BVerwG Beschluss v. - 2 B 25/21

Ruhegehaltfähigkeit einer praktischen Ausbildung als "Bürolehrling"; vorgeschriebene Ausbildung für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst

Gesetze: § 12 Abs 1 S 1 BeamtVG BE, § 12 Abs 1 S 1 Nr 1 BeamtVG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 4 B 4.19 Urteilvorgehend Az: 26 K 47.16 Urteil

Gründe

1Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

21. Die 1950 geborene Klägerin trat am als Beamtin in den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst des beklagten Landes ein. Antragsgemäß entließ der Beklagte die Klägerin daraus mit Ablauf des , um sie tags darauf, am als Beamtin in den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst aufzunehmen. Mit Vollendung des 65. Lebensjahres trat die Klägerin als Stadtoberinspektorin (Besoldungsgruppe A 10) in den Ruhestand.

3Der Versorgungsfestsetzungsbescheid berücksichtigte Dienstzeiten der Klägerin für die Zeit ab dem . Dem widersprach die Klägerin, soweit darin die Zeit ihrer beim beklagten Land von April 1970 bis März 1971 erfolgreich absolvierten Ausbildung als "Bürolehrling" nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit anerkannt worden war. Der Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst die allgemeine Hochschul- oder Fachhochschulreife verlangt worden sei. Eine Verwaltungslehre hätte diese Voraussetzung ersetzen können. Die Bürolehre der Klägerin sei zusammen mit ihrem Vorbereitungsdienst und der Probezeit im mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst auf die ansonsten geforderte Verwaltungslehre angerechnet worden. Die Bürolehre habe weder den Vorbereitungsdienst noch die Probezeit im gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst verkürzt.

4Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, die Versorgungsbezüge der Klägerin unter Berücksichtigung der Zeit vom bis zum festzusetzen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht tragend ausgeführt, bei der Einbeziehung von Vordienstzeiten in der Versorgungsfestsetzung seien allein die Voraussetzungen der Laufbahn des für die Versorgung maßgeblichen letzten Amtes vor dem Eintritt in den Ruhestand nach Maßgabe der zur Zeit der Verbeamtung für diese Laufbahn geltenden Vorschriften zu überprüfen.

52. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde zumisst.

6Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

7Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob eine beim Land Berlin erfolgte Verwaltungslehre als praktische Ausbildung, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem zuletzt bekleideten Amt im Land Berlin steht, bei der Festsetzung der Ruhegehaltsbezüge in Ansatz zu bringen ist, soweit es der Dienstherr verabsäumt hat, eine aufgrund unterbliebener Nachentrichtung von Rentenbeiträgen entstandene Versorgungslücke zu schließen,

ist - soweit sie entscheidungserheblich ist - durch die Rechtsprechung des Senats geklärt.

8Die mögliche Anrechnung von laufbahnrechtlich vorgeschriebenen Ausbildungszeiten als ruhegehaltfähige Vordienstzeit ist in § 12 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG Bln (= § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG) gesetzlich besonders geregelt. Maßgeblich ist die Rechtslage, die bei Eintritt des Versorgungsfalls gilt, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas anderes regeln ( 2 C 22.10 - Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 20 Rn. 8 und vom - 2 C 9.20 - BVerwGE 169, 293 Rn. 8).

9Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Frage, ob eine Vorausbildungszeit bei der Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit nach § 12 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG Bln (= § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG) berücksichtigt werden kann, entscheidend, dass sich diese Ausbildung als ein laufbahnrechtlich vorgeschriebener Teil einer besonderen Ausbildung darstellt, die in bestimmter Weise auf die Erlangung der Fähigkeit für die Ernennung als Beamter der angestrebten Laufbahn ausgerichtet ist (vgl. 6 C 72.67 - Buchholz 235 § 6 BBesG Nr. 10 S. 15 ff.; vom - 6 C 4.70 - BVerwGE 41, 89 <93> und vom - 2 C 28.95 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 11 S. 4; ebenso Nabizad in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG des Bundes und der Länder, 9. Update, Stand August 2021, § 12 BeamtVG Rn. 124). Welche Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG Bln vorgeschrieben ist und ob sie eine in erster Linie geforderte allgemeine Schulbildung mit der Folge ersetzt, dass sie nach § 12 Abs. 1 Satz 2 LBeamtVG Bln nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden kann, bestimmt sich nach den laufbahnrechtlichen Regelungen zur Zeit der Ableistung der jeweiligen Ausbildung (BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 103.11 - juris Rn. 11, vom - 2 B 90.13 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 22 Rn. 7 und vom - 2 B 34.18 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 24 Rn. 11).

