BGH Urteil v. - 5 StR 203/22

Anforderungen an eine Verfahrensrüge wegen einer behaupteten Prozessabsprache; Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Gesetze: § 257c StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, Art 31 EURL 41/2014, § 29a Abs 1 BtMG, § 29a Abs 2 BtMG

Instanzenzug: Az: 6 KLs 101 Js 60337/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 59.000 Euro angeordnet. Das auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten dringt mit der Sachrüge zum Strafausspruch durch; seine weitergehende Revision ist unbegründet. Die Staatsanwaltschaft greift ausschließlich den Strafausspruch an. Ihre mit der Sachrüge geführte Revision hat Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte entschloss sich spätestens Anfang April 2020, seinen Lebensunterhalt durch den gewinnbringenden Verkauf von Betäubungsmitteln zu bestreiten. Für die Drogengeschäfte nutzte er ein Encrochat-Mobiltelefon. Vom 16. April bis zum handelte er in acht Fällen mit insgesamt 3 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 3 %, 28 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % sowie mit 6,97 Kilogramm Metamphetamin und 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils 70 %.

42. Das Landgericht hat die Taten rechtlich als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewürdigt (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Die Strafen hat es in einem Fall (Tat 5) dem Ausnahmestrafrahmen für minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG, im Übrigen jeweils dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen und Einzelfreiheitsstrafen von zehn Monaten bis vier Jahren verhängt. Daraus hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet. Hinsichtlich des Erlöses aus Tat 7 von 59.000 Euro hat das Landgericht eine Einziehungsanordnung nach §§ 73, 73c StGB getroffen.

II.

5Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft führen - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfumfangs (st. Rspr.; vgl. ) - zur Aufhebung des Strafausspruchs.

61. Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt einen Teilerfolg.

7a) Mit der Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer den Abschluss einer „informellen Absprache“ unter Verletzung von § 257c StPO behauptet, dringt er allerdings nicht durch. Sie ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht.

8Über die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgeführten Gründe hinaus ergibt sich dies aus Folgendem: Der Beschwerdeführer hat schon nicht mitgeteilt, welche konkreten, in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Absprachen mit dem Gericht getroffen worden sein sollen. Zum anderen hat er nicht vorgetragen, wer von seiner Seite und auf der des Gerichts daran beteiligt und inwieweit er darin eingebunden gewesen war. Ohne Kenntnis dieser Umstände ist dem Senat die rechtliche Prüfung verwehrt, ob das Tatgericht durch ein bestimmtes Tun oder Unterlassen gegen Verfahrensvorschriften des § 257c StPO verstoßen hat (vgl. , NStZ 2017, 424). Soweit der Beschwerdeführer mangels eigener Einbindung in die behauptete „informelle Absprache“ selbst an einem entsprechenden Tatsachenvortrag gehindert gewesen sein sollte, wäre er - nach dem Verteidigerwechsel in der Revisionsinstanz - verpflichtet gewesen, sich bei seinen Instanzverteidigern zu erkundigen und sein Bemühen um Informationsverschaffung mit der Revisionsbegründung vorzutragen (vgl. , BVerfGK 6, 235, 237; , BGHSt 58, 315, 318; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn. 38, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 344 Rn. 22; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 121).

9b) Mit der Sachrüge deckt der Angeklagte hingegen einen durchgreifenden Rechtsfehler bei der Strafzumessung auf. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen sachlich-rechtlichen Fehler zu seinem Nachteil ergeben.

10Das Landgericht hat bei der Bestimmung der Einzelstrafen strafschärfend berücksichtigt, dass die Betäubungsmittel „in keinem Fall ... sichergestellt werden konnten“. Zu Recht hat der Generalbundesanwalt dies als rechtsfehlerhaft beanstandet. Bei dem Umstand, dass Betäubungsmittel in den Verkehr gelangen, handelt es sich um den Normalfall des Handeltreibens. Diese Tatsache ist deshalb kein Strafschärfungsgrund. Es ist im Gegenteil so, dass die Sicherstellung zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmter Betäubungsmittel einen Strafmilderungsgrund darstellt (vgl. , NStZ-RR 2020, 146, 147). Das Landgericht hat mithin das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes (Sicherstellung der gehandelten Betäubungsmittel) strafschärfend gewertet. Dies stellt hier einen durchgreifenden Rechtsfehler dar (vgl. , StV 2019, 325, 326).

112. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil die Strafzumessung überdies Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten aufweist.

12a) Die Revision ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.

13Zwar hat die Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung beantragt, das Urteil insgesamt aufzuheben. Damit steht der übrige Inhalt der Revisionsrechtfertigung aber nicht im Einklang. Denn aus den einzelnen Beanstandungen ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft das Urteil nur hinsichtlich des Strafausspruches für rechtsfehlerhaft hält. In einem solchen Fall ist das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. , NStZ-RR 2015, 88 f. mwN).

