Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Tatrichterliche Würdigung der Erfolgsaussichten der Behandlung
Gesetze: § 64 S 2 StGB
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 49 KLs 9/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dagegen hat die Maßregelanordnung keinen Bestand. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei angenommen, dass bei dem Angeklagten ein Hang besteht, andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, seine Tat auf diesen Hang zurückgeht und der Hang auch zur Gefahr der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten führt. Es hat aber die für die Anordnung einer Maßregel nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht nicht tragfähig begründet.
3a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nach § 64 Satz 2 StGB nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Verurteilten durch die Behandlung innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung genügt hierfür nicht (vgl. zum Ganzen nur mwN).
4b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
5aa) Die Ausführungen der Strafkammer zu der Erfolgsprognose der Maßregel unterliegen rechtlichen Bedenken schon deshalb, weil sie sich in der Wiedergabe der Einschätzung des psychologischen Sachverständigen erschöpfen und eine eigene tatrichterliche Würdigung nicht erkennen lassen (vgl. mwN).
6bb) Überdies ist der im Urteil wiedergegebene Gutachteninhalt auch für sich genommen defizitär.
7(1) Hiernach hat der Sachverständige angenommen, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Möglichkeit böte, den Angeklagten suchttherapeutisch zu schulen, seine deliktfördernden Charakterzüge psychotherapeutisch zu modifizieren und ihn unter therapeutischer Unterstützung und Kontrolle sukzessive in höhere Freiheitsgrade wechseln zu lassen. Der Angeklagte habe seine Therapiemotivation bekundet und hierfür außer strategischen auch intrinsische Gründe angegeben. Er verfüge angesichts seines Lebensalters und mangels eingetretener Folgeschäden seines Betäubungsmittelkonsums über die psychosozialen Ressourcen, um von den Behandlungsangeboten profitieren zu können. Auch lägen bei ihm keine schwerwiegenden Persönlichkeitsauffälligkeiten vor, die eine Integration in das stationäre Setting unmöglich machen würden.
8(2) Diese knappe Darstellung lässt eine tragfähige Tatsachengrundlage der Erfolgsprognose vermissen. Außer der vom Angeklagten geäußerten – allerdings auch „strategisch“ begründeten – Therapiemotivation werden konkrete Umstände aus der Persönlichkeit oder dem Leben des Angeklagten, die für einen Erfolg der Maßregel sprechen, nicht mitgeteilt. Soweit mögliche prognoseungünstige Gesichtspunkte erwogen und als bei dem Angeklagten nicht vorhanden oder als nicht durchgreifend beurteilt werden, wird dies seinerseits weder umfassend begründet noch in der gebotenen Weise in ein Verhältnis zu der Therapiemotivation und etwaigen weiteren für einen Behandlungserfolg sprechenden Umständen gestellt (vgl. zu der insoweit erforderlichen Abwägung , NStZ-RR 2022, 240, 241 mwN). Namentlich lässt die Annahme, die Persönlichkeit des Angeklagten stehe seiner Integration in eine stationäre Behandlungsumgebung nicht entgegen, offen, ob und inwieweit die von dem Sachverständigen diagnostizierten dissozialen Charakterzüge des Angeklagten den Behandlungserfolg aus sonstigen Gründen erschweren könnten. Unerörtert bleibt auch, welche Auswirkungen die bei dem Angeklagten bestehende Abhängigkeit von einer Mehrzahl verschiedener Betäubungsmittel auf den Erfolg der Maßregel haben kann.
92. Die Sache bedarf daher insoweit – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Unterbringung entzieht zugleich der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe die Grundlage. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Wertungs- und Darstellungsmangel hingegen nicht betroffen; sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und gegebenenfalls um weitere Feststellungen ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:061222B4STR438.22.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-31233