BFH Beschluss v. - X B 96/21

Ladungsfähige Anschrift und Ermittlungspflicht des FG

Leitsatz

1. NV: Bei natürlichen Personen erfordert die ordnungsgemäße Klageerhebung regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift.

2. NV: Stellt das Gericht an die vom Kläger angegebene Adresse erfolgreich förmlich zu, kann es nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgehen, dass insoweit keine ladungsfähige Anschrift vorliegt.

3. NV: Begründet das FG ein Prozessurteil hilfsweise auch in der Sache, führt allein die Darlegung, das FG habe zu Unrecht ein Prozessurteil statt ein Sachurteil erlassen, noch nicht zum Erfolg einer solchen Verfahrensrüge. Vielmehr muss die Beschwerdebegründung sich dann auch auf die materiell-rechtliche Hilfsbegründung des Urteils beziehen.

Gesetze: FGO § 65 Abs. 1 Satz 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 116 Abs. 6;

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr 2017 ein Ingenieur- und Sachverständigenbüro und reichte letztmalig für 2009 Steuererklärungen ein.

2 Seit dem ist der Kläger unter der Anschrift G-Straße in B gemeldet. Außerdem hat er in der Vergangenheit eine Anschrift in der B-Straße in Z und A-Straße in  N angegeben.

3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) schätzte ausgehend von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb die Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag 2017 sowie die Einkommensteuer-Vorauszahlungen ab dem 3. Quartal des Jahres 2019. Daneben setzte das FA Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 und Verspätungszuschläge wegen der nicht fristgerechten Abgabe der Einkommensteuererklärung und der Gewerbesteuermessbetragserklärung für das Streitjahr 2017 fest.

4 Nach erfolglosen Einspruchsverfahren erhob der Kläger drei Klagen. U.a. wandte er sich im vorliegenden Verfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2017 und den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2017 sowie die Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 (1 K 2067/19). Daneben klagte er gegen die Festsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen ab dem 3. Quartal 2019 (1 K 2066/19) sowie gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2017 und den Verspätungszuschlag zum Gewerbesteuermessbetrag 2017 (1 K 2068/19).

5 Nachdem der vom Kläger bevollmächtigte Rechtsanwalt Akteneinsicht erhalten hatte, teilte der Kläger unter Verwendung der Anschrift „B-Straße, Z“ mit, dass sein Bevollmächtigter das Mandat niedergelegt habe. In diesem Schreiben bat er das Finanzgericht (FG) außerdem, die im Verwaltungsverfahren benutzte Anschrift in B zu löschen und lediglich die Anschrift in Z zu verwenden.

6 In den Einspruchsverfahren hatte der Kläger zuvor vorgetragen, derzeit über keinen festen Wohnsitz zu verfügen, sondern je nach Aufenthaltsort in Hotels oder Pensionen zu wohnen. So handele es sich bei der Anschrift in N, A-Straße, um das Hotel „C“. Seine Betriebsstätte sei in Z unter der Anschrift B-Straße.

7 Die Schreiben, mit denen das FG den Kläger erneut unter Setzung einer Ausschlussfrist zur Benennung der Klagebegehren aufgefordert hatte, kamen trotz Verwendung der Adresse in Z als unzustellbar zurück. Die Aufforderung per E-Mail, eine zustellungsfähige Adresse zu benennen, beantwortete der Kläger nicht. Auch weitere Verfügungen vom , nunmehr adressiert an die frühere Adresse in B, konnten nicht zugestellt werden.

8 Daraufhin bat das FG die Ermittlungsbeamten der örtlich zuständigen Finanzämter, die vom Kläger angegebenen Anschriften in Z und B aufzusuchen und dort die weiteren Umstände zu ermitteln. Während an der Adresse in B keine Anzeichen für eine Anwesenheit des Klägers zu finden waren, enthielt der Briefkasten in Z die Beschriftung „G - M“. Das FG veranlasste deshalb den Einwurf einer weiteren Verfügung zur Benennung der Klagegenstände unter Setzung einer neuen Ausschlussfrist in diesen Briefkasten durch einen Bediensteten des FA. Der Kläger erläuterte daraufhin innerhalb dieser Ausschlussfrist, warum aus seiner Sicht die Höhe der geschätzten Einkünfte fehlerhaft sei.

