
Die mit § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG i.V.m § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG einhergehende unechte Rückwirkung ist nach Auffassung der Richter des BVerfG mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes in bestimmten Fallgruppen unvereinbar:
§ 34 Abs. 9 Nr. 4 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) hat belastende Wirkung, die mit einer unechten Rückwirkung einhergeht.
Die durch § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) ausgelöste Rechtsfolge der auf den Schluss des Wirtschaftsjahres fingierten Gewinnausschüttung konnte – abhängig davon, welche Eigenkapitalteile dafür als verwendet galten – belastende Wirkung im Zusammenwirken mit den Regelungen des Übergangsregimes vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren entfalten. Dieses Übergangsrecht sah bis 2006 eine gewinnausschüttungsabhängige Realisierung des unter dem Anrechnungsverfahren gebildeten Körperschaftsteuerminderungspotenzials und des Körperschaftsteuererhöhungspotenzials vor. Soweit die Fiktion der Gewinnausschüttung nach § 14 Abs. 3 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) zu einer Realisierung des Körperschaftsteuererhöhungspotenzials und damit zu einer Körperschaftsteuererhöhung führte, die nicht durch eine gleichzeitig infolge der Fiktion eintretende Körperschaftsteuerminderung kompensiert wurde, hatte § 14 Abs. 3 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) für die Organgesellschaft belastende Wirkung.
§ 34 Abs. 9 Nr. 4 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) wirkt mit der Anknüpfung an Mehrabführungen von Organgesellschaften, deren Wirtschaftsjahr nach dem endet, zwar formal in die Zukunft, weil die durch die Fiktion der Mehrabführung als Gewinnausschüttung unter Umständen ausgelöste Körperschaftsteuererhöhung erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, also erstmals am , eintritt. Tatbestandlich werden die Rechtsfolgen aber von einem im Zeitpunkt der Verkündung bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der maßgebliche Sachverhalt in dem Abschluss des Ergebnisabführungsvertrags zu sehen ist oder in der die Mehrabführung begründenden „Ursache in vororganschaftlicher Zeit“. An beide Umstände knüpft die Fiktion von Mehr- beziehungsweise Minderabführungen am Ende des Wirtschaftsjahres durch § 14 Abs. 3 Satz 3 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) und deren Behandlung als Gewinnausschüttung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) an. Beide Umstände sind vor Inkrafttreten der Norm verwirklicht.
Die unechte Rückwirkung ist mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar, soweit sie Mehrabführungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger erfasst, die vor dem aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrags erfolgen, der in der Zeit zwischen der Veröffentlichung des am und dem geschlossen worden ist. In dem genannten Zeitraum durften die Vertragspartner aufgrund des mit dem die Steuerpflichtigen die Rechtslage als endgültig geklärt betrachten konnten, darauf vertrauen, dass vororganschaftliche Mehrabführungen steuerneutrale Gewinnabführungen im Sinne der §§ 14 ff. KStG darstellten. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in diese Rechtslage wurde erst durch die Einbringung der Neuregelung in den Bundesrat am gemindert. Soweit der Ergebnisabführungsvertrag vor diesem Zeitpunkt geschlossen worden ist, verdient das Vertrauen wegen der gesetzlich bestimmten fünfjährigen Mindestdauer einer Organschaft Schutz über den bei Vertragsschluss laufenden Veranlagungszeitraum hinaus bis zum Ablauf des Jahres 2006.
Die Enttäuschung dieses Vertrauens durch die rückwirkende Einführung von § 14 Abs. 3 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) ist nicht durch überwiegende Interessen der Allgemeinheit gerechtfertigt. Die in der Gesetzesbegründung angegebenen Ziele – die gesetzliche Festschreibung der früheren Verwaltungsauffassung und klarere Abgrenzung der Sonderbestimmungen der Organschaft von den allgemeinen Bestimmungen des Halbeinkünfteverfahrens – begründen lediglich ein Änderungsinteresse des Gesetzgebers für die Zukunft. Dies gilt ebenso für das vom Bundesministerium der Finanzen angeführte Ziel der Behebung einer ansonsten eintretenden Systemwidrigkeit im Regime des Körperschaftsteuergesetzes. Auch unter fiskalischen Gesichtspunkten begründet das Bedürfnis des Gesetzgebers nach Korrektur der Rechtsprechung hier nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der für sich genommen noch nicht die tatbestandliche Rückanknüpfung legitimiert.
Die unechte Rückwirkung ist ferner mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vereinbar, soweit sie Mehrabführungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger erfasst, die aufgrund eines vor dem geschlossenen Ergebnisabführungsvertrags auf den Schluss eines im Laufe des Jahres 2004 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen, wenn der Vertrag nach dem eine ordentliche Kündigung spätestens zum zugelassen hätte, und die auf den Schluss des ersten im Jahr 2005 endenden Wirtschaftsjahres erfolgen, wenn der Vertrag eine ordentliche Kündigung spätestens zum zugelassen hätte.
In diesen Fällen konnten zwar die Beteiligten bei Abschluss des Ergebnisabführungsvertrags nicht auf eine im Sinne der Entscheidung des geklärte Rechtslage vertrauen. Ihr Vertrauen darauf ist aber schutzwürdig, wenn sie im Jahr 2003 beziehungsweise 2004 eine dann gegebene Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verstreichen ließen. Darin liegt eine neue steuerrelevante Disposition, bei der die Steuerpflichtigen wegen der Tragweite der – nicht ohne Zustimmung des Vertragspartners rückgängig zu machenden – Entscheidung über die Beendigung eines Ergebnisabführungsvertrags bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss durch den Bundestag auf das geltende Recht vertrauen durften. Von den Steuerpflichtigen kann zudem nicht erwartet werden, dass sie bei Vertragsschluss ein Recht zur ordentlichen Kündigung mit einer kürzeren Frist als drei Monate zum Ende des Wirtschaftsjahres vereinbaren, so dass sie im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses am die belastende Wirkung von § 14 Abs. 3 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) in den Veranlagungszeiträumen 2004 und 2005 nicht mehr verhindern konnten.
Auch in diesen Fällen sind hinreichend gewichtige Gründe, die die rückwirkende Neuregelung für die Steuerpflichtigen bei Abwägung mit ihrem dadurch enttäuschten Vertrauen zumutbar erscheinen lassen, nicht erkennbar.
In allen übrigen Fällen, das heißt bei Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags vor dem , der danach weder zum noch zum gekündigt werden konnte, sowie bei Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags nach dem , besteht schutzwürdiges Vertrauen allein unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistungsfunktion der Rechtsordnung. Diese greift für Mehrabführungen ein, die sich auf den Schluss eines nach dem , aber spätestens am (Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung) endenden Wirtschaftsjahres ergeben. Im Übrigen überwiegt bei einer Gesamtabwägung das berechtigte Änderungsinteresse des Gesetzgebers.
Soweit § 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) gegen Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, führt dies vorliegend zur teilweisen Nichtigerklärung. Soweit § 14 Abs. 3 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) in den oben dargestellten Fallgruppen für ab dem erfolgende Mehrabführungen über § 34 Abs. 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) zur Anwendung gelangt, ist die Nichtigkeitsfolge – zumindest aus Gründen der Rechtsklarheit – auch auf § 34 Abs. 1 KStG (in der Fassung des EURLUmsG) zu erstrecken.
Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. (il)
Fundstelle(n):
OAAAJ-35722