Verfahrensrüge im Strafverfahren: Beweisverwertung von im Wege der Rechtshilfe erlangten Notizen aus Krypto-Mobiltelefon
Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 10 GG, § 100a StPO, § 100b Abs 1 StPO, § 100b Abs 2 Nr 5 Buchst b StPO, § 100b Abs 3 StPO, § 100e Abs 6 Nr 1 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, Art 31 EURL 41/2014, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG
Instanzenzug: Az: 3 KLs 25/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie unerlaubten Besitzes eines verbotenen Gegenstands (Elektroimpulsgerät) in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
31. Der Beschwerdeführer beanstandet, die vom Landgericht zum Beweis herangezogenen Notizen des Zeugen L. aus dessen Krypto-Mobiltelefon des Anbieters E. Chat seien unverwertbar. Die im Wege der Rechtshilfe ermöglichte Verwendung dieser Daten im deutschen Strafverfahren verletze „das IT-Grundrecht“ und Art. 10 GG, weil ein qualifizierter Tatverdacht nicht vorgelegen habe und damit die Maßnahme zur Gewinnung der Daten nicht den Voraussetzungen der §§ 100a, 100b StPO genüge. Die Daten seien überdies unter Verstoß gegen die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (im Folgenden: RL EEA) erlangt worden, weil die französischen Behörden ihrer Unterrichtungspflicht nach Art. 31 RL EEA nicht nachgekommen seien. Schließlich hätten „die deutschen Behörden“ durch planmäßiges Vorgehen an der Datengewinnung im Ausland mitgewirkt, um die Vorschriften der Strafprozessordnung zu umgehen.
4Die Zulässigkeit der Verfahrensrüge kann dahinstehen. Sie ist jedenfalls unbegründet.
5a) Nach dem Revisionsvorbringen und dem Urteilsinhalt, den das Revisionsgericht ergänzend berücksichtigen kann (vgl. ), hat das Landgericht seine Feststellungen zu dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (hier: Ankauf von Marihuana in mehreren Lieferungen) maßgeblich auf verlesene elektronische Notizen gestützt, die der Lieferant des Angeklagten, der Zeuge L. , im Tatzeitraum von Januar bis März 2020 in sein Krypto-Mobiltelefon des Anbieters E. Chat eingegeben hatte. Dieses verfügte – wie herkömmliche Mobiltelefone – über eine Notizbuchfunktion. Die Notizen verhielten sich zu der jeweils gehandelten Menge, der Sorte und dem Preis des Marihuanas.
6Die elektronischen Daten waren durch eine richterlich genehmigte, zeitlich befristete Ermittlungsmaßnahme französischer Strafverfolgungsbehörden gewonnen worden. Dabei waren die vom anonymen Anbieter E. Chat europaweit vertriebenen Krypto-Mobiltelefone – darunter dasjenige des Zeugen L. – ab dem durch einen verdeckten Fernzugriff ausgelesen worden, der sowohl die auf den Mobiltelefonen bereits vorhandenen Bestandsdaten als auch die Live-Kommunikation erfasste. Die Daten der Telefone, die (auch) in Deutschland benutzt wurden, übermittelten die französischen Behörden der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main aufgrund einer europäischen Ermittlungsanordnung (vgl. näher ). In der Hauptverhandlung hat die Verteidigung der Verwertung der Daten widersprochen.
7b) Das von der Revision geltend gemachte Verwertungsverbot besteht unter keinem der geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkte. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung an, die grundsätzlich von der Verwertbarkeit der aus Frankreich übermittelten Daten der E. Chat-Mobiltelefone ausgeht (; vgl. auch Beschluss vom – 6 StR 639/21; Beschluss vom – 6 StR 55/22; Beschluss vom – 5 StR 133/22). Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass mögliche Rechtsverletzungen bei der Beweiserhebung den Rechtskreis des Angeklagten nicht wesentlich berühren und somit von vornherein nicht erfolgreich gerügt werden können.
