BFH Urteil v. - XI R 31/00 BStBl 2002 II S. 119

Prozesszinsen (§ 236 AO) nach Verlustrücktrag aufgrund erfolgreicher Klage gegen Gewinnfeststellungsbescheid

Leitsatz

Der während eines gerichtlichen Verfahrens ergehende und zur Erledigung des Rechtsstreits führende Feststellungsänderungsbescheid ist als Grundlagenbescheld bei der Ermittlung eines Verlustrücktrags nach § 10 d Satz 2 EStG bindend und begründet für die durch den Verlustrücktrag ausgelöste Erstattung von Einkommensteuer einen Anspruch auf Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 2 Nr. 2 a i. V. m. Abs. 1 AO 1977.

Gesetze: AO 1977 § 236 Abs. 2AO 1977 § 182 Abs. 1EStG § 10 d

Instanzenzug: Hessisches FG (EFG 2000, 534) (Verfahrensverlauf),

Tatbestand

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren an der I-KG (KG) beteiligt. Im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der KG für 1986 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zunächst die Anerkennung eines im Sonderbetriebsvermögen der Klägerin angefallenen Verlustes ab und stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 73 887 DM fest. Nach Klageerhebung erließ das FA im Laufe des Rechtsstreits am einen geänderten Feststellungsbescheid für 1986, durch den die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 1986 mit ./. 281 067 DM festgestellt wurden. Der Rechtsstreit wurde daraufhin übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Das FA erließ am einen gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1986. Danach beträgt die für 1986 festgesetzte Einkommensteuer 0 DM und der Gesamtbetrag der Einkünfte ./. 120 157 DM. Ferner setzte das FA durch Zinsbescheid vom Prozesszinsen für die Herabsetzung der Einkommensteuer 1986 in Höhe von 34 314 DM fest.

Aufgrund des sich 1986 ergebenden Verlustrücktrags änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1984 nach § 10 d Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1986 und setzte die Einkommensteuer 1984 mit Bescheid vom um 57 184 DM herab. Den Antrag der Kläger, auch hinsichtlich dieser Steuererstattung Prozesszinsen für den Zeitraum von der Klageerhebung () bis zum Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides 1984 () festzusetzen, lehnte das FA ab.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (die Entscheidung ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2000, 534).

Das FA rügt mit der vom FG zugelassenen Revision fehlerhafte Anwendung des § 236 Abs. 2 Nr. 2 a i. V. m. Abs. 1 AO 1977. Dem FG sei zwar zuzustimmen, dass die AO 1977 den Begriff ,,Folgebescheid'' für Verwaltungsakte verwende, die die ,,Regelungen eines Feststellungs-, Steuermessbescheids oder eines sonstigen für die Festsetzung einer Steuer verbindlichen Verwaltungsaktes (sog. Grundlagenbescheid) als bindend übernehmen''. Änderungsbescheide nach § 10 d EStG seien aber keine Folgebescheide i. S. von § 182 Abs. 1 AO 1977, § 236 Abs. 2 Nr. 2 a AO 1977. Dem Feststellungsbescheid 1986 fehle es insoweit an der gesetzlichen Anordnung einer Bindungswirkung für das Jahr 1984. Eine solche unmittelbare Beziehung zwischen der aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung herabgesetzten Steuer und des Folgebescheides sei aber erforderlich, weil § 236 Abs. 2 Nr. 2 a AO 1977 gerade nicht die Fälle erfassen wollte, in denen die Erstattung lediglich mittelbar Folge einer gerichtlichen Entscheidung sei.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision des FA zurückzuweisen.

Gründe

II.

Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Recht hat das FG den Klägern Prozesszinsen gemäß § 236 AO 1977 auf die nach Rücktrag eines Verlustes aus 1986 erstattete Einkommensteuer 1984 zuerkannt.

1. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO 1977). Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Diese Regelung ist nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 a AO 1977 entsprechend anzuwenden, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt. Zweck der Vorschrift ist es, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. , BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37).

