BGH Urteil v. - VII ZR 363/21

Instanzenzug: Az: 7 U 1602/20 Urteilvorgehend LG Trier Az: 5 O 141/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug VW Polo 1,6 l TDI, das er am bei einem Autohändler als Neuwagen zum Preis von 21.648 € erworben hatte, auf Schadensersatz in Anspruch.

2Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Steuerungssoftware, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb ("Umschaltlogik").

3Am veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 auffällig seien. Ab Oktober 2015 wurde nach einer Pressemitteilung der Beklagten über den "Abgasskandal" in Presse, Funk und Fernsehen umfangreich berichtet. Mit weiterer Pressemitteilung vom kündigte die Beklagte für die folgende Woche die Freischaltung einer Webseite mit einer Suchmaschine an, mit der jedermann unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Motor ausgestattet war. Am ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) einen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an, über den die Medien gleichfalls ausführlich berichteten. Zur Behebung der Abgasproblematik entwickelte die Beklagte nach Abstimmung mit dem KBA ein Software-Update, das auch für das Fahrzeug des Klägers angeboten wurde.

4Mit seiner am anhängig gemachten Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des genau bezeichneten Fahrzeugs durch die Beklagte resultierten. Die Beklagte hat die von ihr zunächst erhobene Einrede der Verjährung in der mündlichen Verhandlung erster Instanz fallen lassen. In der Berufungsinstanz hat sie die Einrede erneut erhoben.

5Das Landgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Klageabweisung im Übrigen festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger gemäß § 852 BGB zum Ersatz des Restschadens verpflichtet sei, der aus der Manipulation des genau bezeichneten Fahrzeugs durch die Beklagte resultiere. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf vollständige Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter.

Gründe

6Die Revision hat Erfolg.

I.

7Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, die vom Kläger erhobene Feststellungsklage gerichtet auf Schadensersatz wegen der Manipulation des Fahrzeugs des Klägers sei zulässig, weil er sich die Wahl zwischen der Rückgabe des Fahrzeugs gegen Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung oder der Geltendmachung eines möglichen Differenzschadens vorbehalten wolle. Die Klage sei jedoch unbegründet. Dem Kläger stehe zwar gemäß § 826 BGB ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, dieser sei jedoch verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen. Der Ersatzanspruch sei bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs am entstanden. Dass dem Kläger der "Dieselskandal", der monatelang sämtliche Medien beherrscht habe, gänzlich verborgen geblieben sei, sei schlechterdings nicht vorstellbar. Aufgrund des öffentlichen Bekanntwerdens des sogenannten Abgasskandals habe auch Veranlassung und Gelegenheit bestanden, über einfach zugängliche Wege in Erfahrung zu bringen, ob der eigene Pkw davon betroffen sei. Es sei grob fahrlässig, wenn sich der Besitzer eines Fahrzeugs der Beklagten im Jahr 2015 trotz der sich regelrecht aufdrängenden Umstände nicht weiter informiert habe, um die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom "Dieselskandal" zu überprüfen. Das von der Beklagten entwickelte Software-Update stelle kein neues schädigendes Ereignis dar, da der Schaden bereits im Vertragsschluss liege, und setze keine neue Kausalkette mit abweichender Verjährungsfrist in Gang. Die erst im Juli 2020 erhobene Klage habe die Verjährungsfrist daher nicht mehr rechtzeitig hemmen können.

8Dem Kläger stehe allerdings ein Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB zu; die damit verbundene Beschränkung seines Schadensersatzanspruchs sei im Tenor zum Ausdruck zu bringen gewesen. Der Ausgleich sei auf die Höhe der dem Schädiger verbliebenen Bereicherung begrenzt. Dieser Anspruch sei nicht verjährt, da die gemäß § 852 Satz 2 BGB zehnjährige Frist, die mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags am zu laufen begonnen habe, durch die am Montag, dem eingereichte und alsbald zugestellte Klage rechtzeitig gehemmt worden sei.

II.

9Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

101. Da das Berufungsurteil lediglich von der Beklagten mit der Revision angegriffen worden ist, ist die Entscheidung nur daraufhin zu überprüfen, ob der vom Berufungsgericht ausschließlich zum Anspruch auf Ersatz des Restschadens (§ 852 Satz 1 BGB) getroffene Feststellungsausspruch zu Recht ergangen ist.

112. Dieser Ausspruch ist zwar trotz seiner weiten Formulierung hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil er sich unter Heranziehung der Feststellungen des Berufungsgerichts dahingehend auslegen lässt, dass es um die Ersatzpflicht der Beklagten für Schäden geht, die daraus resultieren, dass die Beklagte den in das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor mit der vom KBA mit Bescheid vom als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung herstellte und in den Verkehr brachte (vgl. Rn. 12 f., WM 2021, 2208).

123. Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich aber die Auffassung des Berufungsgerichts, die Ersatzpflicht nach § 852 Satz 1 BGB könne Gegenstand eines Feststellungsausspruchs sein. Insoweit fehlt das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weil der Kläger einen (Rest-)Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB abschließend beziffern und im Wege der Leistungsklage geltend machen kann.

