BGH Urteil v. - VIa ZR 739/21

Instanzenzug: Az: 5 U 767/21vorgehend LG Trier Az: 5 O 379/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte im Februar 2013 von einem Händler ein Neufahrzeug des Typs VW Tiguan zum Kaufpreis von 33.977,65 €. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Im August 2016 ließ der Kläger das vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebene Software-Update durchführen und verkaufte das Fahrzeug im März 2017 für 20.000 € an einen Dritten.

3Mit seiner im November 2020 erhobenen Klage hat der Kläger, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, die Beklagte zuletzt auf Zahlung von 13.977,65 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 10.092,87 € nebst Prozesszinsen seit dem und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht, das die weitergehende Berufung der Beklagten und die auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 45,21 € gerichtete Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen hat, das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert, die Verurteilung der Beklagten in der Hauptsache in Höhe von mehr als 2.660,45 € aufgehoben, auf die verbleibenden 2.660,45 € allerdings Zinsen ab dem zuerkannt und die weitergehende Klage (Hauptsache im Übrigen und Freistellung) abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die vollständige Zurückweisung der Berufung der Beklagten und deren Verurteilung gemäß der Anschlussberufung. Die Beklagte hat die von ihr zunächst eingelegte Revision vor deren Begründung zurückgenommen.

Gründe

4Die Revision des Klägers ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, hat sie in der Sache Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB ein Restschadensersatzanspruch in Höhe von 2.660,45 € zu. Der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und des Weiterverkaufserlöses gerichtete Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 10.092,87 € (33.977,65 € Kaufpreis - 3.884,78 € Nutzungsentschädigung - 20.000 € Verkaufspreis) sei verjährt. Folglich könne der Kläger von der Beklagten nur die Herausgabe dessen verlangen, was sie auf seine Kosten erlangt habe. Dies sei vorliegend nicht der vom Kläger gezahlte Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge, sondern der aus dem Verkauf des Fahrzeugs an den Kläger erzielte Gewinn der Beklagten, den das Berufungsgericht anhand der durchschnittlichen Umsatzrendite der Beklagten in den Jahren 2014 bis einschließlich 2019 auf 2.660,45 € schätze. Zinsen stünden dem Kläger ab dem Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses zu. Sie seien jedoch wegen des beschränkten Klageantrags erst ab dem zuzusprechen. Hinsichtlich der überschießenden Hauptforderung sei die Klage auf die Berufung der Beklagten abzuweisen.

7Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestehe nicht. Den Ersatz solcher Kosten könne ein Geschädigter nur verlangen, wenn er seinen Prozessbevollmächtigten vor Klageerhebung zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt habe. Entsprechender Vortrag des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers fehle. Demgemäß sei die auf Freistellung gerichtete Klage auf die Berufung der Beklagten abzuweisen und scheitere der Kläger mit seinem mit der Anschlussberufung verfolgten Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Freistellung von einem geringfügig höheren als dem vom Landgericht titulierten Betrag.

II.

8Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts zu der vom Kläger begehrten Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten richtet. Insoweit fehlt es jedenfalls an der notwendigen Revisionsbegründung (§ 552 Abs. 1, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

9Bei einer umfassenden Anfechtung muss die Revisionsbegründung das gesamte Urteil in Frage stellen; soweit bezüglich quantitativ abgegrenzter Teile des Streitgegenstands oder hinsichtlich eines von mehreren Streitgegenständen kein konkreter Angriff erfolgt, muss wenigstens eine alle Ansprüche durchgehend erfassende Rüge erhoben werden. Ist die Klageabweisung (insoweit) auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung auch für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unrichtig sein soll (vgl. , WM 2022, 2395 Rn. 13 mwN).

10Das Berufungsgericht hat die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als unbegründet angesehen, weil es jedenfalls an schlüssigem Vortrag zu dem im Innenverhältnis erteilten Auftrag fehle. Diese die teilweise Abweisung der Klage selbständig tragende Begründung hat die Revision, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, nicht angegriffen. Es kann deshalb im Ergebnis dahinstehen, ob die mit "der unterschiedlichen Anwendung von § 852 Satz 1 BGB" gerechtfertigte Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts das Begehren des Klägers auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten umfasst (vgl. , NJW 2021, 3393 Rn. 13).

III.

11Im Übrigen hat die jedenfalls insoweit statthafte ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 7) und auch ansonsten zulässige Revision Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein den Betrag von 2.660,45 € übersteigender Restschadensersatzanspruch des Klägers nicht verneint werden.

121. Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht beanstandet hat das Berufungsgericht noch angenommen, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und des Erlöses aus dem Weiterverkauf des Fahrzeugs habe (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594 Rn. 23 ff.), dem die Beklagte jedoch die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 33 ff.; vgl. auch VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 25 ff.).

132. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB ein Anspruch von nicht mehr als 2.660,45 € zu, dessen Bestehen dem Grunde nach zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellen ist. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist als Erlangtes im Sinne von § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB nicht lediglich der Herstellergewinn, sondern der von der Beklagten vereinnahmte Händlereinkaufspreis herauszugeben ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16).

IV.

14Das Berufungsurteil ist danach, soweit nicht die Revision als unzulässig zu verwerfen ist, die Hauptforderung betreffend in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben, da es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§§ 561, 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen zur Höhe eines dem Grunde nach von der Revisionserwiderung nicht in Abrede gestellten Anspruchs aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB getroffen hat. Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), damit es nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16; Urteil vom - VIa ZR 122/22, WM 2022, 2237 Rn. 27) die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

15Solle das Berufungsgericht zu einem den Betrag von 2.660,45 € übersteigenden Anspruch des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gelangen, wird es zu beachten haben, dass es auf die Berufung der Beklagten Zinsen zugunsten des Klägers auf diesen weiteren Betrag nicht ab einem früheren Zeitpunkt als dem vom Landgericht ausgeurteilten, das ist der , gewähren kann.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:191222UVIAZR739.21.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-32458