BVerwG Urteil v. - 2 C 22/19

Ruhen von Versorgungsbezügen wegen Gewinnausschüttung an mitarbeitenden Gesellschafter

Leitsatz

1. Arbeitet der Versorgungsberechtigte vor Erreichen der Regelaltersgrenze in einer Gesellschaft, an der er auch als Gesellschafter beteiligt ist, und erhält er Zahlungen von der Gesellschaft, die einkommensteuerrechtlich teilweise als Arbeitseinkünfte und teilweise als Kapitaleinkünfte behandelt werden, kann die Versorgungsbehörde grundsätzlich von den steuerrechtlichen Einordnungen ausgehen.

2. Liegt allerdings wie etwa im Fall unangemessen niedriger, eher symbolischer Gehaltszahlungen einerseits und hoher Kapitalleistungen andererseits eine verdeckte Gehaltszahlung vor, sind dem Kapitaleigner zufließende Zuwendungen versorgungsrechtlich als Arbeitseinkünfte anzusehen (sog. Missbrauchsgrenze, vgl. § 42 AO).

3. Wenn die Versorgungsbehörde in anderen Fällen meint, hinreichende objektive Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass vom Finanzamt als Kapitaleinkünfte eingeordnete Zahlungen als Einkünfte aus Arbeit anzusehen sind, und deshalb einen Ruhenstatbestand nach § 53 Abs. 1 BeamtVG annimmt, bedarf es hierfür einer wertenden Zuordnung der aus der Gesellschaft zufließenden Zahlungen im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Art, Umfang und Bedeutung des Arbeitseinsatzes des Versorgungsberechtigten in der Gesellschaft und einer entsprechenden Sachaufklärung.

Gesetze: § 157 Abs 2 AO, § 42 AO, § 57 BeamtVG HE 2013, § 69 BeamtVG HE 2013, § 70 BeamtVG HE 2013, § 53 BeamtVG, § 19 EStG, Art 33 Abs 5 GG

Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 1 A 1564/18 Beschlussvorgehend Az: 1 K 602/15.KS Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin wendet sich gegen die nachträgliche Berücksichtigung von Einkünften bei ihren Versorgungsbezügen.

2Die 1964 geborene Klägerin ist die Witwe eines im Jahr 2000 verstorbenen Beamten des beklagten Landes Hessen. Sie erhält seitdem eine Hinterbliebenenversorgung. Im Jahr 2009 errichtete die Klägerin gemeinsam mit einem Mitgesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, an der sie einen Geschäftsanteil von 50 v.H. des Stammkapitals übernahm. Nach dem Gesellschaftervertrag sind ausschüttungsfähige Gewinne, "wenn es die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft erlaubt, an die Gesellschafter auszuschütten, es sei denn, es erfolgt eine abweichende Beschlussfassung der Gesellschafter".

3Die Klägerin war eine von zwei Geschäftsführern der Gesellschaft. Sie erhielt hierfür im Jahr 2013 eine Vergütung in Höhe von 4 000 € monatlich. Außerdem wurde der Klägerin von dem durch die Gesellschaft erzielten Gewinn im Jahr 2013 ein Betrag in Höhe von 2 500 € ausgezahlt. Das Finanzamt berücksichtigte diese Zahlung im Bescheid für das Jahr 2013 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag der Klägerin als Kapitalertrag.

4Nachdem die Versorgungsbehörde Kenntnis von dieser Zahlung erhalten hatte, setzte sie mit Bescheid vom die Versorgungsbezüge für das Jahr 2013 nach Vornahme einer Ruhensberechnung neu fest, forderte eine Überzahlung von 521,88 € zurück und erklärte insoweit die Aufrechnung mit den laufenden Versorgungsbezügen der Klägerin.

