Anwendung des § 233 a Abs. 2 a AO auf nach dem entstandene Verluste verfassungsgemäß
Leitsatz
1. Der auf einem Verlustrücktrag nach § 10 d Abs. 1 EStG beruhende Erstattungsanspruch entsteht erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden ist (Anschluss an , BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491).
2. Die Anwendung des durch das JStG 1997 vom eingeführten § 233 a Abs. 2 a AO 1977 auf nach dem entstandene Verluste führt im Falle des Verlustrücktrags auf Veranlagungszeiträume vor 1996 nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung.
Gesetze: AO 1977 § 233 a Abs. 2 a
Instanzenzug: FG Baden-Württemberg (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
I.
Die miteinander verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben im Jahr 1996 Kommanditbeteiligungen an Schifffahrtsgesellschaften. Sie erhielten in voller Höhe verrechenbare steuerliche Verlustzuweisungen von je 250 000 DM. Überdies hatte die Klägerin aus mehreren Objekten negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 133 043 DM.
Für den Veranlagungszeitraum 1996 wählten die Kläger die getrennte Veranlagung. Das zu versteuernde Einkommen des Klägers betrug 21 366 DM, bei der Klägerin ergab sich ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte von 270 477 DM. Auch zur Einkommensteuer 1994 waren die Kläger zunächst getrennt veranlagt worden. Gegenüber dem Kläger war die Einkommensteuer mit Bescheid vom auf 138 670 DM, gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom auf 78 588 DM festgesetzt worden. Mit Schreiben vom beantragten die Kläger die Zusammenveranlagung für 1994 nach § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hob die Bescheide über die getrennte Veranlagung auf und setzte mit Bescheid vom die Einkommensteuer für 1994 unter Berücksichtigung des Verlustrücktrags von 270 477 DM nach der Splittingtabelle auf 81 498 DM fest. Bei der Abrechnung wurde Einkommensteuer 1994 von 135 760 DM erstattet.
Nachdem die Zusammenveranlagung für 1994 durchgeführt worden war, setzte das FA mit Zinsbescheid vom Nachzahlungszinsen aus einem Unterschiedsbetrag von 1 258 DM für die Zeit vom bis zum in Höhe von 78 DM fest. Mit Schreiben vom machten die Kläger geltend, dass ihr Antrag auf Erstattungszinsen noch nicht beschieden worden sei. Mit Bescheid vom setzte das FA unter Hinweis auf § 233 a Abs. 2 a der Abgabenordnung (AO 1977) die Zinsen auf 0 DM fest. Nach § 233 a Abs. 2 a AO 1977 komme eine Verzinsung nicht in Betracht; gemäß Art. 97 § 15 Abs. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) gelte diese Regelung für Fälle, in denen der Verlust nach dem eingetreten sei. Dagegen erhoben die Kläger ausdrücklich Einspruch. Sie machten geltend, dass die Anwendung des § 233 a Abs. 2 a AO 1977 gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Zinsfestsetzungen seien nicht zu beanstanden.
1. Für die Zwecke der Zinsberechnung habe eine ,,Schattenveranlagung'' unter Ausklammerung des Verlustabzugsbetrags von 270 477 DM durchgeführt werden müssen. Die Nachzahlungszinsen seien auf der Basis des fiktiven Unterschiedsbetrags ermittelt worden, der sich ergeben hätte, wenn das Einkommen der Kläger ausschließlich um 2 307 DM (Erhöhung des Einkommens 1994 des Ehemanns aus der Beteiligung ,,MS S A'') erhöht worden wäre.
2. Hinsichtlich der Verzinsung des Erstattungsanspruchs sei nicht zu beanstanden, dass der Zinslauf erst nach 15 Monaten nach Ablauf des Verlustentstehungsjahres beginne. Die Anwendungsregelung des Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bereits Mitte 1996, als sich die Kläger zum Erwerb der Schiffsbeteiligung entschlossen hätten, hätten sie mit einer einschränkenden Regelung rechnen müssen. Außerdem sei die Rechtslage unklar gewesen.
