BFH Urteil v. - VIII R 14/00 BStBl 2001 II S. 156

Keine Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO eines unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Feststellungsbescheids nach Ablauf der Feststellungsfrist

Leitsatz

Die Regelung, dass bei einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid die Steuerfestsetzung nach Ablauf der Festsetzungsfrist wegen des damit verbundenen Wegfalls des Vorbehalts der Nachprüfung nicht mehr nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geändert werden kann, gilt für die Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellungsbescheides nach Ablauf der Feststellungsfrist sinngemäß.

Gesetze: AO 1977 § 164 Abs. 1, 2 und 4AO 1977 § 181 Abs. 1 und Abs. 5

Instanzenzug: FG Rheinland-Pfalz (Verfahrensverlauf),

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Gesellschafter einer GmbH. Gemeinsam mit den beiden anderen Gesellschaftern der GmbH, den Beigeladenen, gründeten sie im Jahre 1991 die ,,Gemeinschaft X-Aktien'' zum Zweck des gemeinschaftlichen Erwerbs eines Aktienpakets der X-AG. Der Erwerb der Aktien wurde über ein auf den Namen der vier Gemeinschafter lautendes Darlehenskonto finanziert. Im Jahr 1991 fielen Schuldzinsen in Höhe von 13 926 DM und im Jahr 1992 von 40 415 DM an. Am wurden Dividenden in Höhe von 3 281 DM gutgeschrieben. Im Februar 1993 verkaufte die Gemeinschaft ihre letzten Aktien. Die Gemeinschaft reichte für das Jahr 1991 am und für das Jahr 1992 am eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ein.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ am für die Streitjahre 1991 und 1992 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Er setzte die Einnahmen aus Kapitalvermögen auf 0 DM (1991) und 3 281 DM (1992) fest und berücksichtigte als Werbungskosten die Schuldzinsen anteilsmäßig bei den vier Beteiligten. Unter dem Datum des ergingen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Bescheide über die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, in denen das FA die Einnahmen und Werbungskosten auf jeweils 0 DM feststellte. In einer Anlage zum jeweiligen Bescheid wird erläutert, dass die Änderung aufgrund mangelnder Einkunftserzielungsabsicht erfolge.

Mit Einspruchsentscheidung vom wies das FA den Einspruch der Feststellungsbeteiligten als unbegründet zurück. Es führte aus, der Änderungsbescheid vom sei für das Streitjahr 1992 innerhalb der gesetzlichen Feststellungsfrist ergangen. Für das Streitjahr 1991 habe der Bescheid noch nach § 181 Abs. 5 AO 1977 ergehen dürfen, da die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1991 des Gemeinschafters B erst am (Eingangsdatum der Einkommensteuererklärung 1991: ) ende. Der Hinweis auf die beschränkte Bindungswirkung des geänderten Feststellungsbescheides 1991 habe zwar in dem Änderungsbescheid vom gefehlt; er werde aber im Rahmen dieser Einspruchsentscheidung nachgeholt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, der Feststellungsbescheid für 1991 habe noch ergehen dürfen. Zwar habe die Feststellungsfrist gemäß §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des geendet. Der Bescheid habe aber noch gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 erlassen werden können, weil unstreitig die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1991 des Gemeinschafters B noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die gesonderte Feststellung sei gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 auch dann noch zulässig, wenn im Zeitpunkt der Feststellung die Festsetzungsfrist für die Folgesteuer mindestens eines Beteiligten noch nicht abgelaufen sei (vgl. , BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750). Der Änderungsbescheid vom habe diesen Hinweis zwar nicht enthalten; der Hinweis sei aber in der Einspruchsentscheidung wirksam - nämlich unter Bezeichnung der Steuerart des Jahres und des betroffenen Beteiligten - nachgeholt worden.

Die Kläger haben gegen das Urteil mit einem am (Dienstag) beim FG eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat darauf hingewiesen, dass das Empfangsbekenntnis zwar den Eingangsstempel seines Büros vom enthalte, ihm das Urteil aber erst am vorgelegt worden sei. Denn er sei in der Zeit vom 13. bis im Urlaub gewesen. Der Prozessbevollmächtigte hat die Richtigkeit seines Vortrags eidesstattlich versichert und die eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiter K. und P. eingereicht.