5Die hiergegen erhobene Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolgreich gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Beschluss gemäß § 130a Satz 1 VwGO die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Er hat insbesondere ausgeführt: Versorgungsrechtlich könne hier auf die Regelungen des Einkommensteuergesetzes zurückgegriffen werden und die vom Finanzamt vorgenommene Einordnung zugrunde gelegt werden, weil keine Strukturprinzipien des Versorgungsrechts entgegenstünden. Dies sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin neben ihrer Gesellschafterstellung auch (Mit-)Geschäftsführerin der Gewinn ausschüttenden Gesellschaft sei. Geboten sei eine differenzierende Betrachtung. Danach bedürfe es in jedem konkreten Einzelfall der Feststellung, ob die Gewinnausschüttung auf dem Kapitaleinsatz beruhe oder Gegenleistung für geleistete Arbeit sei. Der vorzeitig in den Ruhestand versetzte Beamte müsse die Anrechnung desjenigen Einkommens auf das Ruhegehalt hinnehmen, das er im Ruhestand durch den Einsatz seiner Arbeitskraft erziele, der durch den Wegfall seiner Dienstleistungspflicht vor Erreichen der allgemeinen gesetzlichen Altersgrenze ermöglicht werde. Dagegen scheide im Hinblick auf den Alimentationsgrundsatz eine Anrechnung desjenigen Einkommens aus, das nicht das Ergebnis der vorzeitig anderweitig einsetzbaren Arbeitskraft des Ruhestandsbeamten, sondern Ertrag seines privaten Vermögens sei. Die Gewinnausschüttung sei hier nicht Gegenleistung für geleistete Arbeit, sondern beruhe allein auf dem Kapitaleinsatz der Klägerin. Dem Gesellschaftervertrag lasse sich nichts dazu entnehmen, dass die Ausschüttung in irgendeiner Weise durch den Einsatz der Arbeitskraft bestimmt sein solle. Dass die Gewinnausschüttung faktisch auch vom Einsatz der Arbeitskraft der Klägerin abhängen möge, mache sie nicht zur Gegenleistung für den Einsatz von Arbeitskraft. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts dadurch, dass durch eine entsprechende Vertragsgestaltung - etwa der Zahlung eines bloß symbolischen Geschäftsführergehalts und demgegenüber großzügigen Gewinnausschüttungsregelungen - die Umgehung der Anrechnungsregelungen angestrebt werden könne. Denn derartige missbräuchliche Vertragsgestaltungen hinderten die Anwendung der Anrechnungsvorschriften nicht. Für eine solche missbräuchliche Vertragsgestaltung lägen hier keine Anhaltspunkte vor.

6Das beklagte Land hat die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt und beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Gründe

8Die Revision des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist mit der Maßgabe begründet, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs wegen der Verletzung revisiblen Rechts, nämlich § 53 BeamtVG, nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist.

91. Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist hinsichtlich des Ruhens der Versorgungsbezüge § 53 BeamtVG in der bis zum geltenden Fassung (vom , BGBl. I S. 3926) und hinsichtlich der Rückforderung und Aufrechnung §§ 70 und 69 Hessisches Beamtenversorgungsgesetz - HBeamtVG - in der Fassung vom (GVBl. S. 218).

10a) Bei Ruhensbescheiden handelt es sich um feststellende Verwaltungsakte mit sich jeweils monatlich neu aktualisierender Wirkung, für die die im jeweiligen Monat geltende Sach- und Rechtslage maßgeblich ist. Dies folgt bereits daraus, dass das Ruhen kraft Gesetzes eintritt und Ruhensbescheide zwar zulässig, aber nicht erforderlich sind. Im Umfang des durch das Gesetz bestimmten Ruhens hat ein solcher Verwaltungsakt deshalb lediglich deklaratorische Bedeutung. Diese Feststellung des Dienstherrn ändert nichts daran, dass sich die gesetzmäßige Höhe des Ruhensbetrags in jedem Monat aus dem in diesem Monat geltenden Recht und den jeweils vorliegenden Tatsachen ergibt (stRspr, vgl. zuletzt: 2 C 1.19 - LS 1 und Rn. 16 m.w.N., zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt).

