BGH Beschluss v. - StB 9/21

Pflichtverteidigerwechsel: Störung des Vertrauensverhältnisses auf Grund mangelnder Kontaktaufnahme zum inhaftierten Beschuldigten

Gesetze: § 140 StPO, § 143a Abs 2 S 1 Nr 3 Alt 1 StPO

Gründe

I.

1Das Oberlandesgericht Düsseldorf führt gegen die Angeklagte ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in mehreren Fällen, teils in Tateinheit mit weiteren Delikten. Die Angeklagte hat beantragt, die Bestellung ihrer Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin G.       aufzuheben und ihr als neuen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt K.    zu bestellen, da sie kein Vertrauen zu ihrer Pflichtverteidigerin habe. Den Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Beschwerde. Diese begründet sie damit, dass die Pflichtverteidigerin die Anklageschrift nicht mit ihr besprochen sowie sie lediglich drei Mal in der Untersuchungshaft besucht habe und daher das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört sei.

II.

2Das als sofortige Beschwerde nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO auszulegende, zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt.

3Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung liegen nicht vor, wie vom insoweit zuständigen Vorsitzenden des Oberlandesgerichts (vgl. , NStZ 2021, 60 Rn. 3) zutreffend angenommen. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Pflichtverteidigerin und der Angeklagten endgültig im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zerstört, noch besteht ein sonstiger Grund, die Verteidigerbestellung aufzuheben.

4a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. , NStZ 2021, 60 Rn. 6 f. mwN). Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. etwa III-1 Ws 290/10, NStZ-RR 2011, 48; OLG Braunschweig, Beschluss vom - Ws 268/12, StV 2012, 719; HansOLG Hamburg, Beschluss vom - 2 Ws 195/72, MDR 1972, 799; weitergehend für eine Jugendliche , StraFo 2007, 157). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom - Vf. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (s. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 251/08, NStZ 2009, 465; vom - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84 mwN).

5Daran gemessen ist nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Nach dem Vorbringen der Angeklagten hat die Pflichtverteidigerin sie nach der Festnahme am bis zum drei Mal - im August, September und Dezember 2020 - in der Untersuchungshaft besucht. Hinzu kommt, dass die Angeklagte selbst keinen weitergehenden Kontakt zu ihrer Verteidigerin aufgenommen oder einen solchen erbeten hat. Dass die Verteidigerin nach Zustellung der Anklageschrift im Januar 2021 nicht sofort von sich aus das Gespräch mit der Angeklagten gesucht hat, führt nach den konkreten Umständen zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen entspricht die Anklageschrift im Wesentlichen dem im Haftbefehl ausgeführten Tatvorwurf (vgl. , juris Rn. 2). Zum anderen hat die Angeklagte unabhängig davon bereits im Januar 2021 bei Gericht um einen Pflichtverteidigerwechsel gebeten. Soweit sie im Folgenden erklärt hat, keine Besuche mehr durch ihre Pflichtverteidigerin zu wünschen, kann sie deren Austausch hierdurch nicht einseitig erzwingen (s. allgemein , juris Rn. 16 mwN). Im Übrigen berührt es das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und der Pflichtverteidigerin nicht, dass ein weiterer Verteidiger mit dieser zusammen eine Verteidigung für "unmöglich" hält.

6b) Ein Pflichtverteidigerwechsel aus einem anderen Grund kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insbesondere sind die Voraussetzungen für einen "konsensualen" Pflichtverteidigerwechsel nicht ersichtlich (vgl. dazu BT-Drucks. 19/13829 S. 47, 49; , juris Rn. 7), zumal die Angeklagte selbst nun nicht mehr, wie ursprünglich beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt K.   , sondern vorrangig von Rechtsanwalt M.    begehrt.

7c) Schließlich ist das ergänzende Vorbringen der Beschwerdeführerin zu der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO für die hier zu entscheidende Frage des Verteidigerwechsels nach § 143a StPO ohne Belang, da letztere allein Gegenstand des angefochtenen Beschlusses und der Prüfung im vorliegenden Rechtsmittelverfahren ist (vgl. zur Maßgeblichkeit des beschiedenen Antrags Rn. 11).

Spaniol                    Wimmer                   Anstötz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:240321BSTB9.21.0

Fundstelle(n):
OAAAH-80936