BGH Beschluss v. - VI ZR 330/21

Aussetzung eines zivilgerichtlichen Verfahrens wegen ausstehenden Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichthofs zur Auslegung der Datenschutzgrundverordnung zum Auskunftsrecht eines Betroffenen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten

Gesetze: § 148 ZPO, Art 15 Abs 1 EUV 2016/679, Art 15 Abs 3 S 1 EUV 2016/679, Art 267 Abs 3 AEUV

Instanzenzug: Az: 3 U 2906/20 Urteilvorgehend LG München I Az: 3 O 909/19 Urteilnachgehend Az: VI ZR 330/21 Urteil

Gründe

I.

1Die Parteien streiten, soweit im Revisionsverfahren noch relevant, über den Regelungsgehalt von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO.

2Die Beklagte zu 1 war seit 1997 als Finanzberaterin für die Klägerin tätig. Sie beriet die Klägerin hinsichtlich ihrer Kapitalanlagen und Versicherungen. Ab dem Jahr 2015 erbrachte die Beklagte zu 1 die Beratungstätigkeit nicht mehr im eigenen Namen, sondern für die Beklagte zu 2.

3Mit Schreiben vom forderte die Klägerin beide Beklagten gemäß Art. 15 Abs. 3 DS-GVO zur Überlassung von Kopien aller bei den Beklagten vorhandenen personenbezogenen Daten der Klägerin auf. Die Klägerin erhielt eine Auskunft über ihre bei den Beklagten gespeicherten Daten, aber keine Kopien.

4Das Landgericht hat die Beklagten verurteilt, der Klägerin Kopien aller personenbezogenen Daten - insbesondere in Form von Telefonnotizen, Aktenvermerken, Protokollen, E-Mails, Briefen und Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen - auszuhändigen, die sich in ihrem Besitz befinden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagten unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Berufung auf den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsklageantrag hin verurteilt, der Klägerin Kopien der von den Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten der Klägerin betreffend die Datenkategorien Telefonnotizen, Aktenvermerke, Gesprächsprotokolle, E-Mails, Briefe und Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen im Zeitraum vom bis zu überlassen. Mit der vom Berufungsgericht wegen der Frage, in welchem Umfang Abschriften und Kopien verlangt werden können, zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.

II.

5Das vorliegende Verfahren wird gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in den dort anhängigen Verfahren C-487/21 bzw. C-307/22 ausgesetzt.

61. Das Österreichische Bundesverwaltungsgericht hat durch Beschluss vom (W211 2222613 - 2; ECLI:AT:BVWG:2021: W211.2222613.2.00; Rs. C-487/21; ABl. EU C 431 vom S. 8 f.) dem Gerichtshof u.a. folgende Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:

72. Der erkennende Senat hat dem Gerichtshof durch Beschluss vom - VI ZR 1352/20 (DB 2022, 1249; Rs. C-307/22) unter Ziff. 3 folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

83. Diese Fragen sind auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Die Parteien streiten unter anderem darüber, ob sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO (lediglich) ein Anspruch auf eine Kopie der nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO zu beauskunftenden Daten oder ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der diese Daten enthaltenden Dokumente ergibt.

94. Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der oben unter II. 1 und 2 genannten Fragen kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen. Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt ein grundlegendes Instrument dar, um den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zu verwirklichen und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt, genügt es, wenn dort über die klärungsbedürftige Rechtsfrage in den bereits anhängigen Verfahren verhandelt und entschieden wird (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 223/21, juris Rn. 9; , RIW 2012, 405 Rn. 8 mwN).

105. Der Senat hält es daher für angemessen, wie auch von der Revision angeregt, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit der beim Gerichtshof anhängigen Vorlageverfahren auszusetzen (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise vgl. , RIW 2012, 405 Rn. 9 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210223BVIZR330.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-34943