Zur Begründung der Revision machen die Kläger geltend, die Rechtsauffassung des FG, der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 könne in der Einspruchsentscheidung nachgeholt werden, sei unzutreffend.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die angefochtenen Änderungsbescheide für 1991 und 1992 vom sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

I. Die Revision ist zulässig.

Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim FG eingelegt worden (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten erst am und nicht bereits am zugestellt worden, so dass der Eingang der Revision beim FG am rechtzeitig war.

a) Das Urteil ist gemäß § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 2 VwZG erbringt den vollen Beweis dafür, dass das darin bezeichnete Schriftstück an dem vom Empfänger angegebenen Tag tatsächlich zugestellt worden ist. Die in § 418 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmte Rechtsfolge gilt für diese Urkunde entsprechend. Das ist für den insoweit wortlautgleichen § 212a ZPO ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH - (vgl. z. B. Beschluss vom VII ZB 12/96, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1996, 2514). Für § 5 Abs. 2 VwZG kann nichts anderes gelten, weil diese Vorschrift dieselbe Aufgabe hat wie § 212a ZPO (, NJW 1994, 535). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist jedoch zulässig. Der im Empfangsbekenntnis angegebene Zustelltag ist nicht maßgebend, wenn er nachgewiesenermaßen unrichtig ist (, BFHE 102, 457, BStBl II 1971, 723). Der Gegenbeweis ist aber nicht schon dann erbracht, wenn nur die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist; vielmehr muss die Unrichtigkeit der an § 418 Abs. 1 ZPO geknüpften Vermutung zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen (, BFH/NV 1997, 500). Unter welchen näheren Voraussetzungen ein Gericht von der Unrichtigkeit überzeugt zu sein hat, lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen, sondern ist Inhalt der jeweiligen tatrichterlichen Überzeugungsbildung (vgl. BVerwG-Beschluss in NJW 1994, 535).

b) Bei einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist nicht der Zeitpunkt des Eingangs des zuzustellenden Schriftstücks im Büro des Prozessbevollmächtigten entscheidend, sondern die Kenntnisnahme des Adressaten von der Zustellung. Das ausgefüllte Empfangsbekenntnis dient dem Nachweis des Zeitpunkts, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt hat und bereit gewesen ist, dieses entgegenzunehmen und zu behalten (, BFHE 159, 425, BStBl II 1990, 477, 478; , BFH/NV 1997, 459, 460).

c) Im Streitfall hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht am , sondern erst am Kenntnis vom Zugang des zuzustellenden Schriftstücks erlangt hat. Zwar enthält das Empfangsbekenntnis unter der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten den Eingangsstempel vom . Aufgrund der eidesstattlich versicherten und substantiierten Angaben des Prozessbevollmächtigten, deren Richtigkeit durch die von ihm eingereichte Kopie des Mietvertrages, wonach er bis zum einen Ferienbungalow angemietet hat, belegt wird, ist der Senat davon überzeugt, dass der Prozessbevollmächtigte sich am Freitag, dem 17. März 2000, nicht in seinem Büro aufgehalten hat. Er hat folglich an diesem Tag auch nicht Kenntnis von der Zustellung erhalten. Soweit das FA unter Hinweis auf den oben zitierten Beschluss des BVerwG in NJW 1994, 535 einwendet, es sei möglich, dass zwar nicht der Prozessbevollmächtigte, aber ein Vertreter das am eingegangene Urteil zur Kenntnis genommen habe, liegen im Streitfall - anders als in dem vom BVerwG entschiedenen Fall, in dem eine Sozietät beauftragt war - für eine Bevollmächtigung eines Vertreters keinerlei Anhaltspunkte vor. Der Prozessbevollmächtigte ist ausweislich seines Briefkopfes nicht in einer Sozietät tätig; die Vollmachtsurkunde ist ausschließlich auf ihn ausgestellt. Er hat eidesstattlich versichert, dass er der alleinige Sachbearbeiter sei.

II. Die Revision ist zum Teil begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie den angefochtenen Feststellungsbescheid für 1991 betrifft, und zur Aufhebung dieses Bescheides. Das FG hat übersehen, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids für 1991 vom die vom FA angeführte Rechtsgrundlage für die Änderung bzw. Aufhebung des Feststellungsbescheides vom entfallen war. Die Vorentscheidung ist rechtsfehlerfrei, soweit das FG die Klage gegen den Feststellungsbescheid für 1992 abgewiesen hat.

