BGH Urteil v. - VI ZR 68/20

Deliktshaftung des Motorenherstellers in einem sog. Dieselfall: Arglistige Täuschung gegenüber dem Käufer eines von der Tochtergesellschaft des Motorenherstellers hergestellten Fahrzeugs

Leitsatz

Zur Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer eines von dessen Tochtergesellschaft hergestellten Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall.

Gesetze: § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 7 U 239/18vorgehend LG Braunschweig Az: 3 O 1567/17 (140)

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Motorenherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb im März 2013 von einem Autohaus ein Fahrzeug Audi A3 2.0 TDI S-line als Gebrauchtwagen zum Preis von 19.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Die Beklagte ist Herstellerin des Motors. Die Motorsteuerung war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und in diesem Falle in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß schaltete. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß.

3Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung. Mit Bescheid vom verpflichtete es die AUDI AG, die Abschalteinrichtung bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Motor EA189 zu entfernen. Ein daraufhin entwickeltes Software-Update wurde vom KBA im Juni 2016 freigegeben und zwischenzeitlich auch beim Fahrzeug des Klägers durchgeführt.

4Der Kläger nimmt die Beklagte Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs auf Erstattung des von ihm gezahlten Kaufpreises, Aufwendungsersatz, Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sowie Feststellung des Annahmeverzugs in Anspruch.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Gründe

I.

6Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu. Hinsichtlich der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen fehle es an substantiiertem Vortrag eines konkreten "Täters", einer konkreten, der Beklagten zuzurechnenden Tathandlung sowie eines Schadens.

7Vertragliche bzw. quasivertragliche Ansprüche sowie Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter seien schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte unstreitig nicht das Fahrzeug, sondern lediglich den Motor produziert habe. Deshalb gingen auch die Ausführungen des Klägers zu Ansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3-5 Verordnung (EG) 715/2007 oder § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ins Leere, soweit sie darauf gestützt seien, dass die für das Inverkehrbringen des Fahrzeugs erforderliche Typgenehmigung durch Täuschung der Behörden erlangt und die darauf bezugnehmende Übereinstimmungsbescheinigung infolgedessen zu Unrecht ausgestellt worden sei. Unabhängig davon seien die eben genannten Normen nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.

8Auch ein Ersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sei nicht gegeben. Zunächst gehe der Klägervortrag auch in diesem Zusammenhang daran vorbei, dass die Beklagte das Fahrzeug nicht hergestellt und in den Verkehr gebracht habe. Darüber hinaus seien weder eine aktive Täuschungshandlung in Form der Behauptung der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung noch eine Täuschung durch Unterlassen gegeben, für die es bereits an einer Offenbarungspflicht aus einem besonderen Vertrauensverhältnis fehle. Abgesehen davon habe der Kläger schon keinen konkreten Täter des behaupteten Betruges benannt, wofür mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK auch keine sekundäre Darlegungslast der Beklagten bestehe. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands komme hinzu, dass eine mosaikartige Zusammenrechnung von Wissen verschiedener Verantwortlicher bzw. Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens der Darlegungslast für ein mit einem Unwerturteil verbundenes Verhalten nicht gerecht würde. Im Übrigen sei weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich, wie der Kaufvertrag eines Dritten mit dem Kläger von einer stoffgleichen Bereicherungsabsicht der Beklagten umfasst sein könnte.

9Schließlich seien auch Ansprüche aus § 826 BGB zu verneinen. Ein bestimmter Verantwortlicher oder Mitarbeiter der Beklagten, der die subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmale in seiner Person verwirklicht haben solle, werde vom Kläger nicht mit Substanz genannt, wobei auch hier keine sekundäre Behauptungslast der Beklagten bestehe. Darüber hinaus fehle es an der substantiierten Darlegung der Sittenwidrigkeit des Tuns oder Unterlassens. Zudem sei der Kaufpreisschaden auch hier nicht vom Schutzzweck des verletzten Verbots unzulässiger Abschalteinrichtungen aus Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) 715/2007 erfasst.

