BGH Beschluss v. - 5 StR 130/22

Anforderungen an die Begründung der Erfolgsaussichten einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt

Gesetze: § 64 S 2 StGB

Instanzenzug: Az: 3 KLs 35/20

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen zahlreicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die Angeklagten S.   , B.    und G.     zudem wegen Verstößen gegen das Waffengesetz zu Gesamtfreiheitsstrafen zwischen vier Jahren und sechs Monaten sowie zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt; den Angeklagten D.    hat es von einem weiteren Tatvorwurf freigesprochen. Gegen den Angeklagten S.   hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat das Landgericht gegen alle Angeklagten Einziehungsentscheidungen getroffen.

2Die Angeklagten stützen ihre Rechtsmittel jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts; die Angeklagten S.   , D.    und G.     erheben zudem Verfahrensbeanstandungen und beantragen, das Revisionsverfahren auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in zwei dort anhängigen Verfahren über die Verwertbarkeit von EncroChat-Daten entschieden hat. Die Revision des Angeklagten S.   erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie ebenso wie die Rechtsmittel der Angeklagten B.   , D.    und G.     im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

I.

3Die von den Angeklagten S.   , D.    und G.     beantragte Aussetzung des Revisionsverfahrens kommt mangels Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Insbesondere besteht insoweit keine ausschließliche Zuständigkeit oder Vorabentscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wie dies etwa in Art. 100 GG für das Bundesverfassungsgericht oder in Art. 267 AEUV für den Gerichtshof der Europäischen Union angeordnet ist.

II.

4Die Revision des Angeklagten S.    hat lediglich im Umfang der Beschlussformel Erfolg.

51. Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.

62. Die auf die Sachrüge gebotene materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dagegen hat die Maßregelanordnung keinen Bestand, zudem bedarf die Einziehungsentscheidung der Korrektur.

7a) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann keinen Bestand haben, weil sich die Begründung der Erfolgsaussicht als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist.

8aa) Das Landgericht hat zur Begründung der Erfolgsaussicht allein die Einschätzung der Sachverständigen wiedergegeben, der Angeklagte habe bisher noch keine störungsspezifische Behandlung durchlaufen, zeige sich therapiemotiviert, problematisiere seine Konsumgewohnheiten und formuliere einen Veränderungswunsch; trotz der – einen möglichen Behandlungserfolg limitierenden – komorbiden dissozialen und narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung seien „absolute Therapiehemmnisse“ nicht erkennbar und könne die Behandlungsprognose „als offen bis vorsichtig positiv“ angesehen werden.

9bb) Diese Ausführungen lassen bereits eine eigenverantwortliche tatgerichtliche Würdigung der Erfolgsaussicht vermissen, denn das Landgericht hat sich darauf beschränkt, die entsprechenden Ausführungen der Sachverständigen zu referieren. Zur Begründung der Erfolgsaussicht darf das Gericht aber nicht nur auf die Einschätzung des Sachverständigen abstellen, vielmehr hat es insoweit eine eigene Würdigung vorzunehmen (; Urteil vom – 5 StR 79/15). Nicht anders als bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat es die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB wegen seiner Letztverantwortung für die Entscheidung selbständig zu beurteilen (vgl. ).

10cc) Ungeachtet dessen sind die Darlegungen nicht geeignet, eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht zu belegen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nach § 64 Satz 2 StGB nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Verurteilten durch die Behandlung innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren oder unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung genügt hierfür nicht (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 208/21; vom – 2 StR 104/21; BeckOK StGB/Ziegler, 53. Ed., § 64 Rn. 12; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 61 ff. jeweils mwN). Diese Maßstäbe hat das Landgericht verkannt, indem es schon das Fehlen „absolute[r] Therapiehemmnisse“ und eine „als offen bis vorsichtig positiv“ anzusehende Behandlungsprognose als ausreichend erachtet hat.

11dd) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Maßregelentscheidung bedarf deshalb neuer Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt, soweit die Aufhebung reicht, auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen.

12b) Die gegen den Angeklagten S.    ergangene Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist von 1.119.555 Euro auf 1.118.055 Euro zu reduzieren.

13Das Landgericht hat bei der Berechnung der Einziehungssumme für Fall II.3 der Urteilsgründe einen Betrag von 195.100 Euro zu Grunde gelegt, obgleich der Angeklagte S.   nach den Feststellungen aus diesem Betäubungsmittelgeschäft insgesamt nur 193.600 Euro erzielt und vereinnahmt hat. Dies beruht auf einem offensichtlichen Übertragungsfehler. Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist dementsprechend um 1.500 Euro zu reduzieren. Den überschießenden Betrag lässt der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO entfallen. Der Teilbetrag von 90.755 Euro, für den der Angeklagte als Gesamtschuldner haftet, wird davon nicht berührt.