9 Am beantragte der Kläger die Verweisung der Rechtsstreite an das FG Düsseldorf. In seinem Faxschreiben verwandte er die Anschrift in Z, bat aber in der Folgezeit, von Schreiben nach Z abzusehen. Es bestehe die Möglichkeit, Briefsendungen an das aus früheren Zeiten seines ehemaligen Firmensitzes in K noch existierende Postfach zu senden, alternativ per Fax oder E-Mail mit ihm zu kommunizieren.

10 Das FG forderte den Kläger daraufhin erneut auf, bis zum eine zustellfähige Wohnanschrift zu benennen. Diese sei zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klagen. Die zwischenzeitlich vom FG mit den Ermittlungen der örtlichen Verhältnisse beauftragte Ermittlungsbeamtin des FA teilte mit, dass am Briefkasten in Z die Namensangaben „G“ wie „M“ entfernt worden seien und der Aufkleber „Unselbständiges Nebenbüro, keine Postannahme zulässig“ angebracht worden sei.

11 Der Kläger gab an, dass er Zustellprobleme bei der Anschrift in Z habe und Briefsendungen entweder an das Postfach in K oder ersatzweise an seine noch bestehende Privatadresse in B zu richten seien. Alternativ könnten Zustellungen an seine elektronische E-Mail-Verbindungs-Fax-Nummer oder seine E-Mail-Adresse erfolgen.

12 Am erließ das FG in allen drei Klageverfahren 1 K 2066/19, 1 K 2067/19 und 1 K 2068/19 jeweils einen Gerichtsbescheid. Diese stellte das FA im Wege der Amtshilfe an die Adresse in Z zu. Das FG informierte den Kläger per E-Mail über die Zustellungen.

13 Nach Erhalt der Gerichtsbescheide beantragte der Kläger die Durchführung von mündlichen Verhandlungen. Diese wurden auf den anberaumt. Am beantragte der Kläger per Fax deren Verlegungen, da eine fachkundige Unterstützung und juristische Vertretung wegen seiner wirtschaftlichen Situation nicht möglich sei. Nach Ablehnung der Verlegungsanträge beantragte der Kläger erneut am wegen fehlender ausreichender Vorbereitungsmöglichkeit und am aufgrund seines Gesundheitszustandes die Verlegung der mündlichen Verhandlungen. Diese Anträge lehnte der Vorsitzende des FG-Senats wegen der fehlenden Glaubhaftmachung, etwa durch Vorlage eines ärztlichen Attests, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben müsse, oder durch genaue und glaubhafte Schilderung der Erkrankung, ab. Einen weiteren Verlegungsantrag vom lehnte das FG in den Urteilsgründen ab, da sich aufgrund der Ausführungen des Klägers seine Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft ergebe. Auch sei aufgrund der zahlreichen im Laufe der Klageverfahren genannten Adressen von einer hohen Mobilität des Klägers auszugehen.

14 Das FG wies u.a. die Klage gegen die Festsetzung der Einkommensteuer 2017, den Verspätungszuschlag und die Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 ab. Die Klage sei aufgrund der fehlenden Nennung einer ladungsfähigen Anschrift des Klägers unzulässig. Jedenfalls sei sie unbegründet, da auch das FG von einer Schätzungsbefugnis ausgehe und gegen die Höhe der Schätzung, wie vom FA vorgenommen, keine Bedenken bestünden. Die vom Kläger eingereichte Prognose sei weder belastbar noch nachvollziehbar.

15 Das Urteil hat das FG wie schon die Ladungen zu den mündlichen Verhandlungen durch die Deutsche Post AG an die Anschrift in B zustellen lassen. Der Mitarbeiter der Deutschen Post AG hat die Schriftstücke in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.

16 Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen Divergenz, eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers und wegen Verfahrensmängeln.

17 Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

Gründe

II.

18 Die Beschwerde ist, soweit das FG-Urteil die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2017 betrifft, begründet. Das FG hat zu Unrecht allein durch Prozessurteil entschieden. Dies führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 116 Abs. 6 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Dagegen hat das FG, soweit sein Urteil die Einkommensteuerfestsetzung 2017 und die diesbezüglichen Nachzahlungszinsen betrifft, auch in der Sache entschieden. Die vom Kläger hiergegen erhobenen Einwendungen führen nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde ist insoweit als unbegründet zurückzuweisen.

