BGH Beschluss v. - 5 StR 382/22

Strafprozessrecht: Gerichtlicher Beurteilungsspielraum bezüglich Zeugnisverweigerungsrecht bei Verlöbnis

Gesetze: § 52 Abs 1 Nr 1 StPO, § 136 Abs 1 StPO, § 136a StPO, § 163a Abs 4 S 2 StPO, § 238 Abs 2 StPO, § 252 StPO

Instanzenzug: LG Dresden Az: 1 Ks 733 Js 33262/20

Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Zu den Antragsschriften des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
1. Die Verfahrensrüge der Angeklagten W.    , das Landgericht habe die Verlobung des Zeugen S.    mit ihr und das auf dieser Grundlage geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrecht zu Unrecht nicht anerkannt und Angaben des Zeugen damit entgegen § 52 Abs. 1 Nr. 1, § 252 StPO verwertet, bleibt ohne Erfolg. Zwar teilt der Senat nicht die Erwägungen, aus denen der Generalbundesanwalt die Rüge für unzulässig hält; sie ist aber jedenfalls unbegründet. Denn bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein Zeuge als Verlobter einer Angeklagten auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann, steht dem Vorsitzenden und nach deren Anrufung gemäß § 238 Abs. 2 StPO der Strafkammer ein Beurteilungsspielraum zu (, BGHSt 55, 65, 69 Rn. 14 mwN). Dieser ist auch zu beachten, wenn die Revision einen Verstoß gegen § 252 StPO geltend macht (vgl. BGH aaO Rn. 15). Die auf zutreffender rechtlicher Grundlage vorgenommene Bewertung der vom Landgericht festgestellten Indizien, wonach ein Verlöbnis zwischen dem Zeugen S.    und der Angeklagten W.     nicht vorlag, hält sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass das Urteil auch nicht auf den Angaben des Zeugen S.    beruht.
2. Die zulässig erhobene Rüge, mit der die Angeklagte W.     beanstandet, das wegen der vorgenannten Vorgänge angebrachte Befangenheitsgesuch gegen den am späteren Urteil mitwirkenden Vorsitzenden sei mit Unrecht verworfen worden, ist unbegründet, weil die Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs auf tragfähigen Erwägungen beruhte.
3. Auch die Rüge der Angeklagten W.    , es seien Angaben der Mitangeklagten B.   und O.    M.      verwertet worden, denen zunächst keine und später keine qualifizierte Beschuldigtenbelehrung vorausgegangen sei, bleibt ohne Erfolg. Die zulässig ausgeführte Beanstandung ist unbegründet, denn nach der vorgetragenen Verdachtslage überschritten die Ermittlungsbehörden den ihnen eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung, die Angeklagten B.   und O.    M.      zunächst als Zeugen zu vernehmen (vgl. , BGHSt 51, 367, 371), nicht. Auf etwa abweichende Einschätzungen einzelner Polizeibeamter kommt es nicht an. Auch der Art und Weise der Vernehmungen ließ sich ein auf eine Beschuldigteneigenschaft der Mitangeklagten hindeutender Verfolgungswille der Ermittlungsbehörden nicht entnehmen (vgl. BGH aaO, 373 ff.). Im Übrigen würde eine vermeintliche Verletzung der Rechte der Angeklagten B.   und O.    M.      aus § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 StPO den Rechtskreis der Angeklagten W.    nicht berühren (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 411/20; vom – 4 StR 195/16, NStZ-RR 2016, 377 mwN).
4. Ihre Rüge, sie sei durch einen unzutreffenden Vorhalt aus einer parallelen Vernehmung des Mitangeklagten O.    M.      getäuscht worden (§ 163a Abs. 4 Satz 2, § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO), ist jedenfalls unbegründet. Ungeachtet der Frage, ob es sich bei dem Vorhalt lediglich um eine zulässige Zuspitzung der Angaben des Mitangeklagten handelte, setzt eine Täuschung im Sinne des § 136a StPO eine wissentliche Irreleitung voraus (vgl. , NStZ-RR 2021, 142, 143). Ein bewusst falscher Vorhalt ist nach dem Revisionsvorbringen, insbesondere angesichts der wörtlichen Protokollierung des Vorgehaltenen, nicht erkennbar. Zudem beruht das Urteil nicht auf den Angaben der Angeklagten W.     in ihrer polizeilichen Vernehmung. Es kommt daher nicht mehr auf die Frage an, ob die Beschwerdeführerin – um den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu genügen – verpflichtet gewesen wäre, ein bewusstes Fehlleiten durch den Polizeibeamten bestimmt zu behaupten und dazu vorzutragen, ob er bei seiner Einvernahme in der Hauptverhandlung Angaben zu den Umständen seines Vorhalts gemacht hat.