11Bezugspunkt der Versorgungsbezüge ist das im Zahlungsmonat geltende Recht (vgl. § 49 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 3 Abs. 4 BBesG). Deshalb kommt es bei Versorgungsleistungen in aller Regel auf die Sach- und Rechtslage in diesem Zeitraum an. Maßgeblich ist das im Zeitpunkt der zufließenden Einkünfte - hier im Jahr 2013 - geltende Versorgungsrecht, sofern dieses nicht in einer Übergangsregelung ein früheres Recht für maßgeblich erklärt oder eine Günstiger-Regelung enthält und sofern nicht späteres Recht in einer Übergangsregelung sich - als günstigeres Recht - für maßgeblich erklärt oder eine Günstiger-Regelung enthält.

12In Hessen umfasste das Erste Gesetz zur Modernisierung des Dienstrechts in Hessen (1. DRModG) vom (GVBl. 410) in seinem Artikel 3 das Gesetz zur Überleitung des Beamtenversorgungsgesetzes. Nach dessen § 1 galt das Beamtenversorgungsgesetz (des Bundes) in der am geltenden Fassung - mit bestimmten, hier nicht interessierenden Ausnahmen - als Landesrecht fort. Das solchermaßen in das Landesrecht übergeleitete Beamtenversorgungsgesetz wurde durch Artikel 4 des 1. DRModG geändert. Es erhielt die Überschrift "Hessisches Beamtenversorgungsgesetz (HBeamtVG)" und auch eine neue Fassung des § 53, der das Zusammentreffen von Versorgungsbezügen mit Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen regelt. Dieses Artikelgesetz trat am in Kraft (Art. 13). Die somit ab geltende (Neu-)Fassung des Hessischen Beamtenversorgungsgesetzes wurde am bekannt gemacht (GVBl. S. 98). § 69e HBeamtVG 2011 (Übergangsregelungen aus Anlass des Versorgungsänderungsgesetzes 2001) bestimmt in seinem Absatz 1, dass die Rechtsverhältnisse der am vorhandenen Versorgungsempfänger sich nach dem bis zum geltenden Recht mit bestimmten - hier nicht einschlägigen - Maßgaben regeln. Da zu den am vorhandenen Versorgungsempfängern auch die Klägerin gehört, ist § 53 BeamtVG (des Bundes) in der bis zum geltenden Fassung (vom , BGBl. I S. 3926) die maßgebliche Rechtsgrundlage dafür, ob der Klägerin im Jahr 2013 zugeflossene Versorgungsbezüge wegen anderweitiger Einkünfte teilweise kraft Gesetzes ruhen.

13b) Für die Rückforderung und Aufrechnung ist das im Zeitpunkt der Rückforderung und Aufrechnung geltende Recht heranzuziehen; zu diesem Zeitpunkt müssen die Voraussetzungen für Rückforderung und Aufrechnung vorliegen. Das sind im hier maßgeblichen Jahr 2015 die §§ 70 und 69 Hessisches Beamtenversorgungsgesetz - HBeamtVG - in der Fassung vom (GVBl. S. 218).

142. § 53 BeamtVG i.d.F. vom (BGBl. I S. 3926; im Folgenden BeamtVG 2001), der am galt, regelt - ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich mit den nachfolgenden Fassungen des Beamtenversorgungsgesetzes und den entsprechenden Regelungen in den Versorgungsgesetzen der Länder - das Zusammentreffen von Versorgungsbezügen mit Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen. Nach § 53 Abs. 1 BeamtVG 2001 erhält ein Versorgungsberechtigter seine Versorgungsbezüge nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze, wenn er Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen (Abs. 7) bezieht. Erwerbseinkommen sind nach § 53 Abs. 7 BeamtVG 2001 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, aus selbstständiger Arbeit sowie aus Gewerbebetrieb und aus Land- und Forstwirtschaft.

