Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Vorliegen eines Hangs zum übermäßigen Rauschmittelgenuss
Gesetze: § 64 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
Instanzenzug: LG Mannheim Az: 804 Js 22018/19 - 5 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe (Butterflymesser), Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.
2Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
41. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5a) Der - mehrfach, auch wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestrafte - Angeklagte konsumierte erstmals mit 13 Jahren Cannabis. Im Alter von 16 oder 17 Jahren begann er mit einem regelmäßigen, jedoch nicht täglichen Konsum von Cannabis. Von 2001 bis 2006 nahm er täglich ein bis drei Gramm Cannabis und zudem gelegentlich an Wochenenden ein Gramm Amphetamin und zwei Ecstasy-Tabletten zu sich, ab 2004 überdies Kokain. Während seiner Inhaftierung von 2006 bis 2008 konsumierte er keine Drogen und absolvierte von Januar bis Oktober 2008 erfolgreich eine Drogentherapie. Danach war er für einige Jahre abstinent. Im Jahr 2013 begann der Angeklagte erneut mit einem regelmäßigen Cannabis-Konsum von etwa ein bis zwei Gramm täglich und mit dem vereinzelten Konsum von Amphetamin und Ecstasy an Wochenenden. In Zeiten, in denen der Angeklagte arbeitete, beschränkte er den Cannabis-Konsum auf morgens und abends. Wenn Drogentests aufgrund einer entsprechenden Bewährungsauflage anstanden, stellte er seinen Cannabis-Konsum - teilweise auch für mehrere Monate ein - zuletzt zum Jahreswechsel 2018/2019. Danach setzte er seinen Konsum wie zuvor fort, wobei es nicht zu einer Steigerung der Konsummengen kam.
6Das Landgericht hat hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten festgestellt, dass diese vorrangig der Finanzierung des Lebensunterhalts des Angeklagten, daneben aber auch dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum bzw. der Finanzierung des Konsums dienen sollten.
7b) Die Strafkammer geht - gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen - davon aus, dass bei dem Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei. Es bestehe zwar ein schädlicher Gebrauch von Cannabinoiden sowie Missbrauch von Amphetamin, jedoch kein Abhängigkeitssyndrom. Zwar komme auch bei Beschaffungskriminalität die Annahme eines Hangs in Betracht, dagegen spreche aber, dass der Handel mit Betäubungsmitteln vordringlich der Aufstockung bzw. der Deckung des Lebensunterhalts gedient habe, der Finanzierung des über Jahre hinweg konstanten Cannabiskonsums hingegen eine deutlich untergeordnete Rolle zugekommen sei.
82. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
9a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse - 2 StR 93/19 Rn. 9 und vom - 1 StR 415/15 Rn. 7; Urteil vom - 3 StR 386/13 Rn. 10). Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 93/19 Rn. 9; vom - 1 StR 348/17 Rn. 10 und vom - 3 StR 421/11 Rn. 9; Urteil vom - 2 StR 329/04 Rn. 10). Die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, steht dem Vorliegen eines Hanges nicht entgegen (vgl. Rn. 9; Urteil vom - 3 StR 386/13 Rn. 10 mwN).
10b) Bereits der jahrelange tägliche Konsum von etwa ein bis zwei Gramm Cannabis legt die Annahme eines beim Angeklagten bestehenden Hangs nahe. Auch wenn der Angeklagte - wie das Landgericht festgestellt hat - trotz Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die Versorgung seines Hundes und den von ihm ausgeübten Kraftsport einen geregelten Tagesablauf hatte und den Konsum teilweise eingestellt hat, kann im Hinblick darauf, dass die verfahrensgegenständlichen Taten auch dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum bzw. dessen Finanzierung dienten, die Ursächlichkeit des jahrelangen Missbrauchs von Cannabis für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten nicht verneint werden. Soweit das Landgericht argumentiert, dass, wenn man jede mit der Beschaffung von Betäubungsmitteln einhergehende Delinquenz zur Begründung einer sozialen Gefahr oder Gefährdung ausreichen ließe, dies darauf hinausliefe, praktisch jeden mit der Begehung von Straftaten einhergehenden Betäubungsmittelkonsum als übermäßig anzusehen (UA S. 31), überzeugt dies nicht. Denn maßgeblich ist hier nicht die einmalige Begehung einer Betäubungsmittelstraftat, die auch zum Eigenkonsum dient, sondern der langjährige Missbrauch von Cannabis, den der Angeklagte seit 2001 - unterbrochen von seiner Inhaftierung und einer abstinenten Phase nach einer Drogentherapie - betreibt.
114. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 10 mwN).
125. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Die Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:160620B1STR155.20.0
Fundstelle(n):
SAAAH-80174