BFH Urteil v. - V R 25/99

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Grundstücks, das sie in den Streitjahren (1983 und 1984) an eine GmbH, an der ihr Ehemann beteiligt war, umsatzsteuerpflichtig verpachtet hatte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte den entsprechenden —im Jahr 1985 abgegebenen— Umsatzsteuererklärungen der Klägerin zunächst.

Im Jahr 1991 gelangte das FA aufgrund einer vom FA X bei der Klägerin und ihrem Ehemann durchgeführten Betriebsprüfung zu der Auffassung, dass die Umsätze aus der Verpachtung des Grundstücks nicht wie bisher angenommen der Klägerin, sondern ihrem Ehemann zuzurechnen seien. Das FA setzte deshalb mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden vom gegenüber der Klägerin die Umsatzsteuer 1983 und 1984 unter Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht des FA X vom jeweils auf 0 DM fest. Die Bescheide ergingen (weiterhin) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurden am bestandskräftig.

Mit Bescheiden vom setzte das FA X die Verpachtungsumsätze gegenüber dem Ehemann der Klägerin fest. Dagegen legte dieser Einspruch ein. Zu diesem Rechtsbehelfsverfahren zog das FA X durch Bescheid vom die Klägerin unter Hinweis auf § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) hinzu. Nachdem das FA X zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Verpachtungsumsätze doch der Klägerin und nicht ihrem Ehemann zuzurechnen seien, setzte es diesem gegenüber mit Einspruchsentscheidung vom die Umsatzsteuer 1983 und 1984 ohne Berücksichtigung dieser Verpachtungsumsätze fest.

Daraufhin rechnete das beklagte FA diese Umsätze nunmehr wieder der Klägerin zu und erließ ihr gegenüber, gestützt auf § 164 Abs. 2 AO 1977, am für die Streitjahre entsprechend geänderte Bescheide.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, das FA habe die mit bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheiden vom festgesetzte Umsatzsteuer für 1983 und 1984 gegenüber der Klägerin mit Bescheiden vom nochmals ändern dürfen. Denn insoweit lägen —wovon das FA allerdings nicht ausgegangen sei— gegenüber der Klägerin die Änderungsvoraussetzungen wegen widerstreitender Steuerfestsetzungen gemäss § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO 1977 vor. Eine Folgeänderung wegen widerstreitender Steuerfestsetzungen gegenüber einem Dritten sei gemäß § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 auch dann noch möglich, wenn dieser zwar erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung an dem Verfahren beteiligt worden sei, das zur Korrektur des ursprünglichen Bescheids geführt habe, der Dritte aber um den möglichen Widerstreit gewusst habe (§ 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO 1977). Für die Klägerin habe keine schützenswerte Vertrauensposition bestanden. Sie habe spätestens seit Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vom gewusst, dass die Finanzbehörden ihr und ihrem Ehemann gegenüber die Frage untersuchten, ob die Verpachtungsumsätze ihr oder aber im Rahmen einer Betriebsaufspaltung ihrem Ehemann als Unternehmer zuzurechnen seien. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 685 abgedruckt.

Die Klägerin macht mit ihrer —vom FG zugelassenen— Revision im Wesentlichen geltend: Sie sei erst durch Bescheid vom und damit nach dem —spätestens am mit Bestandskraft der Änderungsbescheide vom eingetretenen— Ablauf der Festsetzungsfrist zum Einspruchsverfahren ihres Ehemannes hinzugezogen worden. Schon deswegen hätten die angefochtenen Änderungsbescheide vom nicht ergehen dürfen. Zudem sei sie nicht ordnungsgemäß am Einspruchsverfahren beteiligt worden. Sie sei weder während des Einspruchsverfahrens unterrichtet oder gehört worden, noch sei ihr die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben worden; sie sei in der Einspruchsentscheidung auch nicht als Beigeladene erwähnt worden. Unabhängig davon sei der gesetzliche Tatbestand für eine Bescheidänderung gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO 1977 nicht erfüllt.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie die Umsatzsteuerbescheide 1983 und 1984 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Umsatzsteuern jeweils auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG durften die angefochtenen Änderungsbescheide nicht —was im Streitfall als Rechtsgrundlage allein in Betracht kommt— auf § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 gestützt werden. Denn im Zeitpunkt der Hinzuziehung der Klägerin zum Einspruchsverfahren ihres Ehemannes war die Festsetzungsfrist für den gegen sie gerichteten Steueranspruch bereits abgelaufen.

1. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nur, wenn der Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei und sich diese Annahme als unrichtig herausstellte (§ 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 174 Abs. 3 Satz 1 AO 1977).

Gegenüber Dritten gilt § 174 Abs. 4 AO 1977 (nur), wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 zulässig.