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
1. Die Regelung des Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 sei erst auf Vorschlag des Bundesrats in den Gesetzestext aufgenommen worden (BTDrucks 13/5359, 130 vom ), zwei Monate nach Abschluss der Beteiligungsverträge.
2. Zur vermeintlich unklaren Rechtslage sei auszuführen, dass der Bundesfinanzhof (BFH) noch mit Urteil vom I R 25/96 (BFHE 183, 33, BStBl II 1997, 714) entschieden habe, dass Steuerforderungen zu verzinsen seien, auch wenn sie sich aus einem rückwirkenden Ereignis ergäben.
3. Bei einem Gesetz, das am verkündet werde und schon für den Veranlagungszeitraum 1994 Wirkung entfalte, sei eine echte Rückwirkung gegeben. Zulässig wäre nur eine Änderung für denselben Zeitraum.
4. Entgegen der Auffassung des FA komme es nicht auf die Entstehung der Verluste, sondern auf die Entstehung der Steuer an.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Zinsbescheid vom in der Weise zu ändern, dass ein Erstattungsbetrag von 135 760 DM für den Zeitraum vom bis zum verzinst wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Mit Urteil vom VII R 104/98 (BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491) habe der BFH entschieden, dass der auf einem Verlustrücktrag beruhende Steueranspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden sei, entstehe. Die Zinsen als steuerliche Nebenleistungen könnten nicht vor dem Hauptanspruch (Einkommensteuer-Erstattungsanspruch aus Verlustrücktrag) entstehen. Es handele sich um eine verfassungsrechtlich zulässige unechte Rückwirkung.
Gründe
II.
Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zutreffend hat das FG entschieden, dass der Steuererstattungsanspruch für 1994 aufgrund des Verlustrücktrags aus 1996 gemäß § 233 a Abs. 2 a AO 1977 nicht zu verzinsen ist.
a) Gemäß § 233 a Abs. 2 AO 1977 beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Soweit allerdings die Steuerfestsetzung auf einem Verlustrücktrag nach § 10 d Abs. 1 EStG beruht, beginnt gemäß § 233 a Abs. 2 a AO 1977 i. d. F. des Gesetzes vom (BGBl. I, 2049) der Zinslauf abweichend vom Abs. 2 Satz 1 und 2 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Verlust entstanden ist. Die Neuregelung gilt gemäß Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 in allen Fällen, in denen der Verlust nach dem entstanden ist.
Mit der Einführung des Abs. 2 a durch das Jahressteuergesetz 1997 (JStG 1997) vom soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bewirkt werden, dass Verlustrückträge bei der Verzinsung nach § 233 a AO 1977 erst dann berücksichtigt werden, wenn entsprechende Liquiditätsvor- oder -nachteile vorliegen (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom BTDrucks 13/5359 [vom ], 6, 130 [Nr. 27]; Zweiter Bericht des Finanzausschusses vom , BTDrucks 13/5952, 56). In den Fällen des Verlustrücktrags wird damit verhindert, dass Erstattungszinsen für Zeiträume zu zahlen sind, in denen dem Steuerpflichtigen noch kein Erstattungsanspruch aufgrund des Verlustes entstanden war.
b) Entgegen der Auffassung der Kläger entsteht der auf einem Verlustrücktrag nach § 10 d Abs. 1 EStG beruhende Erstattungsanspruch nicht schon mit Ablauf des Jahres des Verlustabzugs, sondern erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden ist (BFH-Urteil in BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491, m. w. N.). Der Erstattungsanspruch ist daher im Streitfall erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1996 entstanden. Da die Steuer bereits im Jahr 1997 erstattet wurde, kommt eine Verzinsung nicht in Betracht.
