Einkommensteuer | Steuerliche Behandlung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses (BFH)
Ein punktuell
satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der
von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem
Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer
Ausschüttungsbeschluss entgegen der Sichtweise der Finanzverwaltung () der Besteuerung zugrunde
zu legen. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn
verteilt wird, verwirklicht nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gem. §
20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (;
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Sachverhalt: Der Kläger war in den Streitjahren 2012 bis 2015 zu 50 % an einer GmbH 1 beteiligt. Weiterer 50 %-Gesellschafter war eine GmbH 2, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war. Die Gesellschafter der GmbH 1 fassten in den Streitjahren jeweils einstimmig Vorabausschüttungsbeschlüsse, mit denen die Vorabgewinne nur an die GmbH 2 verteilt wurden. Der Gesellschaftsvertrag der GmbH 1 enthielt keine Regelungen zur Gewinnverteilung. Diese waren daher entsprechend der Beteiligungsverhältnisse zu verteilen (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Das Finanzamt sah die Ausschüttungsbeschlüsse wegen der inkongruenten Verteilung der Vorabgewinne als zivilrechtlich nichtig an und unterwarf die hälftigen Ausschüttungsbeträge beim Kläger als Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG der Besteuerung.
Das FG gab der Klage statt, soweit sie die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre betraf (,AO).
Der BFH wies die Revision des Finanzamts gegen das zugunsten der Kläger ergangene Urteil des FG als unbegründet zurück:
Die einstimmig gefassten Ausschüttungsbeschlüsse sind als zivilrechtlich wirksame Gewinnverwendungs- und -verteilungsbeschlüsse der Besteuerung zugrunde zu legen.
Es liegen daher nur offene Gewinnausschüttungen der GmbH 1 an die GmbH 2 und keine Ausschüttungen an den Kläger vor.
Eine Zurechnung der hälftigen Ausschüttungsbeträge beim Kläger aufgrund eines Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO kommt nicht in Betracht. Zivilrechtlich wirksam beschlossene inkongruente Ausschüttungen sind steuerlich anzuerkennen. Dem Kläger ist aufgrund der Ausschüttungen der GmbH 1 nur an die GmbH 2 auch kein gesetzlich nicht vorgesehener steuerlicher Vorteil i. S. des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO entstanden.
Anmerkung von Dr. Christian Levedag, Richter im VIII. Senat des BFH:
Vor dem Besprechungsurteil war streitig und höchstrichterlich ungeklärt, ob inkongruente Gewinnausschüttungen nur dann als offene Gewinnausschüttungen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zu behandeln und als nicht gestaltungsmissbräuchlich i. S. des § 42 AO anzuerkennen sind, wenn die Gewinnverteilung auf einer satzungsmäßigen Grundlage im Gesellschaftsvertrag der ausschüttenden Gesellschaft beruht. Eine solche Grundlage kann darin bestehen, dass die Satzung generell eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnverteilung vorsieht oder gem. § 29 Abs. 3 Satz 2 des GmbH-Gesetzes eine Öffnungsklausel enthält, nach der der Gewinn im Einzelfall nach einem Gesellschafterbeschluss abweichend von den Beteiligungsverhältnissen ausgeschüttet werden darf. Beides fehlte im Gesellschaftsvertrag der ausschüttenden Gesellschaft im Besprechungsurteil (einer GmbH). Der VIII. BFH-Senat hat nunmehr entschieden, dass eine inkongruente Gewinnverteilung, die auf einem zwar „satzungsdurchbrechenden“, aber zivilrechtlich wirksamen Ausschüttungsbeschluss beruht, der Besteuerung zugrunde zu legen ist und auch nicht gestaltungsmissbräuchlich sein muss.