5. Die Angeklagte W.     beanstandet weiter, der Mitangeklagte B.   sei vor seiner nach § 254 Abs. 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführten Beschuldigtenvernehmung vom nicht über seine Beschuldigtenrechte belehrt worden. Die zulässige Rüge ist unbegründet, weil der Revisionsvortrag belegt, dass der Mitangeklagte vor der Vernehmung erneut ordnungsgemäß belehrt wurde und zudem aufgrund der vorangegangenen Belehrungen seine Beschuldigtenrechte ohnehin kannte. Im Übrigen würde auch insoweit eine vermeintliche Verletzung der Rechte des Angeklagten B.   aus § 163a Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 1 StPO den Rechtskreis der Angeklagten W.     nicht berühren. Auf ein Beruhen des Urteils auf dem behaupteten Rechtsfehler kommt es daher nicht an.
6. Ihre Rüge, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO sei durch die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen den Vorsitzenden erfüllt, ist unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, beruhte die Zurückweisung auf tragfähigen Erwägungen. Das gilt auch, soweit der Vorsitzende die Verteidigung der Angeklagten W.     durch weitere Vorwürfe „kriminalisiert“ haben soll, wobei bereits Vortrag zum näheren Gehalt und zur unverzüglichen Beanstandung (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) dieser Vorwürfe fehlt.
7. Die zulässig erhobene Rüge des Angeklagten O.    M.      , das Landgericht habe Angaben von ihm verwertet, denen zunächst keine und später keine qualifizierte Beschuldigtenbelehrung vorangegangen sei, ist unbegründet, weil die Entscheidung der Ermittlungsbehörden, den Angeklagten O.    M.      zunächst als Zeugen zu vernehmen, innerhalb des eingeräumten Beurteilungsspielraums lag (vgl. unter 3.).
8. Soweit der Angeklagte O.    M.      beanstandet, der psychiatrische Sachverständige habe ihn im Rahmen der Exploration rechtswidrig zur Sache vernommen, ist die Rüge bereits unzulässig. Denn die Revision trägt im Rahmen dieser Verfahrensbeanstandung nicht vor, dass ein Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen auch auf die vermeintliche Sachvernehmung gestützt wurde, dass und wie der Sachverständige hierzu Stellung genommen und dass die Strafkammer den Befangenheitsantrag mit ausführlicher Begründung zurückgewiesen hat. Lediglich im Zusammenhang mit einer anderen Verfahrensrüge ergibt sich daher, dass der Sachverständige einen ersten Explorationstermin eigens abbrach und einen weiteren Termin nach einer empfohlenen Rücksprache des Angeklagten O.    M.      mit seiner Verteidigerin anberaumte, nachdem sich der Angeklagte trotz wiederholter Belehrungen fortwährend zur Sache geäußert hatte.
9. Die Rüge des Angeklagten O.    M.      , der Mitangeklagte B.   sei vor seiner nach § 254 Abs. 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführten Beschuldigtenvernehmung vom nicht über seine Beschuldigtenrechte belehrt worden, ist bereits unzulässig, weil insbesondere die Verschriftung der Vernehmung, das vom Mitangeklagten unterzeichnete Formblatt zur Belehrung sowie weitere Umstände und Unterlagen zum Vorlauf der Vernehmung nicht vorgetragen werden.
10. Die Beanstandung der Angeklagten A.   M.      , das Landgericht habe § 265 Abs. 3 StPO verletzt, ist aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen bereits unzulässig, jedenfalls unbegründet; Vortrag zum Beruhen des Urteils auf dem behaupteten Rechtsfehler war indes nicht erforderlich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:310123B5STR382.22.1

Fundstelle(n):
KAAAJ-34157