BGH Urteil v. - V ZR 53/14

Beschlussanfechtung im Wohnungseigentumsverfahren: Grenzen der Auslegung von Klageanträgen

Leitsatz

Auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung des Klageantrags - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung unter Einbeziehung der gesamten Klageschrift nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten.

Gesetze: § 46 WoEigG

Instanzenzug: LG München I Az: 1 S 1817/13 WEG Urteilvorgehend Az: 483 C 15927/12 WEG

Tatbestand

1Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Deren Gemeinschaftsordnung sieht vor, dass eine Änderung „um wirksam zu werden, der Zustimmung von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer“ bedarf.

2Die mit der Einladung zu der Eigentümerversammlung vom übersandte Tagesordnung führte unter TOP 4 „Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 incl. Heizkostenabrechnung“ auf und unter TOP 6 „Beschluss über den Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012 (…)“. In der Eigentümerversammlung wurde zu TOP 4 unter Antrag 1 die Genehmigung der Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2011 mehrheitlich beschlossen. Unter der Bezeichnung TOP 4 Antrag 2 wurde noch ein weiterer Beschluss gefasst, mit dem der in der Teilungserklärung vorgesehene Kostenverteilungsschlüssel ab dem Geschäftsjahr 2012 geändert wurde. Die zu TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffen den Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012.

3Gegen die „zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012“ hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Das Amtsgericht hat die zu TOP 6 gefassten Beschlüsse für ungültig erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die auf TOP 4 Antrag 2 beschränkte Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Landgericht hat die Revision „bezüglich der Frage zugelassen, ob das Nichterreichen eines Quorums im Rahmen einer vereinbarten Öffnungsklausel zur Nichtigkeit eines Mehrheitsbeschlusses oder lediglich zu dessen Anfechtbarkeit führt“. Mit der Revision will der Kläger erreichen, dass der zu TOP 4 Antrag 2 gefasste Beschluss für ungültig erklärt wird. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Gründe

I.

4Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZMR 2014, 480 ff. abgedruckt ist, sieht die Anfechtungsfrist im Hinblick auf TOP 4 Antrag 2 nicht als gewahrt an. Die Auslegung der Klageschrift ergebe hinsichtlich TOP 4, dass lediglich ein Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 angefochten werden solle. Dies betreffe nur Antrag 1, nicht aber Antrag 2. Dessen Anfechtung ergebe sich auch nicht daraus, dass die „zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse“ unter Verwendung des Plurals genannt worden seien; zudem sei die Anfechtung inhaltlich auf TOP 4 Antrag 1 beschränkt worden. Dass sie sich auch auf die zu TOP 4 Antrag 2 erfolgte Änderung des Kostenverteilungsschlüssels mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 2012 beziehen solle, lasse sich weder der Klageschrift noch dem beigefügten Einladungsschreiben entnehmen. Zwar habe der Kläger in der Klageschrift mitgeteilt, dass er selbst bei der Versammlung nicht anwesend gewesen sei; dies gebiete es aber nicht, die Klage dahin auszulegen, dass er auch einen ihm gegebenenfalls unbekannten Beschluss anfechten wolle.

5Die Beschlusskompetenz für die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels ergebe sich zwar nicht aus § 16 Abs. 3 und 4 WEG, weil auch eine allgemeine Regelung für Instandhaltungskosten getroffen worden sei. Hieraus folge aber nicht die Nichtigkeit des gefassten Beschlusses, weil die Gemeinschaftsordnung eine Öffnungsklausel enthalte. Werde - wie hier - ein in einer solchen Klausel vorgesehenes Quorum nicht erreicht, führe dies nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des Beschlusses.

II.

61. Die Revision, mit der sich der Kläger gegen die Abweisung der auf TOP 4 Antrag 2 bezogenen Anfechtungsklage wendet, ist zulässig; insbesondere ist das Rechtsmittel insoweit ohne Einschränkung zugelassen. Zwar bezieht sich die von dem Berufungsgericht zur Begründung seiner Zulassungsentscheidung angeführte Rechtsfrage nur auf die Nichtigkeitsklage. Dies ist aber nicht als inhaltliche Beschränkung der Zulassungsentscheidung zu verstehen, die ohnehin unzulässig wäre. Da Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage denselben Streitgegenstand haben (vgl. nur Senat, Urteil vom - V ZR 7/12, NJW 2013, 65 Rn. 8 mwN), kann die Revision nämlich nicht auf die Nachprüfung von Nichtigkeitsgründen begrenzt werden; die Zulassung kann nur auf einen tatsächlich und rechtlich abgrenzbaren Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines Teil- oder Grundurteils sein kann oder auf den der Rechtsmittelkläger selbst sein Rechtsmittel beschränken könnte (, NJW 2009, 2450 Rn. 8 mwN).

72. Die Revision ist auch begründet. Mit Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Berufungsgerichts, er habe hinsichtlich TOP 4 Antrag 2 die Anfechtungsfrist versäumt.

8a) Die Auslegung des Klageantrags unterliegt vollen Umfangs der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Zwar ist die Einhaltung der Klage- und der Begründungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschlussanfechtungsklage; ihre Versäumung führt vielmehr zu einem materiell-rechtlichen Ausschluss von Anfechtungsgründen (Senat, Urteil vom - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 7 ff.). Das ändert aber nichts daran, dass die Klage und ihre Begründung Prozesshandlungen darstellen, deren Auslegung das Revisionsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs uneingeschränkt nachprüfen kann (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 8 mwN).

