Steuerbarkeit der unentgeltlichen Beförderung von Arbeitnehmern von der Wohnung zur Arbeitsstätte
Leitsatz
1. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980/1991 erfasst auch Dienstleistungen des Steuerpflichtigen ,,für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke'' i. S. des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG.
2. Die unentgeltliche Beförderung von Arbeitnehmern von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück mit einem betrieblichen Kfz durch den Arbeitgeber dient grundsätzlich dem privaten Bedarf der Arbeitnehmer und damit unternehmensfremden Zwecken. Anders ist es jedoch, wenn die Erfordernisse des Unternehmens im Hinblick auf besondere Umstände es gebieten, dass die Beförderung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übernommen wird.
3. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse. Die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle ist nur ein Umstand, der neben anderen in die tatsächliche Würdigung einfließt.
Gesetze: UStG 1980/1991 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. bRichtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 2
Instanzenzug: Hessisches FG (EFG 1999, 1309) (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb in den Streitjahren (1990 bis 1992) in N ein überregional tätiges Bauunternehmen. Ihre Baustellen befanden sich bis zu 500 km von ihrem Firmensitz entfernt. Sie beförderte ihre Arbeitnehmer unter Einsatz von Firmenbussen von deren Wohnsitz bzw. von Sammelplätzen aus zu ihren jeweiligen Baustellen und zurück; ein besonderes Entgelt hatten die Arbeitnehmer hierfür nicht zu bezahlen.
Bei im näheren Umkreis gelegenen Baustellen fanden die Fahrten wochentäglich, ansonsten wöchentlich statt. In den Streitjahren waren etwa 70 v. H. der Baustellen in einer räumlichen Entfernung von über 50 km vom Firmensitz der Klägerin entfernt; die übrigen Baustellen befanden sich innerhalb einer Entfernung von maximal 50 km. Aufgrund des geltenden Tarifvertrages war die Klägerin verpflichtet, Arbeitnehmern, die auf einer mindestens 6 km von ihrer Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeiteten, die Fahrtkosten zu erstatten bzw. Auslösungen zu bezahlen.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zunächst die Auffassung, dass es sich bei sämtlichen von der Klägerin durchgeführten Sammelbeförderungen um Leistungen der Klägerin an ihre Arbeitnehmer gehandelt habe, die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980/1991) der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Das FA erließ daraufhin geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen die Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Sammelbeförderungen im Schätzungswege ermittelt wurden.
Der Einspruch gegen diese Bescheide blieb ohne Erfolg.
Während des anschließenden Klageverfahrens änderte das FA die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide mit Rücksicht auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-258/95 - Fillibeck - (Slg. 1997, I-5577, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1998, 61) und die sich anschließenden (BFH/NV 1998, 1131) und vom V R 105/92 (BFHE 186, 157, BStBl II 1998, 635), indem es die unentgeltlichen Arbeitnehmersammelbeförderungen zr den mehr als 50 km vom Firmensitz der Klägerin entfernt liegenden Baustellen nicht mehr besteuerte. Da das FA die Beförderungsleistungen zu Baustellen bis zu einer Entfernung von 50 km weiterhin der Umsatzsteuer unterwarf, machte die Klägerin die erneuten Änderungsbescheide gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zum Ergebnis, dass die Beförderungsleistungen insgesamt nicht steuerbar seien (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1999, 1309).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980/1991. Es meint, nach dieser Vorschrift und der vom FG zitierten Rechtsprechung unterliege die Beförderung der Arbeitnehmer durch den Unternehmer grundsätzlich der Umsatzsteuer. Nur in ganz speziellen Einzelfällen könne ein überwiegend betriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Beförderung seiner Arbeitnehmer zu ihren Arbeitsstätten gegeben sein. So könne es sein, wenn keine anderen geeigneten Beförderungsmittel zur Verfügung stünden. Als anderes geeignetes Beförderungsmittel komme auch der eigene Pkw des Arbeitnehmers in Betracht. Für Arbeiter, die über keinen eigenen Pkw verfügten, komme die Bildung von Fahrgemeinschaften in Betracht. Auch der Wechsel der Einsatzstellen erzwinge nicht die Beförderung durch den Arbeitgeber, eine zwingende betriebliche Veranlassung wäre nur zu bejahen, wenn die Arbeitnehmer regelmäßig innerhalb kurzer Zeitabstände (z. B. innerhalb eines Tages) an verschiedenen Baustellen tätig wären, die noch dazu in einer gewissen räumlichen Entfernung zueinander lägen.