Nach der Auffassung der Finanzverwaltung (insbesondere des im Revisionsverfahren beigetretenen BMF, siehe ) sind satzungsdurchbrechende inkongruente Gewinnverteilungsbeschlüsse zivilrechtlich nichtig mit der steuerlichen Folge, dass die Ausschüttung nicht als offene Gewinnausschüttung, sondern als verdeckte Gewinnausschüttung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG (vGA) zu behandeln ist. Die Einordnung als vGA sollte im Besprechungsfall dazu führen, dass der überquotale Teil der Ausschüttungen an deren Empfängerin, eine vom Kläger als weiterem Gesellschafter der ausschüttenden Gesellschaft beherrschte GmbH, als Zuwendung an eine dem Kläger nahestehende Person beurteilt werden und dem Kläger aus dieser Dritt-vGA Einkünfte zuzurechnen sein sollten (mit anschließender verdeckter Einlage in die empfangende GmbH).
Der VIII. Senat sah die Gewinnverteilungsbeschlüsse jedoch nicht als nichtig an, weil diese keinen von der Satzung abweichenden dauerhaften Zustand begründeten. Die Wirkung der Ausschüttungen erschöpfte sich „punktuell“ in deren Abfluss, was nach der Rechtsprechung des BGH und des Schrifttums nur zur Anfechtbarkeit des Ausschüttungsbeschlusses führt. Da die streitigen Ausschüttungsbeschlüsse jeweils einstimmig gefasst worden waren, konnten sie jedoch von keinem der Gesellschafter angefochten werden. Sie waren damit im Ergebnis als zivilrechtlich wirksame und bindende Gewinnausschüttungsbeschlüsse der Besteuerung zugrunde zu legen. Die Ausschüttungen der GmbH an die Ausschüttungsempfängerin, die begünstigte GmbH, waren daher als offene Ausschüttungen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG anzusehen, die auf dem Gesellschaftsverhältnis zwischen der ausschüttenden Gesellschaft und der empfangenden Gesellschaft beruhten. Der Kläger, an den kein Gewinn verteilt wurde, verwirklichte den Tatbestand der Einkünfteerzielung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (d.h. den Bezug einer offenen Gewinnausschüttung) hingegen nicht. Der VIII. Senat verneinte auch einen Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO durch die inkongruente Gewinnverteilung. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH sind inkongruente Ausschüttungen, die auf einer satzungsmäßigen Grundlage beruhen, steuerlich anzuerkennen. Der VIII. Senat des BFH sah keinen Grund dafür, eine zivilrechtlich wirksam beschlossene satzungsdurchbrechende inkongruente Gewinnausschüttung anders zu behandeln. Er verneinte einen Gestaltungsmissbrauch im Streitfall auch deshalb, weil der Kläger keinen steuerlichen Vorteil erzielt hatte. Zwar waren die überquotalen Ausschüttungen ausschließlich einer GmbH zugutegekommen, die der Kläger als deren alleiniger Gesellschafter beherrschte. Der „Verzicht“ des Klägers auf den Empfang von Ausschüttungen bewirkte jedoch nur eine zeitliche Verschiebung der Einkünfteerzielung, nicht aber eine steuerliche Statusverbesserung des Klägers hinsichtlich der in den Streitjahren ausgeschütteten Gewinne. Denn eine Ausschüttung der auf die empfangende GmbH verlagerten Gewinne durch diese an den Kläger würde nach den gleichen Bedingungen besteuert wie eine Ausschüttung in den Streitjahren.
Der Praktiker sollte aus der Entscheidung des BFH nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass inkongruente satzungsdurchbrechende Gewinnausschüttungen nunmehr generell steuerlich unbedenklich sind. Der „steuerliche Knackpunkt“ für die Behandlung solcher Ausschüttungen liegt nach wie vor in der einzelfallabhängig zu beantwortenden zivilrechtlichen Vorfrage, ob die zugrunde liegenden Ausschüttungsbeschlüsse nichtig oder nur anfechtbar (und mangels Anfechtung wirksam) sind. Die einstimmige Beschlussfassung ist kein Allheilmittel für eine zivilrechtlich wirksame Beschlussfassung, weil ein satzungsdurchbrechender zustandsbegründender inkongruenter Ausschüttungsbeschluss selbst bei einstimmiger Beschlussfassung nichtig wäre.
Quelle: ; BFH, Pressemitteilung v. ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
FAAAJ-29232