NWB Nr. 11 vom Seite 737

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Dirk Beyer | Rechtsanwalt | Mitarbeiter der Kölner Sozietät LHP PartG mbB

BFH prüft Richtsatzsammlung

In einem anhängigen Revisionsverfahren geht es um die Frage der Tauglichkeit der BMF-Richtsatzsammlung als Schätzgrundlage für den äußeren Betriebsvergleich (BFH X R 19/21). In diesem Verfahren hat der BFH das BMF als Herausgeber der Richtsatzsammlung mit Beschluss v.  zum Beitritt aufgefordert (§ 122 Abs. 2 Satz 3 FGO). Mit dem Beitritt würde das BMF dann z. B. am Schriftverkehr beteiligt. Hingegen ist die Aufforderung kein Präjudiz und das Verfahren damit ergebnisoffen.

Während die kritischen Fragen zur Richtsatzsammlung laufend zahlreicher wurden, wirkten die bisherigen Antworten des BMF auf Fragen im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage nicht überzeugend (abgedruckt bei Beyer, NWB 44/2018 S. 3232). Der BFH hat in seinem aktuellen Beschluss einzelne Fragen beispielhaft und prominent herausgestellt (vgl. Anm. Nöcker, NWB Online-Nachricht v. , NWB XAAAJ-34747). So stellt er z. B. zutreffend die Frage, wie die Repräsentativität der Daten gesichert ist und ob erfolgreiche Rechtsbehelfsverfahren in die Richtsatzsammlung einfließen. Weiterhin verweist der BFH auf seine Rechtsprechung, dass Schätzgrundlagen offengelegt werden müssen (vgl. z. B. , NWB MAAAH-56278, zu einem nur innerdienstlichen Erfahrungsbericht über Betriebsprüfungen bei Diskotheken). Diese Transparenz-Rechtsprechung muss konsequenterweise auch für die Richtsatzsammlung gelten. Die Frage wird sein, wie diese Offenlegung praktisch und im Interesse des Rechtsfriedens funktionieren kann. Meines Erachtens gehören hierzu als erster Schritt ergänzende Antworten auf die Fragen, die bereits im Rahmen der parlamentarischen Anfrage gestellt worden sind. Sollten auch diese Antworten zu Zweifeln an der Tauglichkeit der Richtsatzsammlung als Schätzgrundlage führen, dürfte diese nach hier vertretener Ansicht vorläufig nicht mehr angewandt werden. In einem zweiten Schritt muss das BMF auch transparent machen, wie der Ablauf der systematischen Datensammlung sichergestellt bzw. überwacht wird (Verfahrensdokumentation und Kontrollsystem). In einem (glücklicherweise) föderalen Bundesstaat ist dies sicherlich eine Herausforderung.

Vorläufig sollten Berater überprüfen, ob gegen Schätzungen, die sich wesentlich (auch) auf die Richtsatzsammlung stützen, Einspruch eingelegt wird. In Verhandlungen mit Betriebsprüfungsstellen wird der aktuelle BFH-Beschluss nützlich sein. Das BMF hat in einem „Beipackzettel“ zur aktuellen Richtsatzsammlung nun selbst darauf hingewiesen, dass diese aufgrund der Wirtschaftskrise mit Bedacht anzuwenden ist ( BStBl 2022 I S. 1608). Von einer Schätzung ist die bloße Verprobung mittels der Richtsatzsammlung zu unterscheiden. Weiterhin kann der Beschluss erst recht auch in Steuerstrafverfahren genutzt werden. Dort genügen keine Wahrscheinlichkeitsüberlegungen. Die Schuld muss zweifelsfrei feststehen.

Dirk Beyer

Fundstelle(n):
NWB 2023 Seite 737
NWB KAAAJ-35625