10Für die Berücksichtigung einer Ausbildungszeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit kommt es danach darauf an, dass diese Zeit für die Berufung in das Beamtenverhältnis, aus dem der Beamte in den Ruhestand getreten ist, erforderlich gewesen ist oder notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung eines von ihm in diesem Beamtenverhältnis übertragenen Amtes war ( 6 C 4.70 - BVerwGE 41, 89 <93>). Es muss sich bei dieser Zeit im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG Bln um eine "vorgeschriebene" und nicht nur um eine "förderliche" Ausbildung handeln.

11Förderlich ist eine Ausbildung oder Tätigkeit, wenn sie für die Amtsausübung nützlich ist ( 2 B 103.11 - juris Rn. 11). Der spätere Beamte hat in diesem Fall die förderliche praktische Ausbildung nicht deshalb durchlaufen oder ausgeübt, weil diese zum Zeitpunkt der Ausübung für die Einstellung in die Laufbahn vorgeschrieben war. Anlass für diese Ausbildung oder hauptberufliche Tätigkeit war nicht das Bestreben, eine Laufbahnvoraussetzung zu erfüllen. Dieser Umstand ist vielmehr allein dem Entscheidungsbereich des späteren Beamtenbewerbers zuzuschreiben ( 2 B 40.18 - Buchholz 239.2 LandesBeamtVR Nr. 1 Rn. 12).

12Vorgeschrieben ist eine Ausbildung hingegen, wenn sie auf Grund von Rechtsvorschriften zur Übertragung des ersten statusrechtlichen Amtes erforderlich ist. Bei der vorgeschriebenen Ausbildung muss es sich um eine allgemeine normative Einstellungsvoraussetzung handeln, die der Bewerber erfüllen muss, um in das Beamtenverhältnis übernommen zu werden. Es genügt nicht, dass das Anforderungsprofil einer Stelle im Einzelfall bestimmte Ausbildungsvoraussetzungen verlangt ( 2 C 18.06 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 16 Rn. 22 und Beschlüsse vom - 2 B 25.12 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 21 Rn. 10 und vom - 2 B 34.18 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 24 Rn. 11 m.w.N.).

13Soweit die Beschwerde dem entgegenhält, die besonderen Regelungen über den Ruhegehaltssatz für bereits am vorhandene Beamte in § 85 Abs. 9 und Abs. 10 LBeamtVG Bln stünden dem entgegen, überzeugt dies nicht. Denn diese Bestimmungen betreffen allein Ruhestandsbeamte, bei denen mehrere öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem am bestehenden öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis vorangegangen sind (Abs. 9). Einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI gleich (Abs. 10). Das alles ist bei einer Beamtin - wie der Klägerin - nicht der Fall, die eine Berufsausbildung - hier nach der Feststellung des Berufungsgerichts als "Bürolehrling" - absolviert hat. Denn ein Ausbildungsverhältnis ist ebenso wenig Arbeitsverhältnis (vgl. 2 B 36.18 - Buchholz 239.1 § 10 BeamtVG Nr. 19 Rn. 9 zu § 10 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG) wie ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis im Sinne von § 85 Abs. 9, Abs. 10 LBeamtVG Bln.

14Darüber hinaus und unabhängig vom Vorstehenden, steht die praktische Ausbildung der Klägerin als "Bürolehrling" - anders als die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage dies formuliert - auch nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem von ihr zuletzt bekleideten Amt als Stadtoberinspektorin. Denn - wie gezeigt - war diese praktische Ausbildung keine laufbahnrechtlich vorgeschriebene Ausbildung für die Einstellung der Klägerin in den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst.

153. Die von der Beschwerde geltend gemachte Divergenz liegt ebenfalls nicht vor.

16Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). Die Divergenzrevision dient dem Anliegen, die Einheitlichkeit der Verwaltungsrechtsprechung in der Auslegung einer bestimmten Gesetzesvorschrift zu sichern und damit Rechtssicherheit auch im Einzelfall zu gewährleisten. Bezugspunkt ist daher nicht allein der Wortlaut einer Bestimmung. "Abweichungen" beziehen sich vielmehr nur auf die Rechtsprechung zu demselben Gesetz ( 2 B 148.11 - juris Rn. 4).

17Das Berufungsurteil weicht nicht von dem mit der Beschwerde in Bezug genommenen Urteil des Senats vom - 2 C 9.08 - (Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 17) ab. Denn auch in dem zitierten Urteil stellt der Senat für Ausbildungszeiten im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG darauf ab, dass es sich um vorgeschriebene Zeiten handeln muss, die der Beamte zu durchlaufen hat, um die besondere laufbahngemäße Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis zu erwerben ( 2 C 9.08 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 17 Rn. 15 f.).

184. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:131221B2B25.21.0

Fundstelle(n):
ZAAAI-04042