14Hinsichtlich des Angriffsziels einer Revision ist der Sinn der Rechtsmittelbegründung maßgeblich. Für Revisionen der Staatsanwaltschaft ist hierbei Nr. 156 RiStBV in den Blick zu nehmen. Nach Absatz 1 ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel zu begründen. Darüber hinaus soll die Staatsanwaltschaft ihre Revision stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nr. 156 Abs. 2 RiStBV). Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, die der sachkundigen Zusammenfassung der von der Revision erstrebten rechtlichen Angriffe dient. Angesichts dessen ist nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft allein der Strafausspruch angefochten (vgl. , NStZ-RR 2022, 201 mwN).

15b) Die Strafzumessung weist durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

16aa) Das Landgericht hat bei allen Einzelstrafen strafmildernd gewertet, dass es sich „zumindest theoretisch“ um beobachtete Taten handelte. Denn es wäre den deutschen Strafverfolgungsbehörden aufgrund der „annähernd tagesaktuellen Datenübermittlungen“ aus Frankreich „grundsätzlich“ möglich gewesen, die Chatverläufe zu den abgeurteilten Taten „nahezu tagesaktuell“ zu verfolgen. Diese Erwägung ist in mehrfacher Hinsicht durchgreifend rechtsfehlerhaft.

17Zwar kann die polizeiliche Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten sein, dem neben einer Sicherstellung der Drogen eigenes Gewicht zukommen kann. Voraussetzung hierfür ist aber, dass durch die Überwachungsmaßnahmen eine tatsächliche Gefährdung für das Rechtsgut der Volksgesundheit durch das Rauschgift ausgeschlossen war. Denn die zusätzlich strafmildernde Wirkung resultiert aus dem Gewinn an Sicherheit, den eine derartige Überwachung schon während der Tatbegehung bewirkt, indem sie bereits von Beginn an die Möglichkeit für eine spätere Sicherstellung schafft und so eine tatsächliche Gefahr für die Allgemeinheit ausschließt. Dann ist nämlich der Unrechtsgehalt der Tat zusätzlich gegenüber den Fällen reduziert, in denen die Betäubungsmittel trotz fehlender Überwachung (etwa aufgrund einer zufälligen Verkehrskontrolle) sichergestellt werden können (vgl. mwN). Es bedarf mithin - neben der Sicherstellung der Betäubungsmittel - von Beginn des Drogengeschäfts an einer tatsächlichen engmaschigen und lückenlosen polizeilichen Überwachung des inmitten stehenden Rauschgifthandels.

18Dies hat das Landgericht verkannt. Es fehlt schon an der Sicherstellung der Betäubungsmittel. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass es sich nach den Urteilsfeststellungen lediglich „theoretisch“ um beobachtete Taten handelte und daher von einer tatsächlichen engmaschigen und lückenlosen Überwachung nicht die Rede sein kann. Dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden „grundsätzlich“ die Möglichkeit gehabt hätten, die Chatverläufe zu den Drogengeschäften zu verfolgen, und daher eventuell gegen den Angeklagten hätten vorgehen können, ist ohne Belang. Denn ein Straftäter hat keinen Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern (vgl. , NJW 2022, 1826, 1827 ff.; vom - 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140, 141).

19bb) Das Landgericht hat einen bestimmenden Strafmilderungsgrund darin erblickt, dass bei der ursprünglichen Datenerhebung in einem französischen Ermittlungsverfahren „formale Rechtshilfevorschriften ... offenbar nicht eingehalten“ worden seien. Insbesondere habe es keinen Anhalt gefunden, dass die französischen Ermittlungsbehörden das insofern zuständige deutsche Amtsgericht nach Art. 31 RL EEA von der Datenerhebung benachrichtigt hätten. Diese Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat hierzu zu Recht ausgeführt, dass Verstöße gegen Verfahrensrecht im Allgemeinen nicht bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind (vgl. Rn. 65; Beschluss vom - 3 StR 97/11, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Verfahrensverstöße 2). Ein Verstoß gegen die Rechtshilfevorschrift des Art. 31 RL EEA, dem im Inland kein individualschützender Charakter zukommt (vgl. hierzu Rn. 41, NStZ 2022, 435, 441 f.), hat keine Bedeutung für die Strafzumessung (vgl. § 46 Abs. 1 und 2 StGB).

203. Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil dem Landgericht lediglich Wertungsfehler unterlaufen sind. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

21Der Senat weist mit dem Generalbundesanwalt darauf hin, dass Methamphetamin und Kokain nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur als „mittelgradig gefährliche“, sondern als sehr gefährliche („harte“) Drogen zu bewerten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 87/17; vom - 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88 f.).

224. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision ist unzulässig, weil einer seiner Verteidiger das Rechtsmittel des Angeklagten rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingelegt hat (§ 341 Abs. 1 StPO). Zutreffend hat der Generalbundesanwalt ausgeführt, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist deswegen auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet und damit unzulässig ist (vgl. , BGHR StPO § 341 Frist 2).

23Die Kostenbeschwerde des Angeklagten ist gegenstandslos.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030822U5STR203.22.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-29003