15a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hierbei von folgenden Grundsätzen auszugehen:

16Der Gesetzgeber des § 53 BeamtVG knüpft bei der Ruhensregelung für Versorgungsbezüge, deren Empfänger daneben auch Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen erhält, hinsichtlich der als Erwerbseinkommen bezeichneten Einkünfte an die Begrifflichkeiten des Einkommensteuergesetzes an. Der Einkünftebegriff des Versorgungsrechts ist deshalb grundsätzlich mit dem Einkünftebegriff des Einkommensteuerrechts identisch. Anderes gilt dann, wenn Strukturprinzipien des Versorgungsrechts dem entgegenstehen. Zulasten des Versorgungsempfängers kann sich insbesondere der Grundsatz des Vorteilsausgleichs auswirken, der der Ruhensregelung des § 53 BeamtVG zugrunde liegt (stRspr, vgl. 2 C 8.10 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 21 Rn. 12 f., vom - 2 C 31.10 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 22 Rn. 12 f., vom - 2 C 18.10 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 1 Rn. 13 f., vom - 2 C 58.11 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 25 Rn. 12 und vom - 2 C 17.12 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 27 Rn. 11; Beschluss vom - 2 B 72.14 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 29 Rn. 9 ff.).

17Die grundsätzliche Anknüpfung an die Begrifflichkeiten des Einkommensteuerrechts gilt insbesondere für den Begriff der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit: Der Begriff der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in § 53 BeamtVG verweist auf § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -, der diesen Begriff inhaltlich konkretisiert. Danach handelt es sich bei Gehältern, Löhnen, Gratifikationen, Tantiemen und anderen Bezügen und Vorteilen für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst um Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Begriff des Vorteils bringt zum Ausdruck, dass sämtliche vermögenswerten Leistungen des Arbeitgebers erfasst werden sollen, die Arbeitnehmer aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses als Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung erhalten ( 2 C 8.10 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 21 Rn. 11 und vom - 2 C 18.10 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 1 Rn. 13 f.).

18Dementsprechend sind Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich kein Ruhenstatbestand: Der Gesetzgeber hat in § 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG lediglich die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 EStG, nicht aber Einkünfte aus Kapitalvermögen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 bis 7 EStG) genannt. Auch dies ist Ausdruck des den § 53 BeamtVG prägenden Gedankens des Vorteilsausgleichs. Der Gesetzgeber ist danach berechtigt, die Anrechnung desjenigen Einkommens auf die grundsätzlich ohne Rücksicht auf das Vermögen und sonstiges Einkommen des Beamten zu zahlende Alimentation anzuordnen, das ein Ruhestandsbeamter nur deshalb durch den Einsatz seiner Arbeitskraft erzielen kann, weil seine Dienstleistungspflicht vorzeitig weggefallen ist ( 2 C 26.07 - BVerwGE 133, 25 Rn. 10 f. m.w.N.). Ist das Einkommen aber nicht das Ergebnis der vorzeitig anderweitig einsetzbaren Arbeitskraft des Ruhestandsbeamten, sondern wie bei Einkünften aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung bloßer Ertrag seines privaten Vermögens, scheidet eine Anrechnung aus. Auch während des aktiven Dienstes darf der Beamte sein privates Vermögen ohne Weiteres, auch ohne eine Nebentätigkeitsgenehmigung, verwalten (vgl. 2 C 31.10 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 22 Rn. 12 f.; ausführlich zum Grundsatz des Vorteilsausgleichs: - BVerfGK 13, 35 <42, 44 ff.> und 2 C 58.11 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 25 Rn. 22 f.; vgl. auch 2 B 72.14 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 29 Rn. 9 f.).

19Allerdings ist die rechtliche Einordnung der Einkünfte im Einkommensteuerbescheid für die versorgungsrechtliche Betrachtung nicht bindend: Aus § 157 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) - wonach die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen einen mit Rechtsbehelfen nicht selbstständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids bildet, soweit die Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festgestellt werden - folgt, dass lediglich die festgesetzte Steuer, nicht aber die Besteuerungsgrundlagen in Bestandskraft erwachsen. Danach sind Behörden und Gerichte nicht an die Angaben im Bescheid über die Einkommensteuer über die Höhe der Einkünfte aus den verschiedenen Einkunftsarten i.S.v. § 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG und § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 EStG gebunden. Sie können bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte aber als Indiz herangezogen werden ( 2 C 58.11 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 25 Rn. 12).