Folgebescheide sind Verwaltungsakte, die die Regelungen eines Feststellungs-, Steuermessbescheids oder eines sonstigen für die Festsetzung einer Steuer verbindlichen Verwaltungsaktes (sog. Grundlagenbescheid) als bindend übernehmen; für steuerliche Grundlagenbescheide ist die Bindungswirkung ausdrücklich gesetzlich bestimmt (vgl. , BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600). Werden Besteuerungsgrundlagen - hier der Verlust der KG in 1986 - einheitlich und gesondert festgestellt, so bindet der Grundlagenbescheid den Folgebescheid, soweit sein feststellender Inhalt reicht (§ 182 Abs. 1 AO 1977).

2. Der Gewinnfeststellungsbescheid 1986 ist ein Grundlagenbescheid. Er ist nicht nur für die Einkommensteuerfestsetzung des Verlustentstehungsjahres bindend, sondern auch für die Jahre des Verlustabzugs gemäß § 10 d EStG (vgl. , BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792, und vom III R 38/88, BFH/NV 1990, 369). Auch wenn über Grund und Höhe des abziehbaren (rücktragbaren) Verlustes nicht im Entstehungsjahr 1986, sondern im Veranlagungsjahr 1984 zu entscheiden ist, in dem sich der Verlustrücktrag einkommensteuerrechtlich auswirkt (ständige Rechtsprechung vgl. , BFH/NV 1994, 710, m. w. N.; vgl. auch Urteil vom VIII R 17-19/84, BFH/NV 1989, 278, und Urteil vom I 184/63, BStBl I 1966, 270), so ist das FA bei der dafür erforderlichen Ermittlung der in 1986 nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte an den am geänderten Feststellungsbescheid für 1986 gebunden, soweit dessen Feststellungen reichen (§ 182 Abs. 1 AO 1977).

3. Der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres 1986 ist kein Grundlagenbescheid für das Verlustabzugsjahr 1984, auch wenn 1984 nur noch die Verluste zum Abzug kommen, die 1986 noch nicht ausgeglichen wurden (vgl. , BFH/NV 2000, 564; vom VIII R 109/86, BFH/NV 1990, 624).

Die durch § 10 d EStG vorgegebene Reihenfolge des Abzugs des einheitlich und gesondert festgestellten Verlustes ändert nichts daran, dass der Feststellungsbescheid 1986 als solcher - soweit seine Feststellungen reichen - gleichermaßen bindend ist für die Veranlagungen 1984 und 1986, die betreffenden Einkommensteuerbescheide mithin insoweit Folgebescheide i. S. des § 182 Abs. 1 AO 1977 des Feststellungsbescheides sind. Dass der Feststellungsbescheid im Streitfall über die Grenzen eines Veranlagungsjahres hinaus bindende Wirkungen entfaltet, ergibt sich aus der besonderen Funktion des § 10 d EStG, einen die Abschnittsbesteuerung übergreifenden Verlustausgleich zu gewährleisten.

4. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 a i. V. m. Abs. 1 AO 1977 sind danach erfüllt. Der Änderungsbescheid vom führte zur Erledigung des Rechtsstreits betreffend die Gewinnfeststellung 1986 und des Weiteren zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1984 durch den Verlustrücktrag nach § 10 d EStG.

Den auf dem Verlustrücktrag beruhende Erstattungsanspruch betreffend Einkommensteuer 1984 war mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1986, aus dem der Verlust stammt, entstanden (vgl. , BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491), der Zinslauf begann am , dem Tag der Rechtshängigkeit des später erledigten Rechtsstreits (§ 236 Abs. 2 Nr. 2 a i. V. m. § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 119
BB 2001 S. 2414 Nr. 47
BFH/NV 2001 S. 1026 Nr. 8
BFH/NV 2002 S. 83
BFH/NV 2002 S. 83 Nr. 1
BFHE S. 1 Nr. 196
DStRE 2002 S. 322 Nr. 5
KÖSDI 2002 S. 13131 Nr. 1
DAAAA-89130