BSG Beschluss v. - B 9 SB 28/22 B

Gründe

1I. Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen die Entziehung des bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) wegen Eintritts einer Heilungsbewährung nach operativer Entfernung eines Dickdarmtumors und von Lebermetastasen. Den insoweit ursprünglich festgestellten GdB von 90 (Bescheid vom ) hat der Beklagte wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ab dem entzogen (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ). Das hiergegen gerichtete Begehren hat das LSG ebenso wie zuvor das ) nach Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen und Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom verneint, weil der Beklagte den Ausgangsbescheid wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach Ablauf der 5-jährigen Heilungsbewährung zu Recht aufgehoben habe. Nach Entfernung des malignen Darmtumors bedingten die funktionellen Beeinträchtigungen durch die bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens bei dem Kläger noch bestehenden nachgewiesenen Gesundheitsstörungen einen Gesamt-GdB von weniger als 20. Unter Berücksichtigung der Einzel-GdB-Werte von jeweils 10 im Funktionssystem "Rumpf" für die geringfügigen Einschränkungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie im Funktionssystem "Beine" für die Polyneuropathie erreiche der daraus zu bildende Gesamt-GdB nicht den für eine Feststellung erforderlichen Mindestwert von 20. Im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" lägen keine Beeinträchtigungen vor, die einer GdB-Bewertung zugrunde gelegt werden könnten. Der Facharzt für Allgemeinmedizin F habe in seinem für das Widerspruchsverfahren erstellten Attest vom keine psychischen Beschwerden erwähnt. Sofern dieser in seiner späteren sachverständigen Zeugenaussage im Berufungsverfahren angegeben habe, diagnostisch sei von einer erschwerten Krankheitsverarbeitung im Rahmen einer reaktiven depressiven Episode auszugehen, fehle es an einem Befund und einer zeitlichen Einordnung. Hinzu komme, dass der ärztliche Kontakt nach Angaben von F oft nur über die Ehefrau erfolgt sei. Insgesamt lasse sich in Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme des W vom im hier relevanten Zeitraum keine psychische Behinderung nachweisen, die nach den Voraussetzungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB zu bewerten wäre. Soweit der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers unter dem unter Hinweis auf einen psychischen Leidensdruck und eine Persönlichkeitsveränderung beantragt habe, von Amts wegen ein Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, habe keine Veranlassung bestanden, dem nachzukommen, weil es insoweit an ärztlichen Befunden bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens und an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen für gutachterliche Ermittlungen fehle.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Bereits erstinstanzlich sei erfolglos hinsichtlich der von Facharzt für Allgemeinmedizin F beschriebenen Polyneuropathien eine weitere Sachaufklärung begehrt worden. Stattdessen habe sich das SG nur auf einen Bericht des behandelnden Facharztes für Neurologie A vom gestützt, der lediglich eine Hypästhesie der Fußsohlen und auch keine Sturzneigung festgestellt habe, ohne die divergierenden Aussagen der behandelnden Ärzte weiter aufzuklären. Dieser Verfahrensmangel wirke auch in der zweiten Instanz fort. Denn das LSG sei ohne hinreichende Begründung seinen mit Schriftsätzen vom 14.4. und gestellten Beweisanträgen nicht gefolgt. Zudem habe F in seinem vom LSG eingeholten Bericht nochmals die Polyneuropathie-Beschwerden hervorgehoben und zudem eine rezidivierende Depression im Sinne einer reaktiven Depression betont. Aufgrund der Gesamtumstände hätte sich das LSG ausgehend von seiner eigenen Rechtsansicht gedrängt sehen müssen, weiteren Beweis durch Einholung eines Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet zu erheben.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

41. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Mangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5a) In dieser Hinsicht fehlt es in der Beschwerdebegründung des Klägers bereits an der zwingend erforderlichen zusammenhängenden, vollständigen, chronologisch geordneten und aus sich heraus verständlichen Darstellung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Tatumstände, die nach der maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung des LSG zu weiterer Sachaufklärung Anlass hätten geben können (vgl stRspr; zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 10). Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil und/oder den Gerichts- und Verwaltungsakten selbst herauszusuchen (stRspr; zB - juris RdNr 4; - juris RdNr 23).

