BFH Urteil v. - IV B 29/01 BStBl 2002 II S. 581

Keine grundsätzliche Bedeutung der für die Eigenverantwortlichkeit maßgebenden Frage einer exakten Bestimmung der zulässigen Größenordnung einer Laborarztpraxis und der zulässigen Anzahl der bearbeiteten Aufträge; Darlegung des Zulassungsgrundes der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Nichtzulassungsbeschwerde gegen vor dem zugestelltes Urteil

Leitsatz

1. Die Frage nach einer exakten Bestimmung der zulässigen Größenordnung einer Laborarztpraxis und der zulässigen Anzahl der bearbeiteten Aufträge, die Maßstab für die Bejahung der Eigenverantwortlichkeit des Berufsträgers sein könnten, ist durch die Rechtsprechung in dem Sinne geklärt, dass es solche Grenzen nicht gibt.

2. Die widersprüchliche Gesetzeslage, wonach für die Prüfung der Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde einerseits und der Begründetheit eines Zulassungsgrundes andererseits bei vor dem verkündeten oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellten Urteilen unterschiedliche Fassungen des § 115 Abs. 2 FGO maßgebend sind, führt nicht dazu, in solchen Fällen hinsichtlich der neuen Zulassungsgründe (hier § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n. F.) auf Darlegungserfordernisse völlig zu verzichten. Insoweit sind jedenfalls Mindestanforderungen an die Darlegung zu stellen, auch wenn diese sich nicht unmittelbar auf die neuen Zulassungsgründe beziehen können.

Gesetze: EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3FGO a. F. und n. F. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 22. FGOÄndG Art. 4 und Art. 6

Instanzenzug: FG des Saarlandes

Tatbestand

Auf die Wiedergabe des Tatbestands wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 zweiter Halbsatz der Finanzgerichtsordnung (FGO) verzichtet.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z. B. , BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Es muss sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, 27 ff. und 30 ff., m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist u. a. dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt (vgl. z. B. , BFHE 177, 231, BStBl II 1995, 496) oder offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat (z. B. , BFHE 159, 196, BStBl II 1990, 344). Die Rechtsfrage ist auch nicht klärungsbedürftig, wenn auf den Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden sind (vgl. z. B. , BFHE 148, 560, BStBl II 1987, 316) und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (vgl. z. B. , BFH/NV 1998, 1261).

b) Danach bedarf die vom Kläger aufgeworfene Frage nach einer exakten Bestimmung der zulässigen Größenordnung einer Laborarztpraxis und der zulässigen Anzahl der bearbeiteten Aufträge, die Maßstab für die Bejahung der Eigenverantwortlichkeit des Berufsträgers sein könnten, keiner (weiteren) Klärung mehr. Auch die Frage, ob bei einer bestimmten durchschnittlichen Kürze der Untersuchungszeit eine unwiderlegliche Vermutung besteht, dass der Laborarzt seine Tätigkeit nicht mehr eigenverantwortlich i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durchführt, ist geklärt. Der Senat hat in seinem Urteil vom IV R 45/94 (BFH/NV 1996, 463) ausgeführt, dass es nicht möglich sei, eine allgemeine Grenze für die Freiberuflichkeit in Form eines bezifferten Verhältnisses der Mitarbeiterzahl einerseits und der Zahl der Aufträge oder Untersuchungen andererseits festzulegen (s. auch Senatsurteil vom IV R 140/88, BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507, zu 2. c bb der Entscheidungsgründe). Die Frage, ob der Praxisinhaber leitend und eigenverantwortlich tätig ist, sei vielmehr nach den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen. Die Zahl der fachlich vorgebildeten Angestellten und der bearbeiteten Aufträge oder Untersuchungen könne jedoch ein gewichtiges und leicht greifbares Indiz für die rechtliche Einordnung sein. Damit ist klargestellt, dass die Kürze der Untersuchungszeit sowie das Verhältnis der Mitarbeiterzahl zum leitenden Arzt nur eine widerlegbare Vermutung begründen kann (Senatsbeschluss vom IV B 12/99, BFH/NV 2000, 837). Zugleich hat es der Senat damit abgelehnt, absolute Grenzen für die Abgrenzung eigenverantwortlicher Betätigung im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung aufzustellen.

2. Soweit sich der Kläger unter Hinweis auf Rechtsprechung der Arbeits- und Sozialgerichte auf den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung beruft und damit möglicherweise den neuen Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 zweite Alternative FGO (Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) geltend machen wollte, ist die Beschwerde jedenfalls unzulässig.

a) Zwar richtet sich die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach den bis zum geltenden Vorschriften der FGO (FGO a. F.), da das angefochtene Urteil noch vor dem zugestellt wurde (Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze - 2. FGOÄndG - vom (BGBl. I 2000, 1757); diese Gesetzesfassung enthielt noch nicht die erst nach dem anwendbaren Zulassungsgründe der Rechtsfortbildung und Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n. F., Art. 6 2. FGOÄndG). Diese widersprüchliche Gesetzeslage, wonach für die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels einerseits und der Begründetheit eines Zulassungsgrundes andererseits unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen maßgebend sein sollen (s. hierzu z. B. den , BFH/NV 2002, 347; auch Gräber/Ruban, a. a. O., Vor § 115 Rz. 32), kann jedoch nicht dazu führen, in Übergangsfällen, wie dem Streitfall, hinsichtlich der neuen Zulassungsgründe auf Darlegungserfordernisse völlig zu verzichten. Nach Auffassung des Senats sind auch in solchen Fällen Mindestanforderungen an die Darlegung zu stellen, auch wenn diese sich nicht unmittelbar auf die neuen Zulassungsgründe beziehen können. Ebenso wie daher der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung nach der Rechtsprechung des Senats ein konkretes Eingehen auf eine Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung erfordert (Senatsbeschluss vom IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837), gebietet der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zumindest eine Darlegung von Gründen, die eine Divergenzrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a. F. eröffnet hätten (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom IV B 10/01, BFH/NV 2002, 42).

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers jedoch nicht. Ohne tragende divergierende Rechtssätze aus der angefochtenen Entscheidung sowie den zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) darzulegen beschränkt sich der Kläger auf den Hinweis, dass ,,im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts das Erfordernis der Eigenverantwortlichkeit zur Abgrenzung zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit nicht notwendig'' sei. Dazu führt er lediglich ein Fehlzitat (BSGE 60, 130) und die Entscheidung des (Neue Juristische Wochenschrift 1993, 458) an, bei der es um die Frage ging, ob ein Rechtsanwalt eine arbeitnehmerähnliche Person i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes sei.

Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 581
BB 2002 S. 1529 Nr. 30
BFH/NV 2002 S. 1108 Nr. 8
BFHE S. 316 Nr. 198
BStBl II 2002 S. 581 Nr. 15
DB 2002 S. 1745 Nr. 34
DStRE 2002 S. 1015 Nr. 16
FR 2002 S. 1125 Nr. 20
KÖSDI 2002 S. 13374 Nr. 8
KÖSDI 2002 S. 13382 Nr. 8
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