1. Durch den angefochtenen Feststellungsbescheid für 1991 vom ist der Feststellungsbescheid vom inhaltlich aufgehoben worden. Denn die materiell-rechtliche Feststellung, dass die Einnahmen und Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen 0 DM betragen, ist unter Berücksichtigung der in der Anlage gegebenen Erläuterung, dass die Änderung aufgrund mangelnder Einkunftserzielungsabsicht erfolge, ihrem Inhalt nach ein negativer Feststellungsbescheid (vgl. , BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293), durch den der anders lautende Bescheid vom aufgehoben worden ist. Für diese Aufhebung oder Änderung hat keine Rechtsgrundlage mehr vorgelegen.

a) Das FA hat die Änderung zu Unrecht auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützt. Gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. Diese Vorschrift gilt gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 für die Feststellungsfrist sinngemäß. Im Streitfall sind die Beteiligten und das FG übereinstimmend und zutreffend davon ausgegangen, dass die Feststellungsfrist für das Jahr 1991 am abgelaufen ist (vgl. § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). War danach der in dem Feststellungsbescheid vom enthaltene Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf des entfallen und nicht mehr wirksam, dann konnte die erst am erfolgte Aufhebung oder Änderung nicht mehr auf § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 gestützt werden.

b) Etwas anderes folgt auch nicht aus § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977. Danach kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Diese Vorschrift bewirkt nach ihrem Wortlaut - anders als die in § 171 AO 1977 getroffenen Regelungen - keine Ablaufhemmung der Festsetzungs- oder Feststellungsfrist, sondern ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen den Erlass eines Feststellungsbescheides mit eingeschränktem Regelungsgehalt, obwohl die Feststellungsfrist bereits abgelaufen ist. Es ist zwar allgemeine Meinung, dass § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 über seinen Wortlaut hinaus nicht nur für die erstmalige Feststellung, sondern seinem Sinn und Zweck nach auch für die Änderung und Berichtigung von Feststellungsbescheiden gilt (vgl. , BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381, unter II. c). Das ändert aber nichts an dem Erfordernis, dass der Tatbestand einer Vorschrift erfüllt sein muss, die zu der Änderung oder Aufhebung berechtigt. Zwar ist § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 Ausdruck der dienenden Funktion des Feststellungsverfahrens gegenüber dem Festsetzungsverfahren (vgl. BTDrucks. VI/1982, S. 157). Es geht aber weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus ihrer Entstehungsgeschichte hervor, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung die Finanzbehörde bei einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid davon hätte entbinden wollen, die ihrer Ansicht nach erforderliche Nachprüfung innerhalb der Feststellungsfrist durchführen zu müssen. Tatsächlich ist bei einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid hinsichtlich der Verpflichtung der Finanzbehörde zur abschließenden Prüfung des Falles innerhalb einer bestimmten Frist auch keine unterschiedliche Interessenlage zwischen Feststellungsbescheid und Steuerbescheid erkennbar.

c) Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben, soweit sie das Streitjahr 1991 betrifft. Die Sache ist spruchreif. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom FA tatsächlich auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützte Änderung auch den Tatbestand einer der in den §§ 172 ff. AO 1977 angeführten Regelungen, die zu einer Änderung oder Aufhebung berechtigen, erfüllt. Da der angefochtene Feststellungsbescheid vom deshalb ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, ist er aufzuheben.

2. Die Revision ist unbegründet, soweit die Kläger die Aufhebung des Feststellungsbescheides für 1992 begehren. Insoweit hat das FG die Klage zu Recht abgewiesen. Am war nach zutreffender und übereinstimmender Auffassung der Beteiligten und des FG die Feststellungsfrist für 1992 noch nicht abgelaufen (vgl. § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Da deshalb der Vorbehalt der Nachprüfung auch wirksam geblieben und nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 entfallen war, konnte der ursprüngliche Bescheid nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 geändert oder aufgehoben werden. Die Ausführungen des FG zur materiellen Rechtslage, d. h. zur fehlenden Überschusserzielungsabsicht der Gemeinschaft, lassen keine Rechtsfehler (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) erkennen. Die Kläger haben sich in der Revisionsbegründung mit diesem Teil des Urteils auch nicht auseinander gesetzt, sondern sich darauf beschränkt, eine Verletzung des § 181 Abs. 5 AO 1977 zu rügen.

Fundstelle(n):
BStBl 2001 II Seite 156
BB 2001 S. 458 Nr. 9
BFH/NV 2001 S. 503 Nr. 4
BFHE S. 392 Nr. 193
DB 2001 S. 742 Nr. 14
DStRE 2001 S. 384 Nr. 7
INF 2001 S. 217 Nr. 7
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