13a) Mangels Vollstreckbarkeit des Feststellungsurteils fehlt das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende (vgl. Rn. 14, WM 2017, 906) Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 13 ff., WM 2017, 906). So liegt der Fall hier. Der nach Verjährung des deliktischen Schadenersatzanspruchs verbliebene Anspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB richtet sich auf die dem Schädiger verbliebene Bereicherung, die er auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Ein etwaig noch in der Entwicklung befindlicher Schaden scheidet damit von vornherein aus.

14b) Der Umstand, dass der Restschadensersatzanspruch des Klägers wie der verjährte Anspruch aus §§ 826, 31 BGB der Vorteilsausgleichung unterliegt (vgl. VIa ZR 8/21 Rn. 83, BGHZ 233, 16), steht der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Leistungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger den von ihm erlangten Nutzungsvorteil selbst beziffern oder die tatsächlichen Grundlagen für eine gerichtliche Schätzung angeben ( VIa ZR 591/21 Rn. 15 m.w.N., juris). Auch eine gegebenenfalls von der Beklagten an den Händler entrichtete Händlermarge oder -provision stünde der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Leistungsklage nicht entgegen (vgl. VIa ZR 591/21 Rn. 14, juris; Urteil vom - VIa ZR 122/22 Rn. 24 f., 27, juris).

15c) Soweit der Kläger zur Begründung seines Feststellungsinteresses im Rahmen des primär geltend gemachten Anspruchs aus § 826 BGB auf die Möglichkeit von Steuernachforderungen, von behördlichen Maßnahmen wegen eines Thermofensters im Software-Update und von Schäden durch das Update selbst verwiesen hat, ergibt sich ein Feststellungsinteresse daraus schon deshalb nicht, weil die genannten Schäden im Rahmen von §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht ersatzfähig wären, da ihnen kein eigener wirtschaftlicher Vorteil der Beklagten entspräche (vgl. VIa ZR 591/21 Rn. 16 f. m.w.N., juris).

16d) Ein Feststellungsinteresse ist auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit gegeben (vgl. Rn. 16, WM 2017, 766; Urteil vom - III ZR 74/82, WM 1983, 1266, juris Rn. 14). Im konkreten Fall ist nicht gesichert, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien endgültig bereinigt. Im Gegenteil ist mit dem Feststellungsausspruch nicht ansatzweise geklärt, ob bzw. in welcher Höhe der Beklagten als Schädigerin eine Bereicherung verblieben ist, so dass ein weiterer Prozess zu erwarten ist.

III.

17Das angefochtene Urteil, das sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO), hat daher keinen Bestand und ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weiterer Vortrag, der ein Feststellungsinteresse begründen könnte, scheidet aus.

18Die Sache ist auch nicht vorrangig vor einer Abweisung der Klage gerichtet auf Feststellung eines Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB als unzulässig an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, noch im hiesigen Rechtsstreit zu einem zulässigen Leistungsantrag überzugehen. Die Frist zur Einlegung einer dazu erforderlichen Anschlussberufung (vgl. Rn. 13, juris; Urteil vom - XI ZR 572/16 Rn. 16, WM 2018, 1599) ist abgelaufen. Wird die Unzulässigkeit des Feststellungsantrags erstmals in der Revisionsinstanz erkannt, ist zwar im Grundsatz dem Kläger durch Zurückverweisung der Sache in die Berufungsinstanz Gelegenheit zu geben, eine Umstellung der Anträge nach § 264 Nr. 2 ZPO vorzunehmen (vgl. Rn. 39 m.w.N., WM 2017, 906). Dem Kläger als Berufungsbeklagten steht auch grundsätzlich - und zwar auch noch nach Zurückverweisung der Sache in die Berufungsinstanz - die Möglichkeit offen, die bislang nicht in die Rechtsmittelinstanzen gelangten Anträge im Wege der Anschlussberufung zu ändern oder zu erweitern (, NJW 1999, 139, juris Rn. 26). Der Kläger hat aber eine Anschlussberufung, die keine Beschwer voraussetzt (vgl. Rn. 26 m.w.N., WM 2019, 275), nicht eingelegt und kann dies nicht mehr nachholen, weil die Frist für die Berufungserwiderung und damit für die Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) angesichts einer den Anforderungen des § 524 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügenden Belehrung bei der Zustellung der Berufungsbegründung durch das Berufungsgericht (vgl. Rn. 13, juris; Urteil vom - X ZR 120/15 Rn. 48 ff., BGHZ 215, 89) bereits verstrichen ist (vgl. Rn. 16 ff., WM 2018, 1599). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet insoweit aus (vgl. Rn. 20 ff., 37 ff., MDR 2022, 717), so dass der Kläger im hiesigen Rechtsstreit nicht mehr zu einer Leistungsklage übergehen kann.

IV.

19Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:011222UVIIZR363.21.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-30472