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Online-Nachricht - Donnerstag, 03.11.2022

Verfahrensrecht | Aufrechnung im Insolvenzverfahren (BFH)

Besteht für einen Vergütungsanspruch, den das FA für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch i. S. von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO erst mit der Festsetzung und damit erst nach der Insolvenzeröffnung zur Masse schuldig (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Streitig ist, ob der aus der anlässlich der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Berichtigung der Umsatzsteuer resultierende Erstattungsanspruch mit Umsatzsteuerrückständen aus vorinsolvenzlicher Zeit verrechnet werden durfte.

Einspruch und Klage blieben erfolglos ().

Der BFH hat die Revision als begründet angesehen:

  • In der Sache hat das FG gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoßen. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.

  • Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i. S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich bei Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen danach, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung dieses Anspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. , Rz. 16; ; , Rz. 18).

  • Seit der durch das geänderten Rechtsprechung ist bei Steuervergütungsfestsetzungen (§ 168 Satz 2 AO), die auf einem Steuerberichtigungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG beruhen, entscheidend, "wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand" verwirklicht wird. Bei einem derartigen Vergütungsanspruch aufgrund von Uneinbringlichkeit kommt es daher darauf an, ob die Uneinbringlichkeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist. Erst mit der Uneinbringlichkeit sind die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines darauf beruhenden Berichtigungsanspruchs, der zu einer Steuervergütung führen kann, erfüllt. Der Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheides, in dem der Berichtigungsfall erfasst wird, ist unerheblich (vgl. , Rz. 17).

  • Danach ist die Aufrechnung entgegen dem Urteil des FG unzulässig.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Besprechungsentscheidung betrifft einen Abrechnungsbescheid. Die Revision hatte Erfolg. Die Entscheidung zeigt, dass es sich rächen kann, wenn die Verwaltung nicht der BFH-Rechtsprechung folgt. Entscheidend war, dass für die Umsatzsteuer 2013 kein materiell-rechtlicher Grund existierte. Alleiniger Rechtsgrund war der durch den Umsatzsteuerbescheid formell festgesetzte Erstattungsanspruch. Da dieser aber erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden war, stand er einer Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.

Die Besprechungsfall zeigt, dass es auch in den Fällen eines Abrechnungsbescheides stets einer genauen Prüfung der Voraussetzungen – insbesondere in Insolvenzfällen – bedarf, obwohl gerade in Fällen von Abrechnungsbescheiden an sich nur eine eingeschränkte Prüfung erfolgt. Materiell-rechtliche Überlegungen sind grundsätzlich nicht zu beachten. Denn es kommt stets auf die formelle Rechtslage an.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
WAAAJ-25564