6b) Auch im Übrigen ist die als Verfahrensmangel allein gerügte Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) nicht hinreichend substantiiert bezeichnet. Hierzu muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen vgl - juris RdNr 6 mwN).

7Diese Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge verfehlt die Beschwerde. Dies gilt zunächst für die nach Ansicht des Klägers prozessordnungswidrig unterbliebene weitere Beweiserhebung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bereits vor dem SG, die sich bis in das Berufungsverfahren als Verfahrensmangel fortgesetzt habe. Zwar kann ein Verfahrensmangel, der dem SG unterlaufen ist, auch dann die Zulassung der Revision rechtfertigen, wenn dieser bis in das Berufungsverfahren fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist (vgl - juris RdNr 16; - juris RdNr 15). Dies hat der Kläger aber nicht dargetan.

8Soweit der Kläger die gerichtliche Amtsermittlungspflicht auch vor dem LSG nicht als erfüllt ansieht, weil es auf seine Anträge vom 14.4. und keine neurologisch-psychiatrische Begutachtung veranlasst habe, hat er damit keinen bis zuletzt aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO bezeichnet. Bloße Beweisanregungen haben prozessual und im Hinblick auf die Sachaufklärungsrüge nicht dieselbe Bedeutung wie ein Beweisantrag ( - juris RdNr 8 mwN). Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass das Begehren des Klägers über eine solche Anregung hinausging. Zwar hat das LSG in dem angefochtenen Urteil als Hilfsantrag die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens aufgenommen. Dieser Antrag enthält jedoch keinen ordnungsgemäßen Beweisantrag. Ebenso wenig hinreichend bezeichnet hat die Beschwerdebegründung einen solchen, vom Kläger auch noch nach seiner Zustimmung zur Entscheidung des LSG ohne mündliche Verhandlung weiter aufrechterhaltenen Beweisantrag (zu diesem Erfordernis - juris RdNr 7; - juris RdNr 13 f). Denn dafür muss nicht nur die Stellung eines Antrags benannt und das "Beharren" auf die Durchführung einer Beweisaufnahme trotz des Einverständnisses zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung dargelegt, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten "zu begutachtenden Punkte" (Tatsachen) Beweis erhoben werden sollte ( - juris RdNr 7). Entsprechenden substantiierten Vortrag enthält die Beschwerdebegründung nicht. Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache ( - juris RdNr 7). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit eines Antrags zu prüfen und ggf eine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen ( - juris RdNr 8; - juris RdNr 7).

9Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht substantiiert aufgezeigt, dass und warum sich das LSG ausgehend von seiner materiellen Rechtsauffassung hätte gedrängt fühlen müssen, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weiteren Beweis zu erheben (vgl - juris RdNr 8 mwN). Dass aus Sicht des Klägers weitere Ermittlungen in diesem Bereich erforderlich gewesen wären, reicht nicht. Zwar weist er in seiner Beschwerdebegründung auf den vom LSG im Berufungsverfahren eingeholten Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin F hin, in dem dieser von Polyneuropathien und einer reaktiven Depression berichtet habe. Der Kläger räumt aber selbst ein, dass das LSG diesen Befundbericht im angefochtenen Urteil erörtert hat. Er gibt jedoch nicht die diesbezüglichen Feststellungen des LSG wieder und setzt sich auch nicht mit dessen Argumentation auseinander, sondern meint lediglich, das Berufungsgericht habe falsche Schlussfolgerungen ("Schlüsse") aus den medizinischen Aussagen von F gezogen. Mit diesem Vorbringen wendet sich der Kläger aber im Kern gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches auch nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BH - juris RdNr 11; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

10Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

112. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

123. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.Kaltenstein                Röhl                Othmer

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:281122BB9SB2822B0

Fundstelle(n):
QAAAJ-31242