10Unabhängig davon habe der Kläger für alle Anspruchsgrundlagen das Vorliegen eines Schadens gemäß §§ 249 ff. BGB nicht dargelegt. Hieran fehle es schon deshalb, weil der Kläger die von ihm gerügte Beeinträchtigung, nämlich das Vorhandensein der abgasbeeinflussenden Software, unstreitig durch die Installation des Software-Updates habe beseitigen lassen. Umstände, die eine Wertminderung durch den fortbestehenden Makel der ursprünglichen Ausstattung mit der abgasbeeinflussenden Software erkennen lassen könnten, trage der Kläger nicht substantiiert vor.

11Soweit der Kläger neben der Rückabwicklung des Kaufvertrags auch Ersatz von Aufwendungen für das Fahrzeug verlange, stehe ihm unabhängig von den vorstehenden Ausführungen kein Ersatzanspruch zu. Er habe den ursächlichen Zusammenhang mit der behaupteten unerlaubten Handlung der Beklagten nicht dargelegt. Nach den von ihm genannten Stichworten handele es sich um gewöhnliche, im Verlauf der Nutzung eines Kraftfahrzeugs anfallende Wartungs- und Reparaturkosten, die in keinem Zusammenhang mit dem behaupteten Fehlverhalten der Beklagten ständen und bei jeder Nutzung eines Pkw anfielen.

II.

12Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung gegen die Abweisung der Klage auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 10.913,69 € richtet. Insoweit fehlt es an der notwendigen Revisionsbegründung (§ 552 Abs. 1, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

13Bei einer umfassenden Anfechtung muss die Revisionsbegründung das gesamte Urteil in Frage stellen; soweit bezüglich quantitativ abgegrenzter Teile des Streitgegenstands oder hinsichtlich eines von mehreren Streitgegenständen kein konkreter Angriff erfolgt, muss wenigstens eine alle Ansprüche durchgehend erfassende Rüge erhoben werden. Ist die Klageabweisung (insoweit) auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung auch für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unrichtig sein soll (vgl. , VersR 2000, 370, juris Rn. 5; für die Berufungsbegründung: Senatsbeschluss vom - VI ZB 87/21, MDR 2022, 1110 Rn. 6; , FamRZ 2021, 1399 Rn. 8).

14Das Berufungsgericht hat die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Ersatz von Aufwendungen für das Fahrzeug als unbegründet angesehen, weil es jedenfalls an der haftungsausfüllenden Kausalität fehle. Bei den geltend gemachten Kosten handele es sich um frustrierte Aufwendungen, die auch dann, wenn dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustünden, nicht ersatzfähig seien. Diese die teilweise Abweisung der Klage selbständig tragende Begründung hat die Revision nicht angegriffen.

III.

15Im Übrigen hat die Revision Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB nicht verneint werden.

161. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe ein sittenwidriges Verhalten im Zusammenhang mit der Verwendung der unzulässigen Motorsteuerungssoftware im Unternehmen der Beklagten nicht schlüssig dargetan.

17a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es maßgeblich darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 14 f.; vom - VI ZR 676/20, VersR 2022, 652 Rn. 14; jeweils mwN).

18b) Nach diesen Grundsätzen ist das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zum Kläger auf der Grundlage des mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrags des Klägers als sittenwidrig zu qualifizieren.

19aa) Wie die Revision zu Recht rügt, hatte der Kläger geltend gemacht, im Unternehmen der Beklagten sei eine komplette Motorserie systematisch mit Täuschungssoftware ausgerüstet worden und unter Verschweigen dieses Umstands zum Zwecke des Weiterverkaufs unter anderem in Fahrzeugen der Marke Audi in den Verkehr gebracht worden. Den Kunden sei vorgespiegelt worden, dass das Fahrzeug in einem gesetzeskonformen Zustand die Betriebserlaubnis erhalten habe. Die Täuschung der Beklagten habe dazu gedient, zur Kostensenkung rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mithilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

20bb) Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zum Kläger objektiv sittenwidrig und steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Klägers in der Bewertung gleich (vgl. , NJW-RR 2022, 1106 Rn. 10; vom - VI ZR 676/20, VersR 2022, 652 Rn. 18; jeweils mwN). Dabei wirkt es sich im Ergebnis nicht aus, dass es vorliegend um ein Fahrzeugmodell einer Tochtergesellschaft der Beklagten (Audi) geht, die Beklagte also nicht das Fahrzeug in den Verkehr gebracht, sondern den darin eingebauten Motor hergestellt und ihrer Tochtergesellschaft überlassen hat. Denn als sittenwidrig ist es auch zu beurteilen, wenn ein Motorenhersteller - wie vom Kläger in Bezug auf die Beklagte vorgetragen - einen Motor auf der Grundlage einer für sein Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und diesen Motor in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von seiner Tochtergesellschaft in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird. Auch ein solches Verhalten steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Personen gleich, die ein mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug in Unkenntnis dieses Umstands - und vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit - erwarben (vgl. , VersR 2021, 1511 Rn. 12; vom - VI ZR 148/20, VersR 2022, 186 Rn. 13; jeweils mwN).

