BGH Beschluss v. - 3 StR 185/22

Fehlerhafte Beweiswürdigung bei widersprüchlichen Ausführungen des Tatgerichts; Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz

Gesetze: § 23 StGB, § 212 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB, § 261 StPO

Instanzenzug: LG Mönchengladbach Az: 32 KLs 14/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung zweier weiterer Verurteilungen zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit der auf die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision erstrebt der Angeklagte die Aufhebung seiner Verurteilung. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verließ der alkoholisierte und unter der Wirkung von Cannabis stehende Angeklagte eine private Feier. Ein weiterer Gast folgte ihm. Es kam zu einem Streit, bei dem der Angeklagte äußerte, dem anderen "einen Stich" zu geben. Anschließend holte er ein Messer hervor, klappte es auf und stach damit auf den Oberkörper seines Gegenübers ein, dessen Tod er billigend in Kauf nahm. Das Messer verursachte am Brustkorb eine oberflächliche Wunde. Der Angeklagte verließ fluchtartig den Tatort, ging dabei davon aus, alles für die Tötung Erforderliche getan zu haben, und machte sich keine weiteren Gedanken über den Gesundheitszustand des Geschädigten.

32. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils kann nicht bestehen bleiben, weil es an einer widerspruchsfreien Begründung der subjektiven Tatseite des versuchten Totschlags fehlt.

4a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ-RR 2022, 145, 146 mwN). Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (s. , NStZ-RR 2012, 369, 370).

5b) Ein nach diesen Maßstäben zur Urteilsaufhebung führender Widerspruch ist in Bezug auf die Begründung des Tötungsvorsatzes gegeben. So ist die Strafkammer einerseits zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte sei sich der Gefährlichkeit des Messereinsatzes bewusst gewesen und er habe sich mit dem Tod des Geschädigten abgefunden, da er den Einsatz zunächst angedroht, dann aber unmittelbar zugestochen habe. Der abweichenden Einlassung, "nicht eine Sekunde darüber nachgedacht" zu haben, den Geschädigten töten zu können, ist das Landgericht in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht gefolgt. Andererseits hat es die Möglichkeit, der Angeklagte hätte auf einen glücklichen Ausgang vertrauen können, als "bereits durch seine Einlassung widerlegt" angesehen, nach der er "nicht eine Sekunde darüber nachgedacht habe, dass er den Geschädigten" töten könne. Wer sich keine Gedanken über sein als objektiv gefährlich erkanntes Verhalten mache, vertraue nicht ernsthaft auf einen glimpflichen Ausgang. Damit hat das Landgericht gerade die Einlassung, die es zuvor als unzutreffend gewertet hat, später zur Begründung des subjektiven Tatbestandes herangezogen. Dieser Widerspruch wird in den Urteilsgründen, auch nach ihrem Gesamtzusammenhang, nicht aufgelöst.

63. Der Wegfall des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags zieht die Aufhebung des Schuldspruchs wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung nach sich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 353 Rn. 7a mwN). Die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen haben gemäß § 353 Abs. 2 StPO gleichfalls keinen Bestand, weil sie durch die zur Aufhebung führende Gesetzesverletzung betroffen werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:051022B3STR185.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-26212