8aa) Im Ausgangspunkt gilt nach ständiger Rechtsprechung, dass die Verwertbarkeit von Beweisen, die im Wege der Rechtshilfe erlangt worden sind, nach deutschem Recht als dem Recht des ersuchenden Staates zu beurteilen ist (; Beschluss vom – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32). Verfassungsmäßige Rechtsgrundlage der Verwertung der Notizen aus dem Krypto-Mobiltelefon ist dabei § 261 StPO (vgl. ).
9bb) Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich nicht aus einer möglichen Verletzung des § 100b StPO.
10(1) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers setzt die Beweisverwertung bereits nicht voraus, dass die Maßnahme der französischen Behörden zur Gewinnung der Beweismittel nach deutschem Strafprozessrecht – in Betracht käme insoweit allein § 100b StPO (Online-Durchsuchung) – rechtmäßig hätte angeordnet werden können. Denn die bloße Nichteinhaltung deutschen Rechts bei einer ausländischen Ermittlungsmaßnahme kann nicht per se ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot begründen. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards wird in solchen Fällen durch Prüfung der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem nationalen und europäischen ordre public und eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Beweisverwertung unter Annahme besonderer Verwendungsvorbehalte gewährleistet ().
11(2) In der vorliegenden Konstellation kann der Beschwerdeführer allerdings ohnehin mit der Rüge einer Verletzung des § 100b StPO nicht durchdringen.
12Die Verletzung einer Verfahrensnorm, die nicht dem Schutz des Beschuldigten dient, führt ihm gegenüber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot und kann daher nicht erfolgreich mit der Revision gerügt werden, da sein Rechtskreis nicht betroffen ist (vgl. , BGHSt 11, 213; zuletzt ; Beschluss vom – 5 StR 464/19; Beschluss vom – 4 StR 195/16).
13Die Vorschrift des § 100b StPO ist in ihrer heutigen Form durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom (BGBl. I, S. 3202) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Die hohen materiellen Anforderungen, die § 100b Abs. 1 und Abs. 3 StPO an die Rechtfertigung einer Online-Durchsuchung stellen, sowie die verfahrensrechtlichen Sicherungen sollen dem Grundrechtsschutz des Nutzers des betroffenen informationstechnischen Systems dienen (vgl. BT-Drucks. 18/12785, S. 54). Denn für diesen stellt die Online-Durchsuchung einen Eingriff in den Schutzbereich seines Rechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme als eigenständiger Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Die Intensität eines derartigen Eingriffs ist für den betroffenen Nutzer hoch, da auf informationstechnischen Systemen potentiell umfangreiche Datenbestände vorzufinden sind, die seine persönliche Lebensgestaltung detailliert abbilden und deren Ausforschung in ihrem Gewicht über einzelne Datenerhebungen weit hinausgeht (vgl. BT-Drucks. 18/12785, S. 54).
14Vorliegend ist der Beschwerdeführer nicht vom Schutzbereich des Rechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Denn er war nicht Nutzer des von der Maßnahme betroffenen Krypto-Mobiltelefons; dies war allein der Zeuge L. , der die elektronischen Notizen in das Telefon eingegeben hatte.
15cc) Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich weiter nicht aus einer möglichen Verletzung der Unterrichtungspflicht des Art. 31 RL EEA durch französische Behörden. Denn soweit der Unterrichtungspflicht überhaupt eine individualschützende Wirkung zukommt, bezieht sich diese allein auf die – hier nicht in Rede stehende – Beweisverwendung im Ausland (vgl. näher ). In den Schutzbereich fällt weiter nur die Zielperson der Überwachung, denn nur über diese hat nach Art. 31 Abs. 1 RL EEA der überwachende Mitgliedstaat zu unterrichten. Eine etwaige Verletzung der Unterrichtungspflicht kann der Beschwerdeführer somit bereits deshalb nicht erfolgreich rügen, weil nicht er, sondern der Zeuge L. als Nutzer des Krypto-Mobiltelefons die Zielperson der Überwachung war.