c) Ein Fall echter Rückwirkung liegt nicht vor. Das JStG 1997 ist nach Art. 32 Abs. 1 des Gesetzes am Tage nach seiner Verkündung und noch vor Ablauf des Jahres 1996 in Kraft getreten (vgl. im Einzelnen ).
d) Die Anwendung des § 233 a Abs. 2 a AO 1977 auf nach dem entstandene Verluste führt im Streitfall auch nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist zwischen echter und unechter Rückwirkung bzw. Rückbewirkung der Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung zu unterscheiden. Erstere, die vorliegt, wenn der Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt wird, ist nur in ganz engen Grenzen zulässig. Demgegenüber unterliegt die tatbestandliche Rückanknüpfung, d. h. die Einwirkung eines Gesetzes auf in der Vergangenheit begründete, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft, weniger strengen Beschränkungen (Beschlüsse vom 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 257, 258; vom 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 86, 87, und vom 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79, 80). Bei der in diesen Fällen erforderlichen grundrechtlichen Bewertung sind die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen; dabei ist abzuwägen zwischen den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen, insbesondere dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens, und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das gemeine Wohl (, 2 BvR 1206, 1584/91 und 2601/93, BVerfGE 92, 277, 325, 344; , BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552).
bb) Der Erstattungsanspruch, aus dem die Kläger ihren Zinsanspruch herleiten, ist rechtlich erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums 1996 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Gesetzgeber bereits die Neuregelung getroffen; ein Fall echter Rückwirkung liegt nicht vor, da die die Kläger belastenden Rechtsfolgen (Nichtverzinsung des Erstattungsanspruchs) erst nach Verkündung des Gesetzes eingetreten sind. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot erscheint allenfalls in den Fällen möglich, in denen vor In-Kraft-Treten des JStG 1997 in einer Steuerfestsetzung ein rückwirkendes Ereignis bereits berücksichtigt worden und damit auch der Anspruch auf Erstattungszinsen bereits entstanden war (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 233 a AO 1977 Rz. 32). Das ist hier nicht der Fall. Soweit in Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen die Verfassungswidrigkeit des § 233 a Abs. 2 a AO 1977 angenommen wird (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1998, 621; 298012V 2, EFG 1998, 1309), beruht diese Beurteilung auf den Regelungen des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens (§ 27 Abs. 3 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes a. F.) und ist für den Streitfall ohne Auswirkung (vgl. im Übrigen , BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634).
cc) Der Umstand, dass die Kläger bereits im Juni 1996 - und damit vor dem erkennbaren Tätigwerden des Gesetzgebers - die Beteiligungsverträge abgeschlossen hatten, die letztlich zu dem Verlust und zum Entstehen des Erstattungsanspruchs geführt haben, dass also bei der Gestaltung des Ausgangssachverhaltes noch eine andere Rechtslage gegolten hat und damit ein Fall unechter Rückwirkung gegeben ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Vertrauen der Kläger auf den Fortbestand der bisherigen Zinsregelung und dem Interesse des Gesetzgebers an einer angemessenen Neuregelung ist Letzterem der Vorrang einzuräumen. Angesichts des Umstandes, dass der Verlust und der Erstattungsanspruch rechtlich noch nicht entstanden waren, war das Vertrauen der Kläger in die potentielle Verzinsung eines Erstattungsanspruchs noch nicht zu einer vollwertigen Position erstarkt. Daneben war das Anliegen des Gesetzgebers, wirtschaftlich unberechtigte Zinsansprüche auszuschließen, sachlich gerechtfertigt, so dass im Ergebnis der Gesetzgeber berechtigt war, die Neuregelung für nach dem entstehende Verluste wirksam werden zu lassen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 453
BB 2002 S. 1403 Nr. 27
BFH/NV 2002 S. 1066 Nr. 8
BFHE S. 31 Nr. 198
BStBl II 2002 S. 453 Nr. 13
DStR 2002 S. 1091 Nr. 26
DStRE 2002 S. 912 Nr. 14
DAAAA-89250