Als das geeignetste Kriterium für eine Abgrenzung der betrieblichen von der privaten Veranlassung erscheine eine bestimmte Mindestentfernung zwischen Arbeitsstätte und Sitz des Unternehmens; sachgerecht sei eine Entfernungsgrenze von 50 km. Ein Abstellen auf die für die Einsatzwechseltätigkeit nach Abschn. 38 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) maßgebliche Entfernungsgrenze von 30 km erscheine nicht zutreffend, da bei Baustellen im Regelfall nicht von ständig wechselnden Arbeitsstätten ausgegangen werden könne.
Auch die Heranziehung der zu § 3 Nr. 32 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergangenen Abgrenzungskriterien (vgl. Abschn. 21 LStR) sei nicht ohne weiteres möglich. Ertragsteuern und Umsatzsteuern seien zwei getrennte Rechtsgebiete. Im Übrigen spreche gerade § 3 Nr. 32 EStG dafür, dass es sich bei den unentgeltlich durchgeführten Arbeitnehmersammelbeförderungen um Leistungen für den privaten Bedarf der Arbeitnehmer handele. Die Vorschrift stelle gesetzessystematisch nur klar, dass in bestimmten Fällen eine betriebliche Veranlassung der Arbeitnehmersammelbeförderung gegeben sei, die dann ertragsteuerlich zur Steuerfreiheit der dem Arbeitslohn zuzurechnenden Beförderungsleistungen führe.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Gründe
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat zu Recht eine Beförderung der Arbeitnehmer zu den Bau- und Arbeitsstellen gegen Entgelt i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980/1991 verneint. Die Arbeitsleistungen der beförderten Arbeitnehmer entfielen auch nicht zum Teil als Entgelt auf die Beförderungsleistungen der Klägerin, da die Arbeitnehmer ihre Arbeit lediglich für den vereinbarten Barlohn unabhängig davon zu leisten hatten, ob und in welchem Ausmaß sie die angebotene Beförderungsleistung in Anspruch nahmen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin die Beförderungsleistungen zur Ablösung ihrer Verpflichtungen aus dem Tarifvertrag erbrachte.
2. Die Beförderungsleistung war auch nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980/1991 zu besteuern. Nach dieser Vorschrift entfällt die Steuerbarkeit nicht, wenn ein Unternehmer u. a. sonstige Leistungen an seine Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses ausführt, für die die Leistungsempfänger kein besonders berechnetes Entgelt aufwenden.
Nach der Rechtsprechung des Senats erfasst diese Vorschrift auch Dienstleistungen des Steuerpflichtigen ,,für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke'', die nach Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) den Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt werden. Die zuletzt genannte Vorschrift ist nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Fillibeck (Slg. 1997, I-5577, HFR 1998, 61) dahin auszulegen, dass die unentgeltliche Beförderung von Arbeitnehmern von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück mit einem betrieblichen Kfz durch den Arbeitgeber grundsätzlich dem privaten Bedarf der Arbeitnehmer und damit unternehmensfremden Zwecken dient; laut EuGH findet diese Bestimmung jedoch keine Anwendung, wenn die Erfordernisse des Unternehmens im Hinblick auf besondere Umstände es gebieten, dass die Beförderung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übernommen wird, da dann diese Leistung nicht zu unternehmensfremden Zwecken erbracht wird.
Als besondere Umstände, die den Arbeitgeber zwingen können, die Beförderung seiner Arbeitnehmer zu übernehmen, nennt der EuGH
- die Schwierigkeit, andere geeignete Verkehrsmittel zu benutzen,
- wechselnde Arbeitsstätten,
- Besonderheiten der Bauunternehmen,
- in Verbindung mit anderen Indizien den Umstand, dass die Beförderungsleistungen aufgrund eines Tarifvertrags erbracht werden.