16dd) Für durch Rechtshilfe erlangte Informationen, die nicht auf einer Anordnung der Ermittlungsmaßnahme durch deutsche Behörden, sondern nur auf der Übermittlung von Beweisergebnissen beruhen, die ein anderer Mitgliedstaat auf eigener Rechtsgrundlage erhoben hat, fehlt es an einer ausdrücklichen Verwendungsbeschränkung jenseits des im Rechtshilfeverkehr geltenden ordre-public-Vorbehalts, insbesondere ist § 100e Abs. 6 StPO nicht anwendbar. Ob zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorliegend die Wertungen des § 100e Abs. 6 StPO als Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau heranzuziehen sind (vgl. Rn. 65) oder ob – mit Blick darauf, dass der Angeklagte nicht selbst von der Maßnahme betroffen war – die Wertungen des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 161 Abs. 3 StPO maßgeblich sind (vgl. OLG Frankfurt NJW 2022, 710, 711; Gebhard/Michalke, Beschluss vom – 1 HEs 427/21, NJW 2022, 655, 658 f.), kann dahinstehen. Denn auch der höhere Schutzstandard ist erfüllt.
17Gemäß § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürfen Daten aus einer Online-Durchsuchung in anderen Strafverfahren ohne Einwilligung der insoweit überwachten Personen jedenfalls zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer Maßnahmen nach § 100b StPO angeordnet werden könnten, verwendet werden. Bei der erforderlichen Prüfung, ob die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise erheblich erschwert oder aussichtslos wäre (vgl. § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO), ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen (vgl. näher Rn. 69 f.).
18Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für eine Beweisverwertung der elektronischen Notizen aus dem Krypto-Mobiltelefon vor. Verfahrensgegenstand ist – soweit es um deren Verwertung geht – das Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und damit eine Katalogtat nach § 100b Abs. 2 Nr. 5 b) StPO. Die Tat wiegt auch im Einzelfall schwer. Der Angeklagte erwarb insgesamt 37 kg Marihuana, von denen 34 kg mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % in den Handel gelangten. Ohne die Beweismittel der elektronischen Notizen war eine Sachaufklärung ausgeschlossen.
19ee) Soweit der Beschwerdeführer meint, „die deutschen Behörden“ hätten durch planmäßiges Vorgehen an der Datengewinnung im Ausland mitgewirkt, um die Vorschriften der Strafprozessordnung zu umgehen, kann offenbleiben, ob dies zu einer anderen Bewertung führen würde (vgl. Rn. 75). Der vorgetragene Sachverhalt stützt die Behauptung des Beschwerdeführers nicht.
202. Die Rüge, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO verletzt, indem es Anträge der Verteidigung aus der Hauptverhandlung vom auf Vernehmung von Beamten der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und des Bundeskriminalamts sowie auf Beiziehung von Akten der Generalstaatsanwaltschaft abgelehnt habe, ist ebenfalls zumindest unbegründet.
21Das Landgericht hat die Anträge rechtsfehlerfrei abgelehnt. Der Sache nach handelte es sich nicht um förmliche Beweisanträge zur strengbeweislichen Feststellung der Schuld- und Rechtsfolgentatsachen im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, sondern um Anträge auf Feststellung prozesserheblicher Tatsachen im Freibeweis. Denn sie zielten darauf, Informationen über die angeblich rechtswidrige Gewinnung der E. Chat-Daten zu erlangen. Damit waren sie als bloße Anregungen ohne Bindung an § 244 Abs. 3 bis 5 StPO, § 245 Abs. 2 StPO zu bescheiden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 244 Rn. 9).
223. Die Rüge, das Landgericht habe der Verteidigung keine vollständige Akteneinsicht gewährt und dadurch den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren verletzt, ist unzulässig, weil sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht.
II.
23Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos. Allerdings ist die Strafzumessung bei der Einzelstrafe zu Tat 1) nicht rechtsfehlerfrei. Denn das Landgericht hat strafschärfend berücksichtigt, die nicht geringe Menge der Betäubungsmittel sei um das 580-fache überschritten. Richtigerweise beläuft sich das Vielfache der nicht geringen Menge von 7,5 g THC bei Cannabisprodukten (vgl. , BGHSt 33, 8), ausgehend von einer in den Handel gelangten Menge von 34 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC, jedoch auf nur rund das 453-fache. Der Senat kann angesichts der insgesamt maßvollen Strafzumessung indes ausschließen, dass das Landgericht ohne den Rechenfehler auf eine niedrigere Einzel- oder Gesamtstrafe erkannt hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:050722B4STR61.22.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-28533