19 1. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2, § 76 Abs. 2 FGO) nicht deshalb verletzt, weil es ohne Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung entschieden hat.

20 Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angenommen, wenn einem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben wird, obwohl erhebliche Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen und glaubhaft gemacht werden. Im Allgemeinen reicht zur Glaubhaftmachung die Vorlage eines substantiierten privatärztlichen Attestes aus, aus dem sich die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar ergibt (vgl. , XI B 207/07, BFH/NV 2008, 1191, m.w.N.). Wird wie im Streitfall erst „in letzter Minute“ ein Antrag auf Terminsverlegung wegen des Vorliegens einer Erkrankung gestellt, dann sind die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob der betroffene Beteiligte verhandlungs- und/oder reisefähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom  - X B 70/19, BFH/NV 2020, 226, Rz 10 ff., m.w.N.).

21 Im vorliegenden Fall hat der Kläger seine fehlende Verhandlungs- und/oder Reisefähigkeit am Sitzungstag und damit das Vorliegen eines erheblichen Grundes i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat er entsprechend den Vorgaben des Gerichts vom weitere Angaben zu seiner Erkrankung gemacht, er hat jedoch nicht im Einzelnen dargelegt, warum er am Tag der mündlichen Verhandlung nicht reise- und verhandlungsfähig sei. Einer solchen weitergehenden Darlegung hätte es bedurft, weil der Kläger am Tag der mündlichen Verhandlung ohne Einreichung eines ärztlichen Attests erneut auf eine nunmehr vorliegende Erkrankung abgestellt hat. Angesichts seiner bisherigen Reisetätigkeiten, aber auch seines ersten Terminsverlegungsantrags, der allein auf fehlende fachkundige Unterstützung abstellte, durfte das FG davon ausgehen, dass eine zur Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit führende Erkrankung nicht glaubhaft gemacht sei und der Kläger lediglich eine Verfahrensverzögerung beabsichtigte.

22 Das Gericht konnte somit auch den Terminsverlegungsantrag vom ablehnen, ohne insoweit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör zu verletzen.

23 2. Das FG hat in Bezug auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2017 zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden und insoweit einen Verfahrensfehler begangen.

24 Wenn der Kläger geltend macht, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig verworfen, weil er keine ladungsfähige Anschrift genannt habe, rügt er, wenn auch als qualifizierten Rechtsanwendungsfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO bezeichnet, das FG habe zu Unrecht ein Prozessurteil gefällt, anstatt zur Sache zu entscheiden.

25 a) Erlässt das FG zu Unrecht ein Prozessurteil, so liegt darin ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. nur Senatsbeschluss vom  - X B 205/15, BFH/NV 2016, 1742, Rz 15) in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Er führt regelmäßig zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG, wenn eine entsprechende Rüge im Verfahren über die Nichtzulassung der Revision erhoben wird (vgl. nur Senatsbeschuss vom  - X B 28/15, BFH/NV 2015, 1423, Rz 10). Diesen Verfahrensmangel hat der Kläger (auch) geltend gemacht.

26 aa) Zwar müssen auch solche Verfahrensmängel, die —wie die fehlerhafte Beurteilung der Sachentscheidungsvoraussetzungen— in einem Revisionsverfahren von Amts wegen berücksichtigt werden, im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich unter genauer Angabe der den Mangel ergebenden Tatsachen geltend gemacht werden (, juris, unter II.2.a, m.w.N.). Allerdings steht dem nicht entgegen, dass der Kläger seine Beschwerde auf andere Zulassungsgründe gestützt hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht an, wenn sich aus dem dargestellten Sachverhalt ergibt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt (, BFH/NV 2011, 1888, Rz 19, m.w.N.).

27 bb) Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen des Klägers, der darlegt, dass er entsprechend den höchstrichterlichen Grundsätzen eine ladungsfähige Anschrift angegeben habe. So habe er im Schreiben an das FG fristgerecht bis zum die „derzeit noch bestehende Privatadresse“ in B, G-Straße, genannt, unter der er auch seit dem gemeldet gewesen sei. Dennoch sei das FG davon ausgegangen, dass diese Adresse nicht mehr bestehe.

28 b) Zu Unrecht hat das FG angenommen, dass die vom Kläger innerhalb der bis zum gesetzten Ausschlussfrist genannte Adresse in B keine ladungsfähige Anschrift sei und deshalb die Klage als unzulässig verworfen.

