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BVerwG Urteil v. - 4 CN 1/21

Keine private Grünfläche für den gemeinschaftlichen Gebrauch

Leitsatz

Flächen, die überwiegend fremdnützig genutzt werden sollen, sind keine privaten Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB.

Gesetze: § 9 Abs 1 Nr 15 BauGB, § 22 BauGB, § 25 BauGB

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 1 N 17.1142 Urteilvorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 1 N 16.2353 Urteil

Tatbestand

1Die Antragsteller wenden sich als (Mit-)Eigentümer überplanter Grundstücke gegen den Bebauungsplan Nr. 77 "Christl-Cranz-Straße, Carl-Diem-Straße, Sepp-Manger-Straße".

2Der Bebauungsplan überplant auf einer Fläche von ca. 4,5 ha eine in den 1970er Jahren entstandene Wohnanlage, die heute ca. 630 Wohneinheiten mit insgesamt rund 1 550 Bewohnern umfasst. Ziel der Planung ist die Einrichtung, Neuordnung und Sicherung von Flächen für Kinderspielplätze, der Erhalt und die Entwicklung der vorhandenen Grün- und Freiflächen sowie die Sicherung eines durchlässigen Wegenetzes für die Bewohner und die Allgemeinheit. Hierzu weist der Bebauungsplan u. a. drei Spielplätze als Gemeinschaftsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB aus. Für eine Vielzahl von Flächen trifft er die Festsetzung "private Grünfläche zur gemeinschaftlichen Nutzung, mit Pflanzbindungen und -geboten'' nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 und 25 BauGB. Nach der textlichen Festsetzung Nr. 2.1.2 sind Einfriedungen in den privaten Grünflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung nicht zulässig.

3Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Zum einen fehle der Festsetzung zur Sicherung der gemeinschaftlichen Spielplätze "erforderlichenfalls" durch Anordnung von Dienstbarkeiten in der textlichen Festsetzung Nr. 1.3.7 eine gesetzliche Rechtsgrundlage. Zum anderen könne die Antragsgegnerin durch die Festsetzung "private Grünfläche zur gemeinschaftlichen Nutzung" ihr wesentliches Planungsziel nicht erreichen. Die angestrebte gemeinschaftliche Nutzung der Fläche zur Sicherung einer Aufenthaltsmöglichkeit im Freien könne nur mit einer Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB erreicht werden. Dann stehe jedoch die Ausweisung der Grünfläche als "privat" entgegen.

4Die Revisionen machten geltend, bei der textlichen Festsetzung Nr. 1.3.7 handle es sich um einen informatorischen Hinweis, der nicht der Aufhebung unterliege. Die Grünflächen könnten als private Grünflächen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB zugleich eine Gemeinschaftsanlage nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB darstellen; die Voraussetzungen dafür lägen vor.

5Die Antragsteller verteidigen das angefochtene Urteil.

Gründe

6Die Revisionen sind nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bebauungsplan im Einklang mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) für unwirksam erklärt.

71. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, die Antragsgegnerin könnte ihr wesentliches Planungsziel mit der isolierten Festsetzung von privaten Grünflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB nicht erreichen. Das steht mit Bundesrecht in Einklang.

8Wesentliches Planungsziel ist es, die Grünflächen allen Bewohnern der Wohnanlage für den Aufenthalt im Freien - in Wohnungsnähe und innerhalb des eigenen Quartiers - zu sichern und eine gemeinschaftliche Nutzung dieser Flächen zu ermöglichen. Dieser Nutzungszweck stellt sich vorliegend als überwiegend fremdnützig dar und lässt die isolierte Festsetzung einer privaten Grünfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB daher nicht zu.

9Ob eine Grünfläche als öffentliche oder private festzusetzen ist, beurteilt sich nach dem Nutzungszweck, den sie erfüllen soll. Dabei kann in der Regel auf den vorgesehenen Benutzerkreis abgestellt werden. Soll eine Grünfläche der Öffentlichkeit zugänglich sein, ist sie als öffentliche Grünfläche auszuweisen. Soll die Grünfläche der privaten Nutzung vorbehalten bleiben, ist sie als private festzusetzen ( 4 CN 9.00 - BVerwGE 115, 77 <87>). Begriffliche Voraussetzung der Festsetzung einer Grünfläche als privat ist indes auch bei eingeschränktem Benutzerkreis, dass der Nutzungszweck sich nicht als überwiegend oder ausschließlich fremdnützig erweist, sondern die Nutzung der Fläche im Schwerpunkt den Eigentümern zugeordnet bleibt. Für die anzustellende wertende Betrachtung wird es regelmäßig darauf ankommen, wie konkret der Nutzerkreis bestimmt ist, welchen Bezug er zu den Grundstücken aufweist und ob der Nutzerkreis rechtlich organisiert ist (vgl. auch 4 CN 9.00 - a. a. O.).

