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Hessisches Finanzgericht  Beschluss v. - 4 V 723/20 EFG 2021 S. 1400 Nr. 16

Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4; EStG § 44 Abs. 1 S. 3; EStG § 44 Abs. 5; EStG § 45 a Abs. 7; EStG § 36 Abs. 2; AO § 130 Abs. 2 Nr. 3; AO § 130 Abs. 2 Nr. 4

Rückforderung von Kapitalertragssteuer bei Cum/ex-Aktiengeschäften

Leitsatz

  1. Die Kapitalertragssteuerbescheinigung bietet keinen Vollbeweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer. Sie ist lediglich ein unverzichtbares zusätzliches Nachweismittel für Zwecke der Veranlagung, um eine praktikable und rechtssichere Durchführung der Kapitalertragssteueranrechnung zu ermöglichen.

  2. Liegen Indizien vor, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass die erworbenen Aktien aus einem Leerverkauf stammen und von einer ausländischen Depotbank bezogen wurden, greift der Anscheinsbeweis der Steuerbescheinigung für die Erhebung der Kapitalertragssteuer nicht ein.

  3. Bei sog. Back-to-Back-Geschäften, bei denen der Broker als Aktienverkäufer im Interesse einer risikolosen Position nahezu zeitgleich als Käufer von Aktien der einen Partei und als Verkäufer gegenüber der anderen Partei auftritt, führt die Verrechnung von Ansprüchen auf Basis der schuldrechtlichen Verträge („matchen”) in dem Fall, in dem sich der Broker mit Aktien eindeckt, die von einer Depotbank im Ausland geliefert werden, regelmäßig dazu, dass einmal zu wenig Kapitalertragsteuer erhoben wird. In diesen Fällen besteht kein Anscheinsbeweis zu Gunsten der Erhebung von Kapitalertragsteuer aufgrund der Auszahlung der Nettodividende an die Depotbank des Aktienkäufers.

  4. Bei dem „Matchen” des Einkaufs- mit dem Verkaufsgeschäft handelt es sich nur um eine praktikable Technik zur risikolosen Abwicklung der Aktiengeschäfte. Rechtlich verbleibt es jedoch bei 2 getrennten Geschäften, die auch hinsichtlich ihrer steuerrechtlichen Auswirkungen getrennt zu betrachten sind.

  5. Zum Bestehen der Verpflichtung zur Abführung der Kapitalertragsteuer durch die inländische Depotbank des Verkäufers reicht die bloße Abwicklung des Veräußerungsgeschäfts aus, ohne dass das den Kaufauftrag ausführende Kreditinstitut in das Zustandekommen des Veräußerungsgeschäfts eingebunden gewesen sein muss.

  6. Ist bei Aktienkäufen das die Dividendenkompensationszahlung auszahlende Kreditinstitute nicht gleichzeitig das Institut, das die dinglichen Erfüllung durch Übertragung der Aktien vornimmt (Depotbank), ist - ausgehend vom Wortlaut der Norm und der Identität der Kapitalertragsteuer als Abzugssteuer - das auszahlende inländische Kreditinstitut zum Einbehalt der Kapitalertragsteuer verpflichtet.

  7. Werden die gekauften Aktien nahezu zeitgleich über Futures oder Calloptionen an die ursprünglichen Aktienverkäufer zurück verkauft, lässt ein Verlust bei einer Differenzbetrachtung dieser Geschäfte durch Gegenüberstellung der ursprünglichen Verkaufspreise mit den Rückkaufspreisen über die Futures bzw. die Calloptionen zuzüglich der Nettodividende darauf schließen, dass keine Kapitalertragssteuer erhoben wurde.

  8. Werden die Aktien bei Cum/ex-Geschäften zwischen der ausländischen Lagerstelle des Aktienleerverkäufers im internen Verfahren „free of payment” auf dessen inländische Lagerstelle und von dort auf das Depotkonto des Aktienkäufers übertragen, ist dies bei sog. Back-to-Back-Geschäften eines zwischengeschalteten Brokers ein Indiz für eine Verrechnung mit Eindeckungsgeschäften im Ausland, bei denen keine Kapitalertragssteuer erhoben wurde.

  9. Ein Dividendenlevel von 87% - 90 % ist in der Praxis wirtschaftlich für die Vertragsparteien der Aktiengeschäfte nur erreichbar, wenn es sich um Cum/ex-Geschäfte handelt, bei denen die nicht erhobene Kapitalertragssteuer auf die Dividendenkompensationszahlung als zwischen den Vertragsparteien der Aktiengeschäfte zu verteilende Ertragsmasse mit eingepreist wird.

  10. Eine über die marktübliche Rendite bei Arbitragegeschäften von 2-3% deutlich hinausgehende Handelsmarge weist regelmäßig auf Cum/ex-Geschäften hin, bei denen die nicht erhobene Kapitalertragssteuer zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt wird.

  11. Dies ist in Aktienhändler- und Börsenkreisen bekannt und lässt auf eine Preisabsprache zwischen den Parteien der Aktiengeschäfte zur Aufteilung des Gewinnpotentials in Höhe der nicht erhobenen Kapitalertragssteuer schließen.

  12. Die Finanzbehörde kann im Veranlagungsverfahren nicht mehr auf die vorrangige Inanspruchnahme des den Kaufauftrag ausführenden Kreditinstituts als möglichen Haftungsschuldners nach § 44 Abs. 5 EStG zur Entrichtung der Kapitalertragssteuer verwiesen werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2022 S. 6 Nr. 13
DStRE 2022 S. 462 Nr. 8
DStZ 2021 S. 649 Nr. 16
EFG 2021 S. 1400 Nr. 16
NWB-EV 2021 S. 246 Nr. 7
StB 2021 S. 265 Nr. 9
EAAAH-81048

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Hessisches Finanzgericht , Beschluss v. 06.04.2021 - 4 V 723/20

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