21Darauf, ob die Regelungen der §§ 6, 27 EG-FGV nur dem Ersterwerber oder auch dem Kläger zugutekommen können, kommt es im Rahmen des Anspruchs aus § 826 BGB nicht an (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14 mwN). Ebenso wenig ist hier von Relevanz, ob im Rahmen einer (vor-)vertraglichen Bindung eine Offenbarungspflicht der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur bei erkennbar wertbestimmenden Faktoren besteht und ob im Streitfall ein merkantiler Minderwert vorliegt.

222. Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Anspruch aus § 826 BGB scheide deshalb aus, weil der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, welche konkrete Person, deren Handeln sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsste, den deliktischen Tatbestand verwirklicht habe. Angesichts des vom Kläger erhobenen Vorwurfs durfte das Berufungsgericht keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt hat.

23a) Zwar trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 35; vom - VI ZR 367/19, VersR 2020, 1331 Rn. 15; jeweils mwN).

24b) Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen (vgl. , NJW 2016, 953 Rn. 37). Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 37 ff.; vom - VI ZR 367/19, VersR 2020, 1331 Rn. 16; vom - VI ZR 633/20, VersR 2022, 520 Rn. 13; jeweils mwN).

25c) Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte.

26aa) Wie die Revision mit Erfolg rügt, hat der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass diese Entscheidung von den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Die Revision verweist zu Recht auf den Vortrag des Klägers in der Klageschrift, es sei schlichtweg unvorstellbar, dass die Vorstandsmitglieder der Beklagten über eine derart weitreichende Entscheidung, eine komplette Motorserie systematisch mit Täuschungssoftware auszurüsten, nicht informiert gewesen seien. Die Täuschung der Beklagten habe dazu gedient, zur Kostensenkung rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mithilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Angesichts der Tatsache, dass die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung die grundlegende strategische Frage betrifft, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm sicherstellen wollte, sind die entsprechenden Behauptungen des Klägers nicht von der Hand zu weisen.

27bb) Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass der Kläger insoweit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann. Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick des Klägers entziehen. Demgegenüber war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 39 ff.; vom - VI ZR 633/20, VersR 2022, 520 Rn. 14 mwN).

283. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann auch der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden.

29a) Das Berufungsgericht hat zunächst übersehen, dass ein Schaden im Sinne des § 826 BGB auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen kann. Nach deren Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 46 ff.; vom - VI ZR 676/20, VersR 2022, 652 Rn. 20, 22; jeweils mwN).

30b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht auch angenommen, an einem berücksichtigungsfähigen Schaden fehle es bereits deshalb, weil der Kläger die von ihm gerügte Beeinträchtigung, nämlich das Vorhandensein der abgasbeeinflussenden Software, durch die Installation des Software-Updates habe beseitigen lassen. Liegt der Schaden - wie der Kläger geltend macht - in einem unter Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfällt dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes - wie gegebenenfalls hier durch das Aufspielen des Software-Updates - nachträglich verändern. Diese Umstände führen nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 58; vom - VI ZR 633/20, VersR 2022, 520 Rn. 18; vom - VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14 mwN).

31c) Der vom Kläger geltend gemachte Schaden liegt auch nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an (vgl. , VersR 2022, 654 Rn. 14; vom - VI ZR 676/20, VersR 2022, 652 Rn. 18; vom - VI ZR 633/20, VersR 2022, 520 Rn. 17; vom - VI ZR 405/19, VersR 2021, 458 Rn. 24; vom - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 24).

IV.

32Das angefochtene Urteil war daher im tenorierten Umfang nach § 562 ZPO aufzuheben und die Sache gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:251022UVIZR68.20.0

Fundstelle(n):
WM 2022 S. 2395 Nr. 49
OAAAJ-26812