10Nach der Konzeption des angegriffenen Bebauungsplans sollen die von den jeweiligen Eigentümern zu unterhaltenden - und nach § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB zu bepflanzenden - Grünflächen sämtlichen Bewohnern und Besuchern des Plangebiets zur Verfügung stehen und von diesen betreten werden dürfen. Angesichts eines Nutzerkreises von über 1 500 Personen, die keinen erkennbaren Bezug zu den einzelnen Grundstücken haben, erweist sich der Nutzungszweck als überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich fremdnützig. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, wie zumindest die Beschränkung auf diesen sehr großen Nutzerkreis angesichts der Einfriedungsverbote umgesetzt werden soll.

112. Der Verwaltungsgerichtshof geht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass sich die Festsetzung nicht als kombinierte Festsetzung privater Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB und einer Gemeinschaftsanlage nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB aufrechterhalten lässt.

12Zwar schließt das Baugesetzbuch Kombinationen oder Überlagerungen verschiedener Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB nicht aus, sofern die Festsetzungen miteinander vereinbar sind ( 4 CN 4.13 - BVerwGE 150, 101 Rn. 11) und die jeweils im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale vorliegen ( 4 BN 6.08 - BRS 73 Nr. 20 Rn. 3). Ein Bebauungsplan kann dabei auch die Festsetzung einer privaten Grünfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB mit der Festsetzung einer Gemeinschaftsanlage nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB kombinieren. Denn für Gemeinschaftsanlagen ist gerade der Bezug auf bestimmte Grundstücke und damit auf einen überschaubar abgegrenzten Benutzerkreis charakteristisch (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 15.89 - Buchholz 406.11 § 9 BBauG/BauGB Nr. 35 S. 30 f. und vom - 4 BN 6.08 - a. a. O.). Sollte der Verwaltungsgerichtshof dahin zu verstehen sein, dass die Festsetzung einer Grünfläche als "privat" der Festsetzung einer Gemeinschaftsanlage von vornherein entgegensteht, wäre dieser Rechtssatz nicht mit Bundesrecht vereinbar.

13Ein Verständnis als überlagernde Festsetzung von § 9 Abs. 1 Nr. 15 und 22 BauGB scheidet aber aus, weil die Antragsgegnerin die Festsetzung der Grünflächen als Gemeinschaftsanlage nicht in ihren planerischen Willen aufgenommen hat. In dem Bebauungsplan werden ausdrücklich verschiedene Flächen für Gemeinschaftsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB festgesetzt, nämlich Spielplätze, Tiefgaragen und Stellplätze. Für die privaten Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB fehlt eine solche Festsetzung. Nur hinsichtlich der festgesetzten Gemeinschaftsanlagen hat die Antragsgegnerin auch festgelegt, welchen Grundstücken sie zu dienen bestimmt sind und wie ihre Herstellung gesichert werden kann. Die mündliche Verhandlung vor dem Senat hat bestätigt, dass Gegenstand der Planung keine von sämtlichen Eigentümern gemeinschaftlich herzustellende und zu unterhaltende Grünfläche war, sondern eine Vielzahl einzelner Grünflächen festgesetzt werden sollten, die in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Eigentümer verbleiben und lediglich zur gemeinschaftlichen Nutzung freigegeben werden sollten.

143. Die Unwirksamkeit der Festsetzung führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Erweisen sich einzelne Festsetzungen als mangelhaft, kann der Bebauungsplan aufrecht erhalten werden, wenn die verbleibenden Regelungen, Maßnahmen oder Festsetzungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (stRspr, vgl. 4 CN 5.20 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 43 Rn. 16 m. w. N.). Die Festsetzung der Grünflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB stellt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs eine zentrale Frage der Gesamtplanung dar und steht mit dem Bebauungsplan in untrennbarem Zusammenhang, so dass nicht anzunehmen sei, dass die Antragsgegnerin eine Satzung eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte. An diese Auslegung des nicht revisiblen Ortsrechts ist der Senat gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO).

15Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:101122U4CN1.21.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-34269