20b) Arbeitet der Versorgungsberechtigte vor Erreichen der Regelaltersgrenze oder - wie hier - der hinterbliebene Ehegatte eines vor Erreichen der Regelaltersgrenze verstorbenen Beamten (zur versorgungsrechtlichen Gleichstellung vgl. - BVerfGK 13, 35 <42, 46>) in einer Gesellschaft, an der er auch als Gesellschafter beteiligt ist, und erhält er Zahlungen von der Gesellschaft, die einkommensteuerrechtlich teilweise als Arbeitseinkünfte und teilweise als Kapitaleinkünfte behandelt werden, gilt hinsichtlich der versorgungsrechtlichen Einordnung der steuerrechtlich als Kapitaleinkünfte eingeordneten Einkünfte Folgendes:

21aa) Grundsätzlich kann die Versorgungsbehörde von den getroffenen steuerrechtlichen Einordnungen ausgehen. Dafür spricht, dass die steuerrechtliche Einordnung der einem Gesellschafter zufließenden Zahlungen als Arbeits- oder Kapitaleinkünfte in der Regel zu einer unterschiedlichen Besteuerung führt (Abgeltungssteuer für Kapitalerträge einerseits, persönlicher Steuersatz für die Einkommensteuer andererseits) und deshalb das Finanzamt insoweit Anlass zur Prüfung und mit § 42 AO (Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten) auch das rechtliche Instrument dafür hat, beim Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Einkünfte zutreffend einzuordnen. Außerdem dürfte das Finanzamt regelmäßig mehr Informationen zu den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen und der Gesellschaft haben als die Versorgungsbehörde.

22bb) Anlass und eine Pflicht zu einer (näheren) Prüfung hat die Versorgungsbehörde nur dann, wenn sie meint, entgegen der Bewertung durch die Steuerbehörden hinreichende objektive Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass vom Finanzamt als Kapitaleinkünfte eingeordnete Einkünfte als Einkünfte aus Arbeit anzusehen sind, und sie deshalb einen Ruhenstatbestand nach § 53 Abs. 1 BeamtVG annimmt. Hierfür bedarf es einer wertenden Zuordnung der aus der Gesellschaft zufließenden Einkünfte im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Art, Umfang und Bedeutung des Arbeitseinsatzes des Gesellschafters und einer entsprechenden Sachaufklärung. Die Versorgungsbehörde wird hierbei insbesondere in den Blick zu nehmen haben die Art des Anstellungsverhältnisses (vom sog. "Mini-Jobber"<geringfügig Beschäftigter i.S.v. § 8 SGB IV> bis zum <Allein->Geschäftsführer), den Umfang des Arbeitseinsatzes (von geringfügiger Beschäftigung bis Vollzeitbeschäftigung), die Qualität des Arbeitseinsatzes (von un- oder angelernter Tätigkeit bis zu akademischer Tätigkeit), die Angemessenheit des Arbeitsentgelts im Hinblick auf die Arbeitsleistung (von unverhältnismäßig gering bis angemessen) und das Verhältnis der als Arbeitseinkünfte zufließenden Beträge zu den als Kapitaleinkünfte zufließenden Beträgen.

