Online-Nachricht - Dienstag, 11.05.2021

Einkommensteuer | Rückwirkende Verteilung von im Voraus gezahlten Erbbauzinsen zum Teil verfassungswidrig (BVerfG)

Die Beschränkung der Absetzbarkeit von Vorauszahlungen auf Erbbauzinsen durch die gleichmäßige Verteilung der Ausgaben auf den Zeitraum, für den sie geleistet worden sind, durch § 11 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 30 EStG in der Fassung des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes war mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil dem Grundsatz des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen ().

Hintergrund: Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind als Werbungskosten zu qualifizierende Ausgaben grundsätzlich in voller Höhe für das Kalenderjahr von der Einkommensteuer abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind (Abflussprinzip). Mit Urteil v. -IX R 65/02, BStBl 2005 II S. 159 entschied der BFH erstmals ausdrücklich, dass dies auch für Erbbauzinsen galt, die Werbungskosten für Vermietungseinkünfte sind und in einem Einmalbetrag vorausgezahlt werden. Da nach der Einschätzung der damaligen Regierungsfraktionen die uneingeschränkte Anwendung dieses Urteils zu erheblichen Haushaltsmindereinnahmen geführt hätte, initiierten sie im Rahmen eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens die hier verfahrensgegenständliche Veränderung des Abflussprinzips.

Die Gesetzesänderung wurde am durch eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses in den Bundestag eingebracht, am vom Bundestag beschlossen und am im BGBl. verkündet.

Aufgrund der am Folgetag in Kraft getretenen Neuregelung sind Vorauszahlungen für eine Nutzungsüberlassung von mehr als fünf Jahren auf den Vorauszahlungszeitraum zu verteilen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 EStG i. d. F. des EURLUmsG). Bei Erbbauzinsen und anderen Entgelten für die Nutzung eines Grundstücks sollte dies bereits für alle Vorauszahlungen gelten, die nach dem geleistet worden waren (§ 52 Abs. 30 EStG i .d. F. des EURLUmsG).

Sachverhalt und Verfahrensgang: Der Kläger des Ausgangsverfahrens erwarb im August 2004 im Zusammenhang mit einer von ihm vermieteten Wohnung einen Miterbbaurechtsanteil an einem auf 99 Jahre bestellten Erbbaurecht. Er zahlte zur Abgeltung der gesamten Erbbauzinsansprüche für die Laufzeit des Erbbaurechts im September 2004 insgesamt 36.350 Euro. Diesen Betrag machte er vollständig bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 2004 als Werbungskosten geltend. Demgegenüber berücksichtigten das Finanzamt und das Finanzgericht nur den auf das Streitjahr entfallenden Teil der Erbbauzinsen (also 1/99 der Vorauszahlung ≈ 368 Euro). Der BFH hat das sich anschließende Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die verfahrensgegenständlichen Vorschriften gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 19.1.2011).

Hierzu führen die Richter des BVerG u.a. weiter aus:

  • § 52 Abs. 30 EStG i. d. F. des EURLUmsG ordnet eine unechte Rückwirkung an. Hiernach wirkt zwar § 11 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 EStG i. d. F. des EURLUmsG formal in die Zukunft, weil er erst die künftige, frühestens am Ende des Jahres 2004 entstehende Einkommensteuerschuld für Jahre ab 2004 betrifft. Allerdings werden die Rechtsfolgen tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst, soweit die Vorauszahlungen auf Erbbauzinsen schon vor der Gesetzesverkündung () geleistet oder jedenfalls verbindlich vereinbart worden sind (tatbestandliche Rückanknüpfung). Dies hat aufgrund der Versagung des zuvor möglichen Sofortabzugs auch belastende Wirkungen, jedenfalls durch Liquiditäts- und Zinsnachteile.

  • Eine solche unechte Rückwirkung ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig. Der Gesetzgeber muss aber dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz hinreichend Rechnung tragen und verhältnismäßig handeln. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

  • Uneingeschränkt schutzwürdig sind Dispositionen eines Steuerpflichtigen, soweit von der Neuregelung betroffene Vorauszahlungsvereinbarungen im Jahr 2004, spätestens am , geschlossen und vereinbarungsgemäß noch im Jahr 2004 erfüllt worden sind. In diesen Fällen ist die unechte Rückwirkung auch unter Berücksichtigung des Gesetzesanliegens verfassungsrechtlich unzulässig.

  • Weniger schutzwürdig sind Dispositionen des Steuerpflichtigen, soweit Vorauszahlungen erst nach dem (Tag der Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag durch die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses) verbindlich vereinbart worden sind, da sich die Vertragspartner dann auf eine mögliche Änderung der Rechtslage für die Zukunft einstellen konnten.

  • Weniger schutzwürdig sind ferner bis zum geschlossene Vorauszahlungsvereinbarungen, bei denen der Leistungszeitpunkt vertraglich über das Jahr des Vertragsschlusses hinaus festgelegt wurde, weil es hier ferner liegt, auf den jahresübergreifenden Fortbestand des aktuell geltenden Steuerrechts zu vertrauen, und näher, mit vertraglichen Klauseln auch die Verteilung des Risikos künftiger Steuerverschärfungen zu regeln.

  • Soweit die Neuregelung auf Fälle anwendbar ist, in denen die Vorauszahlung im Jahr 2004 vereinbart, aber gemäß dieser Vereinbarung oder aufgrund einer vertragswidrigen Verzögerung durch den Erbbauberechtigten erst ab dem Jahr 2005 geleistet worden ist, musste der Steuerpflichtige von sich aus das Risiko künftiger Rechtsänderungen berücksichtigen und konnte sich außerdem durch vertragliche Anpassungsklauseln darauf einstellen. Deshalb reichen in diesen Fällen die legitimen Änderungsinteressen des Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Enttäuschung des im Zeitpunkt der Vereinbarung bestehenden Vertrauens in den Fortbestand des geltenden Rechts aus.

  • Nur soweit die Vorauszahlung bereits vor 2004 vereinbart, die Zahlung aber vereinbarungsgemäß erst in der Zeit zwischen dem und dem (Tag der Verkündung der Neuregelung) also noch unter Geltung des alten Rechts geleistet worden ist, genügt das Änderungsinteresse des Gesetzgebers nicht, um dem Steuerpflichtigen nachträglich die mit der Vorauszahlung verbundenen Vorteile einer vollständigen Abzugsfähigkeit als Werbungskosten im Jahr der Zahlung wieder zu entziehen. Auch in diesem Fall war zwar die Schutzwürdigkeit des mit dem Abschluss der Vereinbarung betätigten Vertrauens wegen der das Kalenderjahr überschreitenden Vertragsgestaltung zunächst gemindert. Der steuerrechtlich relevante Sachverhalt hat jedoch durch die vereinbarungsgemäße Leistung der geschuldeten Erbbauzinsen noch unter der Geltung des alten Rechts einen gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit erreicht. Dann bedarf es besonderer Gründe zur Veränderung des zuvor geltenden Sofortabzugs. Das generelle Interesse des Gesetzgebers, Steuermindereinnahmen zu vermeiden, reicht insoweit nicht aus. Nennenswerte "Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte" sind bei einer bereits vor dem Jahr 2004 geschlossenen Vereinbarung nicht ersichtlich.

Hinweis:

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht. Dort finden Sie auch die komplette Pressemitteilung zu dem Beschluss.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
HAAAH-78407