9b) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Kläger zwecks Wahrung der Klagefrist mitteilen muss, gegen welchen Beschluss aus welcher Eigentümerversammlung er sich wenden will (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 73/09, NJW 2010, 446 Rn. 15), und dass die Auslegung eine Beschränkung auf einzelne Beschlüsse oder abtrennbare Punkte ergeben kann. Aber auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 233/11, ZWE 2013, 47 Rn. 11 f. mwN). Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten (Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 63; missverständlich insoweit Suilmann in Jennißen, WEG, 4. Aufl., § 46 Rn. 85; zum früheren Verfahren nach dem FGG OLG Celle, OLGZ 1989, 183 ff.; OLGR 1994, 195; OLG Frankfurt, OLGR 2005, 80, 81; OLG Zweibrücken, NJW-RR 1995, 397 f.).

10c) Bei umfassender Würdigung des Klageantrags unter Einbeziehung des weiteren Inhalts der Klageschrift erweist sich die Auslegung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft. Der Kläger hat nämlich mitgeteilt, an der Versammlung persönlich nicht teilgenommen und eine Niederschrift noch nicht erhalten zu haben. Da er keine näheren Kenntnisse von den gefassten Beschlüssen hatte und sie folglich nicht genau bezeichnen konnte, ist sein Antrag im Zweifel so zu verstehen, dass er die zu TOP 4 gefassten Beschlüsse (jedenfalls zunächst) umfassend anfechten wollte. Dagegen lässt sich der Klageschrift nicht eindeutig entnehmen, dass seine Anfechtung der „zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012“ nur TOP 4 Antrag 1 betreffen sollte. Eine solche Beschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Zusatz „betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011“, der zwar der Konkretisierung dienen soll, aber lediglich den Wortlaut der vor der Versammlung mitgeteilten und der Klageschrift als Anlage beigefügten Tagesordnung wiedergibt.

11Dies gilt umso mehr, als der Kläger sein Rechtsschutzziel durch die Mitteilung verdeutlicht hat, ihm sei berichtet worden, dass „insbesondere bei der Aufteilung der Wohngelder zu seinem Nachteil von den Vorgaben der Teilungserklärung abgewichen worden“ sei. Diese Begründung konnte zwar auch den zu TOP 4 Antrag 1 gefassten Beschluss betreffen, sofern die Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 mit den Vorgaben der Teilungserklärung nicht im Einklang stand; vornehmlich und offenkundig bezog sie sich jedoch - wie die Revision zu Recht hervorhebt - auf die dauerhafte Änderung des in der Teilungserklärung vorgesehenen Kostenverteilungsschlüssels, die Gegenstand des Beschlusses zu TOP 4 Antrag 2 war und über die der Kläger erklärtermaßen nur vom Hörensagen berichten konnte.

III.

12Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

131. Der geltend gemachte Anfechtungsgrund besteht.

14a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Mehrheit von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer nicht erreicht worden ist, die nach der Gemeinschaftsordnung eine Änderung derselben erlaubt. Aus § 16 Abs. 3 WEG ergibt sich keine Beschlusskompetenz. Diese Norm erlaubt unter näher geregelten Voraussetzungen eine generelle Änderung des gesetzlichen Verteilungsschlüssels gemäß § 16 Abs. 2 WEG durch Mehrheitsbeschluss. Über ihren Wortlaut hinaus gilt sie zwar auch für die Änderung eines - wie hier - durch Vereinbarung festgelegten Verteilungsschlüssels (Senat, Urteil vom - V ZR 202/09, NJW 2010, 2654 Rn. 9 mwN), aber stets nur im Hinblick auf die Betriebskosten des gemeinschaftlichen Eigentums oder des Sondereigentums im Sinne des § 556 Abs. 1 BGB und die Kosten der Verwaltung. Dagegen setzt sich das vereinbarte „Nutzungsentgelt“, dessen Aufbringung der angefochtene Beschluss verändern soll, aus Betriebs- und Instandsetzungskosten zusammen; im Hinblick auf letztere kann die Kostenverteilung nur unter den Voraussetzungen von § 16 Abs. 4 WEG im Einzelfall, nicht aber generell geändert werden.

15b) Der Beschluss kann auch nicht gemäß § 139 BGB, § 16 Abs. 3 WEG beschränkt auf die Betriebskosten aufrechterhalten bleiben. Nach dem hypothetischen Parteiwillen kann schon deshalb nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass der Beschluss auch als Teilregelung beschlossen worden wäre (zu diesem Erfordernis näher Senat, Urteil vom - V ZR 315/13 Rn. 21, juris, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), weil dies zur Folge hätte, dass Betriebs- und Instandhaltungskosten nach unterschiedlichen Verteilungsschlüsseln abzurechnen wären.

162. Einer Klärung der umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage nach der Nichtigkeit eines solchen Beschlusses, die das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus zu Recht zu der Zulassung der Revision veranlasst hat, bedarf es nicht; denn in Fallkonstellationen wie der vorliegenden kann das Gericht den Beschluss ohne weiteres für ungültig erklären (näher Senat, Urteil vom - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307 Rn. 21 f.).

IV.

17Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

Stresemann                        Schmidt-Räntsch                       Roth

                     Brückner                                    Göbel

Fundstelle(n):
QAAAI-24490