29 aa) Eine ordnungsgemäße Klageerhebung erfordert nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift. Bei natürlichen Personen ist dabei im Hinblick auf ihre Erreichbarkeit die Angabe des tatsächlichen Wohnorts erforderlich (, BFH/NV 2020, 773, Rz 10). Allerdings darf das ungeschriebene Erfordernis der Angabe der ladungsfähigen Anschrift nicht zu einer unzumutbaren Einschränkung des aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Gebots führen, dem Rechtsuchenden den Zugang zu den Gerichten nicht unnötig zu erschweren oder zu versagen. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ist daher unter Berücksichtigung dieses Grundrechts und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungskonform auszulegen (vgl. , BFH/NV 2011, 2084, Rz 14). So ist das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift etwa dann unschädlich, wenn der Kläger glaubhaft macht, über eine solche Anschrift nicht zu verfügen. In einem solchen Ausnahmefall müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden. Wird die Angabe dagegen ohne zureichenden Grund verweigert, liegt keine ordnungsgemäße Klage vor (vgl. Senatsbeschluss vom  - X B 122/17, BFH/NV 2018, 630, Rz 23, m.w.N.).

30 bb) Vorliegend stellt sich die Situation so dar, dass der Kläger innerhalb der vom FG gesetzten Frist mitgeteilt hat, in B bestehe noch seine Privatadresse. Das FG hat sowohl die Ladungen zur mündlichen Verhandlung wie auch die Urteile an diese Adresse zustellen lassen. Eine öffentliche Zustellung i.S. des § 185 ZPO hat es dagegen zu keinem Zeitpunkt erwogen. Vielmehr zeigen schon die Zustellungen der Gerichtsbescheide an die Adresse in Z wie auch die der Ladungen und der Urteile an die Adresse in B, dass das FG durchaus von der Existenz einer zustellungsfähigen Anschrift des Klägers und damit entgegen seinen Ausführungen in den Entscheidungsgründen von ladungsfähigen Anschriften ausging.

31 Die erfolgreichen Zustellungen allein reichen allerdings für die Annahme nicht aus, dass der Kläger dem FG tatsächlich eine ladungsfähige Anschrift genannt hat. Denn die Beweiskraft einer Zustellungsurkunde erstreckt sich gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO nicht auf die Frage, ob der Adressat unter der angegebenen Anschrift tatsächlich eine Wohnung unterhält, ihr kann lediglich eine gewisse Indizwirkung zukommen (vgl. Senatszwischenurteil vom  - X R 15/18, BFH/NV 2020, 526, Rz 23, m.w.N.). Trotz dieser Indizwirkung hat das FG vorschnell und insbesondere ohne weitere aktuelle Ermittlungen in B ladungsfähige Anschriften des Klägers in Abrede gestellt. Mit seinem (widersprüchlichen) Handeln bringt das FG vielmehr zum Ausdruck, dass es von wirksamen Zustellungen ausging und folglich dem Kläger glaubte, über eine zustellungsfähige Adresse zu verfügen. Folglich kann sich das FG nicht einfach darauf berufen, dass es bereits nach der Klageerhebung Ermittlungen in B (wie in Z) vorgenommen hat. Aufgrund des Geschehensablaufs kann es vielmehr durchaus denkbar sein, dass der Kläger jedenfalls (nunmehr wieder) in B wohnhaft gewesen ist.

32 cc) Da somit nicht zwingend davon auszugehen ist, dass der Kläger keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat, durfte das FG die Klage nicht ohne weitere Ermittlungen durch Prozessurteil entscheiden. Gründe, die Klage aus anderen Gründen als unzulässig zu verwerfen, sind nicht erkennbar. Das FG hatte zwar in den Klageverfahren wiederholt den Kläger unter Ausschlussfristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zur Benennung der Klagegegenstände aufgefordert. Soweit der Kläger zunächst den Klagegegenstand nicht bezeichnet hatte, hat er dies innerhalb der insoweit gesetzten Fristen nachgeholt.

33 3. Allerdings hat das FG lediglich in Bezug auf den festgesetzten Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2017 allein durch Prozessurteil entschieden. Notwendige Erläuterungen, warum das FA sein Ermessen in Bezug auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags gemäß § 152 der Abgabenordnung (AO) a.F. dem Grunde und in der Höhe nach ermessensgerecht ausgeübt hat, fehlen.

