Einkommensteuer | Hinzurechnung eines Kirchensteuer-Erstattungsüberhangs setzt keine Kirchensteuerzahlung im Erstattungsjahr voraus (BFH)
Ein Erstattungsüberhang i.S. des
§ 10 Abs.
4b Satz 3 EStG erfordert lediglich ein "Übersteigen" der
erstatteten Aufwendungen über die im Erstattungsjahr geleisteten Aufwendungen,
die auch 0 € betragen können. Ein Kirchensteuer-Erstattungsüberhang
liegt damit auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum
der Kirchensteuererstattung keine Kirchensteuer gezahlt hat
(; veröffentlicht am
).
Hintergrund: Sonderausgaben-Rückzahlungen an den Steuerpflichtigen sind nach der Rechtsprechung zur Verringerung des Verwaltungsaufwands zunächst im Erstattungsjahr (und nicht im Zahlungsjahr!) mit gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen (= Minderung gleichartiger Aufwendungen im Erstattungsjahr). § 10 Abs. 4b EStG sieht ab dem VZ 2012 explizit vor, wie mit einem Erstattungsüberhang bei bestimmten Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG) umzugehen ist. Danach werden Erstattungen für frühere VZ mit Sonderausgaben im Erstattungsjahr verrechnet. Übersteigen bei den Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG die Erstattungen im VZ die geleisteten Aufwendungen, ist der Erstattungsüberhang mit anderen im Rahmen der jeweiligen Nummer anzusetzenden Aufwendungen zu verrechnen. Verbleibt danach ein Erstattungsüberhang bei den Aufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG, ist er nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte auch dann hinzuzurechnen, wenn sich um Versicherungsbeiträge handelt, die vor Inkrafttreten des § 10 Abs. 4b EStG zum geleistet wurden. Ein Erstattungsüberhang liegt auch dann vor, wenn entsprechende Sonderausgaben im betreffenden VZ überhaupt nicht geleistet wurden und ausschließlich eine Erstattung vereinnahmt wurde. Auch in diesem Fall ist die Erstattung im VZ ihres Zuflusses gewissermaßen als negative Sonderausgabe dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen. Weitere Informationen dazu finden Sie im KKB/Wilhelm, § 10 EStG Rz. 26, 7. Aufl., Stand: Oktober 2022.
Sachverhalt: Der Kläger leistete in den Jahren 2009 und 2010 Kirchensteuer-Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 2009. Diese wurden ihm im Jahr 2012 aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2009 erstattet. Die im Jahr 2009 gezahlte Kirchensteuer-Vorauszahlung wirkte sich im Rahmen des Sonderausgabenabzugs nicht steuermindernd aus.
Im VZ 2012 zahlte der Kläger keine Kirchensteuer. Bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2012 erfasste das FA die Kirchensteuer, die dem Kläger für den Veranlagungszeitraum 2009 erstattet worden war, als Kirchensteuer-Erstattungsüberhang i.S. des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG. Es erhöhte den Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers entsprechend.
Der Kläger wandte dagegen ein, dass kein Überhang vorliege. Da er im Jahr 2012 keine Kirchensteuer-Zahlungen geleistet habe, sei eine Verrechnung von Erstattungen und Zahlungen nicht möglich. Außerdem setze eine Hinzurechnung eines Erstattungsüberhangs einen vorherigen Abzug der Kirchensteuer als Sonderausgabe voraus. Daran fehle es, soweit der Erstattungsbetrag auf den in 2009 gezahlten Kirchensteuer-Vorauszahlungen beruhe.
Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 12.2.2020).
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
Entgegen der Ansicht des Klägers setzt der Wortlaut der Vorschrift das Vorliegen einer (verrechenbaren) Kirchensteuerzahlung nicht voraus.
§ 10 Abs. 4b Satz 3 EStG betrifft einen Erstattungsüberhang von Kirchensteuer als Aufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG und verweist auf die in § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG gegebene Legaldefinition des Erstattungsüberhangs. Gefordert wird insoweit auch bezüglich gezahlter Kirchensteuer lediglich ein "Übersteigen" der erstatteten Aufwendungen.