2. Im Streitfall ist die Klägerin zwar zu dem Einspruchsverfahren ihres Ehemannes hinzugezogen worden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Erlass oder die Änderung eines Steuerbescheids gegenüber einem Dritten nach § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 aber nur dann möglich, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist hinzugezogen oder beigeladen worden ist. Eine Hinzuziehung kommt grundsätzlich nicht in Betracht, wenn gegenüber dem Dritten im Zeitpunkt der Hinzuziehung die Festsetzungsfrist für den gegen ihn gerichteten Steueranspruch bereits abgelaufen war (vgl. BFH-Entscheidungen vom X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; vom II B 67/93, BFH/NV 1994, 216; vom X R 45/92, BFH/NV 1996, 195; vom VIII B 20/95, BFH/NV 1996, 524, und vom V B 79/98, BFH/NV 1999, 442). Nur eine Hinzuziehung oder Beiladung des Dritten vor Ablauf der Festsetzungsfrist kann mithin ihm gegenüber die Rechtsfolgen des § 174 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 174 Abs. 4 AO 1977 auslösen.

a) Gegenüber der Klägerin war die Festsetzungsfrist für die Streitjahre bereits abgelaufen, als sie (durch Bescheid vom ) zu dem Einspruchsverfahren ihres Ehemannes hinzugezogen wurde. Davon gehen das FG und die Beteiligten zutreffend übereinstimmend aus. Die Festsetzungsverjährung trat spätestens mit Bestandskraft der Umsatzsteuer-Änderungsbescheide vom —am — ein. Damit entfiel zugleich der diesen Bescheiden beigefügte Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977), so dass die angefochtenen Änderungsbescheide vom nicht —wie geschehen— auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützt werden konnten.

Dabei kann offen bleiben, ob der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid über die Hinzuziehung der Klägerin vom bestandskräftig geworden ist, wozu das FG entsprechend seinem Rechtsstandpunkt keine Feststellungen getroffen hat. Eine Bestandskraft dieses Bescheides würde nichts daran ändern, dass die Hinzuziehung der Klägerin erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist und damit —was entscheidend ist (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, unter 3. a)— nicht rechtzeitig erfolgt ist.

Denn bestandskräfig wird die durch den bekannt gegebenen Inhalt des Verwaltungsaktes verbindlich nach außen getroffene Regelung (vgl. § 118 Satz 1 AO 1977, § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977; 4 C 31.84, BVerwGE 74, 315, 320; Sachs in Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. § 43 Rz. 43 ff., 54, m.w.N.). Durch den Bescheid vom wurde aber (lediglich) die Klägerin zum Rechtsbehelfsverfahren ihres Ehemannes hinzugezogen. Dagegen trifft der Bescheid keine Regelung (Feststellung) dazu, ob in diesem Zeitpunkt die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Falls der Bescheid bestandskräftig geworden sein sollte, steht damit nur verbindlich fest, dass mit Bekanntgabe des Bescheides eine —nun nicht mehr anfechtbare— Hinzuziehung erfolgt ist. Insofern liegt der Sachverhalt hier anders als bei einem nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergehenden Steuerbescheid, der —entsprechend seinem Regelungsgegenstand— befolgt werden muss, wenn er unanfechtbar ist.

b) Der Auffassung des FG, der Ablauf der Festsetzungsfrist sei im Streitfall unbeachtlich, weil die Klägerin bereits vor Eintritt der Festsetzungsverjährung mit Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vom gewusst habe, dass die Verpachtungsumsätze entweder ihr oder ihrem Ehemann zuzurechnen seien, vermag der Senat nicht zu folgen.

Denn der Dritte hat —bezogen auf die in § 174 Abs. 4 AO 1977 vorausgesetzte Fallgestaltung— im Allgemeinen nicht durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheides hingewirkt; bei ihm können —typischerweise— Kenntnisse hinsichtlich der Auswirkungen der Korrektur nicht vorausgesetzt werden. Insofern gibt es keinen rechtfertigenden Grund dafür, ihm ohne weiteres die Folgerungen aus der nachträglich richtigen Beurteilung des Sachverhalts auch jenseits der allgemeinen Festsetzungsverjährung anzulasten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). Dieser generalisierenden Betrachtungsweise steht nicht entgegen, dass der Dritte —wie dies das FG bei der Klägerin angenommen hat— im Einzelfall den Widerstreit von Steuerfestsetzungen kennt. Entscheidend ist, dass nach Ablauf der Festsetzungsfrist eine Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht mehr zulässig ist. Infolgedessen verliert auch eine Hinzuziehung oder Beiladung nach § 174 Abs. 5 AO 1977 ihren Sinn (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 216).

c) Aus dem (BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327) ergibt sich keine andere Beurteilung. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Verfahren hatte die dortige Klägerin —anders als hier— durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Änderung oder Aufhebung des fehlerhaften Bescheids hingewirkt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 137 Nr. 2
UR 2001 S. 31 Nr. 1
XAAAA-87859