Umsteuerhinterziehung: Kenntnis des Steuerpflichtigen vom Steueranspruch; Anforderungen an eine Scheinrechnung
Gesetze: § 150 Abs 1 S 3 AO, § 168 S 1 AO, § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 370 Abs 4 S 1 Halbs 2 AO, § 14 UStG, § 14a UStG, § 14c UStG, § 16 StGB, § 53 StGB
Instanzenzug: LG Kaiserslautern Az: 2 KLs 6051 Js 1420/11
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen und den Angeklagten L. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen verurteilt, und zwar jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat es von den Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zwei Monate als vollstreckt erklärt. Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte R. zudem die Verletzung formellen Rechts beanstanden, haben mit der Sachrüge Erfolg.
21. Die Verurteilung des Angeklagten R. hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3a) In den Fällen 2 und 3 der Urteilsgründe begegnet bereits die Zurechnung der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Besteuerungszeiträume 2009 und 2010 am bzw. durch die Geschäftsführer der Th. GmbH (im Folgenden: T. GmbH) aufgrund eines mit dem Mitgeschäftsführer A. geschlossenen Tatplans (§ 25 Abs. 2 StGB) durchgreifenden Bedenken.
4aa) Ein für die Annahme von Mittäterschaft ausreichend gewichtiger Tatbeitrag des Angeklagten R. bezüglich der Abgabe dieser beiden Umsatzsteuerjahreserklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 1 AO; § 18 Abs. 3 UStG; § 53 StGB) ist nicht belegt. Die Mitwirkung des Angeklagten R. beschränkte sich auf die Vorbereitung der Tathandlungen, namentlich auf Abzeichnung und Freigabe zur Buchung der auf die Be. GmbH (im Folgenden: B. GmbH) ausgestellten Eingangsrechnungen, denen tatsächlich keine baubegleitenden Beratungen zugrunde lagen; Tatherrschaft über die abzugebenden Steuererklärungen konnte ihm bereits infolge seines Ausscheidens aus der T. GmbH am nicht zukommen. Bezüglich der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 konnte der Angeklagte R. darüber hinaus die Eingangsrechnungen ab März 2010 nicht mehr verbuchen lassen.
5bb) Aus dem gleichen Grund konnte der Angeklagte R. zudem sein Ziel, die Eingangsrechnungen im Zusammenhang mit der Erfüllung von Bauaufträgen als Erfolg der von ihm geführten Abteilung verbuchen zu lassen, nicht mehr erreichen. Dieses Entfallen des Tatinteresses hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen.
6b) Darüber hinaus kann das Urteil insgesamt keinen Bestand haben, da ein Tatvorsatz des Angeklagten R. nicht rechtsfehlerfrei belegt ist.
7aa) Das angefochtene Urteil legt sich nicht fest, weshalb die von der B. GmbH ausgestellten Rechnungen „Scheinrechnungen“ mit der Folge gewesen sein sollen, dass die T. GmbH daraus kein Recht zum Vorsteuerabzug ausüben konnte. Es bleibt offen, ob den vom Landgericht festgestellten, tatsächlich im Vorfeld der später vergebenen Bauaufträge ausgeführten Beratungsleistungen ein Rechtsverhältnis (vgl. , BFHE 263, 90 Rn. 19) zwischen der T. GmbH und der B. GmbH oder zwischen der T. GmbH und dem Angeklagten L. zugrunde lag (insbesondere UA S. 6). Daher ist unklar, ob die T. GmbH schon deswegen keine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnungen besaß (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG), weil die Rechnungen nicht den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des tatsächlich leistenden Unternehmers (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG) anführten, oder aber deswegen, weil sie die Art der sonstigen Leistung (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG) falsch beschrieben, nämlich baubegleitende Beratungsleistungen statt Leistungen im Vorfeld der Auftragsvergaben.
8bb) Da damit der Bezugspunkt einer möglichen Scheinrechnung offenbleibt, trägt die Beweiswürdigung nicht die Annahme eines Tatvorsatzes.
9(a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will oder dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; Rn. 14; vom – 1 StR 347/18 Rn. 20 ff., BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 8; vom – 1 StR 38/11 Rn. 21 ff., BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 5 und vom – 1 StR 265/18 Rn. 30).
10(b) Im Rahmen der danach erforderlichen „Parallelwertung in der Laiensphäre“ kann es einen Unterschied machen, ob zu einem Rechnungsaussteller schon gar kein Rechtsverhältnis bestand oder ob lediglich die aufgrund eines bestehenden Rechtsverhältnisses ausgetauschte Leistung falsch bezeichnet wurde. Nachvollziehbare Ausführungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten R. fehlen jedoch. Solcher hätte es hier bereits jedenfalls deswegen bedurft, weil die B. GmbH die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer erklärte (UA S. 8) und abführte (UA S. 44). Eine mögliche umsatzsteuerliche Beeinträchtigung hat sich damit im Ergebnis bei einer Gesamtbetrachtung von gegebenenfalls zu Unrecht aus den ausgegebenen Rechnungen gezogener Vorsteuer und von erklärter Umsatzsteuer aus diesen Rechnungen nicht realisiert (vgl. § 14c UStG).
112. Auch die Verurteilung des Angeklagten L. unterliegt der Aufhebung.
12a) Die Taten sind indes nicht verjährt.
13Bei den Taten 4 und 5 der Urteilsgründe trat die für den Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist maßgebliche Tatbeendigung jeweils mit der gemäß § 168 Satz 2 AO erforderlichen Zustimmung der Finanzbehörde mit Ablauf des ein. Die Verjährung ist durch die Durchsuchungsbeschlüsse vom (Blatt 863 ff., Band V) sowie vom (Bl. 918 ff. Band V) gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbrochen worden. Die Taten waren daher im Zeitpunkt der Anklageerhebung am , die erneut den Ablauf der Verjährung unterbrach (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB), noch nicht verjährt.
14b) Da, wie dargelegt, eine vorsätzliche Haupttat nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, kann auch die Verurteilung des Gehilfen (§ 27 Abs. 1 StGB) keinen Bestand haben; zudem ist ein Gehilfenvorsatz ebenfalls aus dem gleichen Grund nicht belegt, auch nicht bezüglich der von der F. Limited abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Besteuerungszeiträume 2008 und 2009.
153. Für den neuen Rechtsgang weist der Senat vorsorglich auf den Ordnungswidrigkeitentatbestand der Steuergefährdung (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) hin.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:260122B1STR518.20.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 289 Nr. 9
BFH/NV 2022 S. 702 Nr. 6
NJW 2022 S. 1896 Nr. 26
UStB 2022 S. 353 Nr. 11
wistra 2022 S. 297 Nr. 7
wistra 2022 S. 4 Nr. 6
BAAAI-62925