34 4. In Bezug auf die Festsetzung der Einkommensteuer 2017 hat das FG hilfsweise detailliert begründet, warum die Klage im Fall der Zulässigkeit jedenfalls unbegründet wäre und damit auch zur Sache entschieden. Das FG hat die Schätzungen dem Grunde und der Höhe nach als sachgerecht angesehen. Durch diese Begründung hat es das FG dem Kläger zudem ermöglicht, seine getroffene Entscheidung auch im Hinblick auf die Festsetzung der Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2017 auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. Senatsbeschluss vom  - X B 36/01, BFH/NV 2002, 348, unter 1.c, m.w.N.). Der Einkommensteuer- und Zinsbescheid stehen zueinander im Verhältnis von Grundlagenbescheid und Folgebescheid, was sich aus der akzessorischen Natur des Zinsanspruchs ergibt. Wird der Einkommensteuerbescheid (Grundlagenbescheid) geändert, dann ist die Zinsfestsetzung (Folgebescheid) gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 AO ebenfalls zu ändern (vgl. , BFHE 222, 36, BStBl II 2009, 117, unter II.1.c bb, m.w.N.). Da die Behandlung der Nachzahlungszinsen ansonsten zwischen den Beteiligten außer Streit stand, musste das FG hierauf nicht mehr ausdrücklich eingehen.

35 Daher hätte der Kläger insoweit zur ordnungsmäßigen Rüge eines Verfahrensfehlers im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auch schlüssige Ausführungen zur Begründetheit machen müssen (vgl. nur , BFHE 216, 507, BStBl II 2007, 466, unter II.2.c, m.w.N.). Ein derartiges Vorbringen lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

36 5. Ebenso hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

37 a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Gleiches gilt für Entscheidungen eines anderen obersten Bundesgerichts. Dabei muss das FG seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.B. , BFH/NV 2021, 349, Rz 7). Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angeblichen Divergenzentscheidungen genau —mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle— zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, sodass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 349, Rz 8).

38 b) Diese Anforderungen erfüllt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Der Kläger hat zwar die (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 8) sowie des (BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409) und vom  - V 241/64 (BFHE 89, 472, BStBl III 1967, 686) genannt. Auf den diesen Entscheidungen jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt ist der Kläger allerdings nicht eingegangen; ebenso wenig hat er —einander widersprechende— abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den von ihnen angeführten Divergenzentscheidungen andererseits herausgearbeitet, um die (behauptete) Abweichung deutlich zu machen. Sein Vorbringen erfüllt damit die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht.

39 6. Sofern sich der Kläger gegen die materielle Richtigkeit der Schätzung des Gewinns für 2017 wendet, ist ein solches Vorbringen nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu erreichen. Denn es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht beachtlich ist. Dies gilt insbesondere für Einwendungen gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (vgl. nur Senatsbeschluss vom  - X B 113/20, BFH/NV 2021, 1201, Rz 13, m.w.N.).

40 7. Ein nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zu berücksichtigender erheblicher, also qualifizierter Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise, etwa bei Verstoß gegen Denkgesetze, zur Zulassung der Revision führen kann (Senatsbeschluss vom  - X B 132-133/20, BFH/NV 2022, 734, Rz 22), ist ebenfalls nicht erkennbar. Das —wenn auch nur hilfsweise begründete— Schätzungsergebnis des FG ist nicht offensichtlich realitätsfremd.

41 8. Der Senat hält es für angezeigt, in Bezug auf die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2017 nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und den Rechtsstreit hinsichtlich dieser Streitgegenstände zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Im Übrigen bleibt das FG-Urteil bestehen, da die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers unbegründet ist.

42 9. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung hat der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

43 10. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Das FG hat mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten des durch Beschluss rechtskräftig abgeschlossenen Teils des Verfahrens zu entscheiden (, BFH/NV 2014, 714, Rz 22, m.w.N.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2022:B.250822.XB96.21.0- !Ungültige Zeicheneinstellung -

Fundstelle(n):
BFH/NV 2022 S. 1187 Nr. 11
DStR-Aktuell 2022 S. 8 Nr. 39
UAAAJ-22977