23Nur durch die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann sowohl dem Alimentationsprinzip als hergebrachtem Grundsatz des Berufsbeamtentums als auch dem Grundsatz des Vorteilsausgleichs als Strukturprinzip des Versorgungsrechts Rechnung getragen werden. Um Extrembeispiele zu nennen: Wenn der Versorgungsempfänger nur eine geringfügige Kapitalbeteiligung hält und zugleich in Vollzeit als Akademiker und Alleingeschäftsführer die Gesellschaft führt, liegt es nahe, alle ihm als Gesellschafter zufließenden Zuwendungen als Ertrag seiner Arbeitsleistung zu qualifizieren. Umgekehrt ist es, wenn ein Mehrheits- oder Alleingesellschafter stundenweise in einer großen Gesellschaft als ungelernte Kraft in einem Mini-Job mitarbeitet; dann liegt es nahe, den aus der Kapitalbeteiligung zufließenden Ertrag auch als Kapitalertrag anzusehen.

24cc) Auf jeden Fall ist die Ruhensregelung bei einem Missbrauch der Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts anzuwenden (§ 42 AO) als gleichsam "äußerste Grenze" der Prüfung und der Sache nach schwerwiegendster Vorwurf gegenüber dem Versorgungsempfänger. Wenn wie etwa im Fall unangemessen niedriger, eher symbolischer Gehaltszahlungen einerseits und hoher Kapitalleistungen andererseits eine verdeckte Gehaltszahlung vorliegt, sind dem Kapitaleigner zufließende Zuwendungen als Arbeitseinkünfte anzusehen, die im Versorgungsrecht das teilweise Ruhen von Versorgungsbezügen bewirken. Es handelt sich dann regelmäßig um den Versuch, versorgungsrechtliche Nachteile durch gesellschafts- und arbeitsrechtliche Gestaltungen zu vermeiden. Ohne eine Einbeziehung in die Ruhensregelung nach § 53 BeamtVG würde der mit dieser Bestimmung verfolgte Zweck des Vorteilsausgleichs nicht erreicht und geradezu ein Anreiz zur Gesetzesumgehung gesetzt. Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG spricht für dieses Ergebnis, denn für eine unterschiedliche Behandlung der Fälle nicht verdeckter Gehaltszahlungen einerseits und verdeckter Gehaltszahlungen andererseits gäbe es keinen rechtfertigenden Grund (vgl. 2 C 18.10 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 1 Rn. 23 ff.).

253. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen im Beschluss des Berufungsgerichts nicht. Der Beschluss geht zwar zutreffend von den steuerrechtlichen Einordnungen aus (s.o. Rn. 21) und verneint auch zutreffend einen missbräuchlichen Fall einer verdeckten Gehaltszahlung (s.o. Rn. 24). Allerdings verkennt der Beschluss die Befugnis der Versorgungsbehörde, auf der Grundlage entsprechender tatsächlicher Erkenntnisse in einer wertenden Gesamtbetrachtung an Hand der genannten Kriterien andere als die steuerrechtlich getroffenen Einordnungen vorzunehmen (s.o. Rn. 22). Zwar hat im vorliegenden Fall auch die Versorgungsbehörde keine solche Betrachtung angestellt. Das Berufungsgericht war aber im Rahmen seiner Verpflichtung zur Spruchreifmachung (§ 86 Abs. 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 VwGO) gehalten, selbst eine entsprechende Sachaufklärung zu betreiben und auf dieser Grundlage eine wertende Zuordnung der von der Gesellschaft an die Klägerin geleisteten Zahlungen vorzunehmen. Hieran fehlt es vollständig. Das bloße Abstellen auf die Regelung im Gesellschaftsvertrag zur Gewinnausschüttung genügt ersichtlich nicht; vielmehr ist diese gesellschaftsrechtliche Regelung für die anzustellende Gesamtbetrachtung ohne Bedeutung.

26Der Verwaltungsgerichtshof wird deshalb die erforderliche Sachaufklärung nachholen und die Gesamtbetrachtung an Hand der vorgenannten Kriterien vornehmen müssen. Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung für den Streitgegenstand Ruhen der Versorgungsbezüge bedarf es dann ggf. noch weiterer Ausführungen zu den Streitgegenständen Rückforderung und Aufrechnung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:230221U2C22.19.0

Fundstelle(n):
HFR 2021 S. 1124 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 12/2022 S. 820
SAAAH-78798