Der erkennende Senat hat diese Grundsätze in richtlinienkonformer Auslegung der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980/1991 übernommen und weitergeführt. Er nennt als weitere Indizien dafür, dass der Arbeitgeber gezwungen ist, die Beförderung seiner Arbeitnehmer zu übernehmen:
- die weiten Entfernungen, über die die Beförderungen zu wechselnden Arbeitsstätten stattfinden (BFH in BFH/NV 1998, 1131),
- wechselnde Beschäftigung in weit entfernten Großstädten bzw. Ballungsräumen, so dass die Anfahrt mittels eigenen Kfz oder mittels öffentlicher Verkehrsmittel nur schwer zu bewerkstelligen wäre (BFH in BFH/NV 1998, 1131),
- Beschäftigung außerhalb eines ,,weiträumigen Arbeitsgebietes'' (BFH in BFHE 186, 157, BStBl II 1998, 635),
- Notwendigkeit der Sammelfahrten für den betrieblichen Einsatz i. S. des § 3 Nr. 32 EStG (, BFHE 188, 466, BStBl II 1999, 582; Beschluss vom V B 68/99, BFH/NV 2000, 241),
- Sammelbeförderung der bisherigen Arbeitnehmer an den neuen Betriebsort nach einer Betriebsverlegung mit einer durch einen Sozialplan abgesicherten ,,Übernahme'' der Arbeitnehmer (BFH in BFH/NV 2000, 241).
Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse. Die genannten Merkmale sind nur beispielhaft zu verstehen. Die Entscheidung hängt von der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles ab. Die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle ist nur ein Umstand, der neben anderen in die tatsächliche Würdigung einfließt (, BFH/NV 1999, 1527). Im Streitfall diente die Sammelbeförderung nach den Feststellungen des FG der Gewährleistung eines pünktlichen und einheitlichen Arbeitsbeginns auf den Baustellen; mit ihrer Hilfe kam die Klägerin ihren Verpflichtungen aus dem Tarifvertrag kostengünstig nach; öffentliche Verkehrsmittel standen den Arbeitnehmern nicht zur Verfügung. Unter Einbeziehung dieser Umstände konnte das FG ohne Rechtsverstoß zum Ergebnis kommen, dass die Sammelbeförderung der Arbeitnehmer auch in den noch streitigen Fällen durch die besonderen Umstände des Betriebs der Klägerin geboten war.
Bei der Beurteilung der Beförderungsleistungen des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen, dass die Beförderungsleistungen einerseits betrieblich veranlasst sind (vgl. BFH in BFHE 186, 157, BStBl II 1998, 635), anderseits aber nach Ansicht des EuGH regelmäßig unternehmensfremden Zwecken i. S. des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dienen. Nach der Rechtsprechung des Senats entfällt die Steuerbarkeit der betrieblich veranlassten Zuwendungen dann, wenn die Befriedigung des privaten Bedarfs der Arbeitnehmer durch die mit der Maßnahme verfolgten betrieblichen Zwecke überlagert wird (BFH in BFHE 186, 157, BStBl II 1998, 635; ebenso Abschn. 12 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000).
Da es auf das Gesamtbild der Verhältnisse ankommt und die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle nur ein Umstand ist, der bei der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen ist, kann die Frage, ob die Befriedigung des privaten Bedarfs der Arbeitnehmer durch die mit der Beförderung verfolgten betrieblichen Zwecke überlagert wird, nicht von einer starren Kilometergrenze abhängig gemacht werden.
Ob die Sammelbeförderung gemäß § 3 Nr. 32 EStG (steuerfreier) Arbeitslohn (oder kein Lohn) ist, ist umsatzsteuerrechtlich unerheblich. Gleichwohl gibt es offensichtliche Berührungspunkte zwischen der umsatzsteuerrechtlichen Fragestellung, ob die Erfordernisse des Unternehmens es im Hinblick auf besondere Umstände gebieten, dass die Beförderung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übernommen wird, und der lohnsteuerrechtlichen Fragestellung, ob die Sammelbeförderung für den betrieblichen Einsatz des Arbeitnehmers notwendig ist (vgl. BFH in BFHE 188, 466, BStBl II 1999, 582).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2000 II Seite 505
BB 2000 S. 1774 Nr. 35
BFH/NV 2000 S. 1314 Nr. 10
DB 2000 S. 1899 Nr. 38
DStRE 2000 S. 991 Nr. 18
INF 2000 S. 605 Nr. 19
UR 2000 S. 424 Nr. 10
VAAAA-88729