Symptomatischer Zusammenhang zwischen Deliktsbegehung und Alkoholkonsum
Gesetze: § 64 StGB
Instanzenzug: LG Konstanz Az: 4 Ks 40 Js 29999/20 (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
31. Die sachverständig beratene Strafkammer hat festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine Abhängigkeitserkrankung von Alkohol (ICD-10 F 10.2) besteht. Der Angeklagte konsumiert täglich Alkohol; der Alkoholkonsum hat sich seit seiner Arbeitslosigkeit Anfang 2020 noch gesteigert. Zudem leidet der Angeklagte an einer Abhängigkeit von Opioiden (ICD-10 F 11.22), wobei er sich seit 2008 in einem Substitutionsprogramm befand. Zur Tatzeit bestand beim Angeklagten eine Alkoholintoxikation.
42. Eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit hat das Landgericht – rechtsfehlerfrei – verneint. Bei der Strafzumessung hat es sowohl bei der Prüfung eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1, 2. Halbsatz StGB als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne eine „gewisse Enthemmung durch den vorangegangenen Alkohol“ zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt (UA S. 43).
5Ihre Entscheidung, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht anzuordnen, hat die Strafkammer damit begründet, dass der Angeklagte zwar einen Hang habe, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel (Opioide) im Übermaß zu sich zu nehmen, zwischen der abgeurteilten Tat und dem Alkoholkonsum aber kein symptomatischer Zusammenhang bestehe (UA S. 44).
63. Diese Darlegungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken.
7Im Hinblick darauf, dass die Anlasstat bereits dann Symptomwert für den Hang hat, wenn dieser neben anderen Ursachen zu ihr beigetragen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 470/96 Rn. 3, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1 und vom – 3 StR 277/11 Rn. 8; MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 40), liegt es nahe, dass das von der Strafkammer angenommene alkoholbedingte Absinken der Hemmschwelle für die Deliktsbegehung den symptomatischen Zusammenhang zu begründen vermag.
84. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 10 mwN). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. , BGHSt 38, 362; KK-Gericke, StPO, 8. Aufl., § 358 Rn. 23 mwN).
95. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Die Feststellungen können aufrechterhalten bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:100222B1STR396.21.0
Fundstelle(n):
XAAAI-58947