14c) Im Übrigen ist die Einziehungsentscheidung nicht zum Nachteil des Angeklagten fehlerhaft.

15Insbesondere hat das Landgericht zu Recht die Einziehung des gesamten im Rahmen der Durchsuchung des Wohnhauses des Angeklagten sichergestellten Bargeldes in Höhe von 27.000 Euro als durch die Urteilstaten erlangten Ertrag im Sinne von § 73 StGB angeordnet. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen stammt „dieses Bargeld aus den gegenständlichen Betäubungsmittelgeschäften des Angeklagten S.   “. Seine Einlassung, das aufgefundene Bargeld sei seiner Frau zuzuordnen, hat das Landgericht „als widerlegte Schutzbehauptung“ gewertet. Ob der Angeklagte außerdem auch den angeblich aus der Rückzahlung einer stornierten Urlaubsreise stammenden Betrag durch seine Betäubungsmittelgeschäfte erwirtschaftet hatte, ist für die hier zu beurteilende Einziehungsentscheidung ohne Belang.

III.

16Die Revision des Angeklagten D.    bleibt ohne Erfolg.

171. Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.

182. Die auf die Sachrüge gebotene materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Rechtsfolgenausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

19Die Verurteilung wegen tateinheitlichen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II.3 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

20a) Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte S.   vom Angeklagten G.     37 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt mindestens 13,8 Prozent) und veräußerte es im Folgenden gewinnbringend an verschiedene Abnehmer. Gemeinsam mit dem Angeklagten D.    verbrachte er eine Teilmenge von 20 kg von B.     zu einem Abnehmer nach H.      . Der Angeklagte D.    , dem Art und Menge des Betäubungsmittels bekannt waren und der dessen gewinnbringende Veräußerung durch den Angeklagten S.    unterstützen wollte, führte dabei entweder das Fahrzeug, in dem das Marihuana transportiert wurde, oder er begleitete den Angeklagten S.   mit einem weiteren Fahrzeug, um diesen vor etwaigen Kontrollen warnen zu können. Der Angeklagte D.     erhielt für seine Unterstützung 2.000 Euro. Eine weitere Teilmenge von 2 kg veräußerte der Angeklagte S.   an einen Abnehmer in Br.         , wobei der Angeklagte D.     das Marihuana dorthin verbrachte. Dafür erhielt er weitere 400 Euro.

21b) Danach hat sich der Angeklagte D.    – wie vom Landgericht zutreffend angenommen – wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Feststellungen einen Besitz des Angeklagten an den 20 kg Marihuana nicht belegen, weil das Landgericht nicht sicher festzustellen vermochte, ob er auf dem Weg nach H.      das Transport- oder das Begleitfahrzeug führte. Allerdings verbrachte der Angeklagte die weitere Teilmenge von 2 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 276 g THC nach Br.         . Dadurch verwirklichte er tateinheitlich zur Beihilfehandlung den Tatbestand des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

22c) Der Senat besorgt nicht, das Landgericht könnte im Rahmen der Strafzumessung betreffend Fall II.3 der Urteilsgründe statt von einer Besitzmenge von 2 kg Marihuana fehlerhaft von einer solchen von 22 kg ausgegangen sein, denn das Landgericht hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, strafschärfend die Mengen berücksichtigt zu haben, die der Angeklagte D.    „besaß und auf die sich seine Beihilfehandlungen zugunsten Dritter bezogen“.

23d) Der Senat ist durch den auf Korrektur des Schuldspruchs gerichteten Antrag des Generalbundesanwalts nicht gehindert, die Revision des Angeklagten insgesamt nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Eine vom Generalbundesanwalt beantragte Schuldspruchänderung, welcher der Senat nicht folgen will, steht einer Verwerfung des Rechtsmittels durch Beschluss nicht entgegen; daran ändert der Umstand nichts, dass sich der Generalbundesanwalt auch auf § 349 Abs. 4 StPO bezogen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 151/22; vom – 5 StR 128/22; vom – 4 StR 158/19; vom – 5 StR 111/11 jeweils mwN). Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Generalbundesanwalt eine Herabsetzung der Einzelstrafe auf das gesetzliche Mindestmaß beantragt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 128/22; vom – 4 StR 158/19).

IV.

24Die Revisionen der Angeklagten B.    und G.    bleiben aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:310822B5STR130.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-24973