Einkommensteuer | Trennungsunterhalt durch Naturalleistungen (BFH)
Die auf einem entgeltlichen
Rechtsverhältnis beruhende Überlassung einer Wohnung an den geschiedenen oder
dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten unterfällt nicht dem Anwendungsbereich
des
§ 10
Abs. 1a Nr. 1 EStG (;
veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG zählen zu den Sonderausgaben die Aufwendungen für Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt, und zwar bis zu 13.805 € im Kalenderjahr. Der Empfänger hat jene Leistungen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1a EStG zu versteuern (sog. begrenztes Realsplitting).
Sachverhalt: Streitig ist, ob ein unterhaltsverpflichteter Steuerpflichtiger die ortsübliche Miete für die an seinen von ihm dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten überlassene Wohnung als Unterhaltsleistung gemäß § 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 EStG abziehen kann: Der Kläger war im Streitjahr 2015 mit seiner Ehefrau verheiratet, das Paar lebte jedoch dauernd voneinander getrennt. Die Ehefrau bewohnte mit den gemeinsamen minderjährigen Kindern bis Dezember 2015 die bisherige Familienwohnung, deren Eigentümer der Kläger und die Ehefrau je zur ideellen Hälfte waren.
In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger zunächst Unterhaltsleistungen von 9.450 € als Sonderausgaben geltend. In der von der Ehefrau unterschriebenen Anlage U stimmte sie einem Abzug der Leistungen nur in Höhe von 7.050 € zu; hiervon entfielen 2.250 € auf Geld- und 4.800 € auf Sachleistungen. In dieser Höhe berücksichtigte das FA für den Kläger Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG. Der Einkommensteuerbescheid wurde ebenso bestandskräftig wie ein nachfolgender Änderungsbescheid.
Im Juli 2018 beantragte der Kläger die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung und begehrte einen höheren Abzug für die Nutzungsüberlassung der ehemaligen Familienwohnung. Diese sei nicht mit dem in der Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung zugrunde gelegte Betrag von 400 € anzusetzen. Stattdessen sei der tatsächliche Mietwert des Miteigentumsanteils, der mit monatlich 818,07 € anzusetzen sei, zu berücksichtigen. Dem Antrag beigefügt war eine familiengerichtliche Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Ehefrau aus Mai 2018, in der die Ehefreu u.a. für das Streitjahr unter Hinweis auf eine Entscheidung des dem Realsplitting zugestimmt hatte. Der Kläger hatte sich verpflichtet, der Ehefrau alle aus deren Zustimmung entstehenden weiteren steuerlichen Nachteile für das Streitjahr 2015 zu ersetzen.
Das FA lehnte die Änderung ab, die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg ().
Die Richter des BFH hoben die Entscheidung auf wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück:
Der BFH hat bereits entschieden, dass die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung eine Naturalunterhaltsleistung darstellt, die für Zwecke des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen ist (, BStBl II 2002, 130, unter II.1.).
Die entgeltliche - d.h. auf einem Mietvertrag beruhende - Überlassung einer Immobilie an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten stellt keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar und kann somit zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung führen, selbst wenn die Miete mit dem geschuldeten Barunterhalt verrechnet wird (). Hieraus folgt, dass der sachliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG insoweit nicht eröffnet ist, als die Nutzungsüberlassung Gegenstand eines entgeltlichen Rechtsverhältnisses ist.
Vorliegend hat das FG rechtsfehlerhaft entschieden, dass die höheren als die bislang berücksichtigten Sonderausgaben für Unterhaltsleistungen bereits deshalb nicht abziehbar seien, da die Nutzungsüberlassung des Miteigentumsanteils des Klägers an der ehemals ehelichen Wohnung an die Ehefrau auf einer mietvertragsähnlichen Vereinbarung beruht habe und keine unentgeltliche Naturalunterhaltsleistung gewesen sei.
Im zweiten Rechtsgang wird das FG neben der Ermittlung der ortsüblichen Miete für die überlassene Immobilie insbesondere zu erwägen haben, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe ein auf die beiden gemeinsamen Kinder entfallender Wohnvorteil bei der Beurteilung der nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abziehbaren Unterhaltsleistungen außer Betracht bleibt.
Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker , Richter im X. Senat des BFH:
Unterhaltsleistungen können auch Naturalleistungen sein. Im Fall der Trennung und Scheidung betrifft dies häufig die Überlassung der Familienwohnung. Dabei ist zu unterscheiden, ob deren Überlassung unentgeltlich und damit als Naturalleistung vereinbart worden ist oder ob ein entgeltliches Mietverhältnis gegeben ist, bei dem die Mietzahlung mit dem zu erbringenden Unterhalt verrechnet wird. Vorliegend ergibt sich aus der Vereinbarung eindeutig eine unentgeltliche Überlassung. Folglich ist nicht der vereinbarte Anrechnungsbetrag, sondern nach der Scheidung die ortsübliche Miete anzusetzen. Allerdings muss insoweit beachtet werden, ob die Wohnung auch den gemeinsamen Kindern überlassen wird. In diesem Fall ist der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG um den Wohnvorteil der Kinder zu kürzen, der sich aus den unterhaltsrechtlichen Leitlinien verschiedener OLGs ergibt. Ein Wohnkostenanteil von 20 % scheint nach dem , BGHZ 209, 243, Rz 19 vertretbar.
Während der Trennungsphase ist außerdem zu beachten, dass nur der Mietwert für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende kleinere (!) Wohnung zu zahlen ist (, NJW 2007, 1974).
Geklärt ist, dass im Fall einer (geänderten) Vereinbarung der Antrag auf Sonderausgabenabzug in Verbindung mit einer Zustimmung des Unterhaltsberechtigten ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist, so dass auch bestandskräftige Steuerbescheide geändert werden können. Denn erst der Antrag und die Zustimmung überführen die Unterhaltsleistungen in den steuerrechtlich relevanten Bereich (, HFR 2022, 422 mit Anmerkung Nöcker, s. hierzu auch unsere Online-Nachricht v. 17.2.2022).
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
WAAAJ-28652