Diese Erstattungen betrugen im Streitfall - beruhend auf Zahlungen der Jahre 2009 und 2010- insgesamt rund 866.000 €, die im Streitjahr geleisteten Aufwendungen 0 €. Der Überhang entspricht damit aufgrund des im Zahlungsbereich gegebenen Nullwerts exakt der Höhe der Erstattungen. Ein "Verrechnen" von gezahlter Kirchensteuer ist nicht Bestandteil der Legaldefinition des Erstattungsüberhangs.
Der Normzusammenhang führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Auch soweit in § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG im Zusammenhang mit dem Begriff des "Erstattungsüberhangs" von "geleisteten" Aufwendungen die Rede ist und Satz 3 der Norm hieran anknüpft, wird damit lediglich der häufig vorkommende Fall eines betragsmäßigen und damit auch verrechenbaren Aufwands beschrieben, ohne dass aber wie vorstehend dargelegt bei einer Nullzahlung ein Überhang der Erstattungen von vornherein ausscheiden würde.
Vor allem aber würde die vom Kläger vertretene Sichtweise zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten sinnwidrigen Ergebnis führen. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem FG davon aus, dass eine anhand der Gesetzesbegründung vorgenommene historische und teleologische Gesetzesauslegung ein Verständnis des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG bedingt, dass ein Erstattungsüberhang im Sinne dieser Vorschrift auch im Fall einer fehlenden Kirchensteuerzahlung im Erstattungsjahr gegeben ist (vgl. BT-Drucks 17/5125, S. 21 und S. 37).
Die Regelungen des § 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3 EStG sind vom Ziel der Verfahrensvereinfachung getragen. Bei Erstattungsüberhängen betreffend Kirchensteuer sollen nicht mehr die Bescheide der zurückliegenden Zahlungsjahre (hier 2009 und 2010) geändert werden. Vielmehr sollen die steuerlichen Konsequenzen veranlagungszeitraumübergreifend im Erstattungsjahr durch den Ansatz einer umgekehrten bzw. "negativen" Sonderausgabe gezogen werden.
Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:
Die in § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG geschaffene Möglichkeit, einen Erstattungsüberhang, insbesondere aufgrund von Kirchensteuerrückzahlungen, im Jahr des Zuflusses durch Erhöhung des Gesamtbetrags der Einkünfte zu berücksichtigen, dient (allein) der Verfahrensvereinfachung. Die Steuerfestsetzungen, bei denen die nun erstatteten Kirchensteuern als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG Berücksichtigung gefunden haben, sollen nicht nachträglich geändert werden müssen. Unerheblich muss deshalb sein, ob im Jahr der Erstattung (noch) Kirchensteuern gezahlt worden sind (, BStBl II 2019 S. 658) und diese als Sonderausgaben das zu versteuernde Einkommen reduziert haben.
Dabei gilt es, § 10 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 EStG nicht zu vergessen. Denn auch der Kläger hatte im Streitjahr 2012 Kirchensteuern gezahlt. Da diese bereits die sog. Abgeltungsteuer nach 32d Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG ermäßigt haben, können sie folgerichtig nicht noch einmal als Sonderausgaben angesetzt werden.
Aus Vereinfachungsgründen ist es darüber hinaus auch nicht zu beanstanden, wenn die Kirchensteuern im Jahr des Abflusses tatsächlich nicht zu einem Sonderausgabenabzug geführt haben (, BStBl 2019 II S. 658), was hier Folge des Rücktritts vom Kaufvertrag – und des Antrags auf Festsetzung von Kirchensteuer-Vorauszahlungen für 2009 und deren Zahlung noch in diesem Jahr war. Letzteres dient bekanntlich der Vermeidung von Zinsen nach § 233a AO auf die Kirchensteuern (soweit die Landeskirchensteuergesetze solche vorsehen) und ist seit dem Zinsanpassungsgesetz im neuen § 233a Abs. 8 Satz 1 AO normiert. Als Nebenkosten zu Kirchensteuern fallen die Zinsen übrigens nicht unter § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG (Kulosa in HHR, § 10 EStG, Rz 133).
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
SAAAJ-26598