BSG Beschluss v. - B 4 AS 38/20 B

(Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - grundsätzliche Bedeutung - fehlende Klärungsbedürftigkeit - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Übergang von Ansprüchen auf den Grundsicherungsträger - Anwendbarkeit von §§ 45 und 50 SGB 10)

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 33 Abs 1 SGB 2, § 45 Abs 1 SGB 10, § 50 Abs 1 S 1 SGB 10

Instanzenzug: SG Hildesheim Az: S 26 AS 447/13vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 9 AS 551/15 Urteil

Gründe

1I. Die Kläger wenden sich gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II aufgrund des Zuflusses einer Steuererstattung, soweit das LSG die Klage(n) teilweise abgewiesen hat.

2Mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden machen die Kläger geltend, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Sie sind sinngemäß der Auffassung, dass der Leistungsträger rechtswidrig erbrachte Leistungen nicht vom Leistungsempfänger zurückverlangen kann, sondern ausschließlich oder jedenfalls vorrangig Ansprüche gegen den Unterhaltsschuldner nach § 33 SGB II geltend machen darf bzw muss. Sie behaupten, dass zu ihren Gunsten bestehende zivilrechtliche Unterhaltsansprüche auf den Beklagten übergegangen seien, der auf deren Durchsetzung aber verzichtet habe.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerden sind jedenfalls unbegründet, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht vorliegt.

41. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

5Die Kläger formulieren zunächst die Frage, ob "die Verpflichtung eines Trägers von Leistungen nach den Regelungen des SGB II [besteht], bei rechtswidriger Bescheiderteilung aufgrund des abschließenden Charakters der §§ 45, 50 SGB X vor Inanspruchnahme Dritter, gegen welche aufgrund eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 33 SGB II ein Anspruch auf Erstattung in Höhe der erbrachten Leistungen besteht, die Leistungen vom Hilfeempfänger zurückzufordern, oder kann der Leistungsträger sich für den Fall rechtswidriger Leistungsgewährung auch weiterhin an den ursprünglich Leistungsverpflichteten (zum Beispiel Unterhaltsschuldner) wenden". Die Kläger formulieren weiter die Frage, ob "bei Verzicht des Leistungsträgers gegenüber dem Unterhaltsschuldner, gegen welchen die Ansprüche nach § 33 SGB II auf den Leistungsträger übergegangen sind, auch bei rechtswidriger Leistungsgewährung an die ursprünglichen Leistungsempfänger und Unterhaltsberechtigten das Recht des Leistungsempfängers [gemeint wohl: des Leistungsträgers] [besteht], Leistungen nach Maßgabe der Regelungen der §§ 44 ff. SGB X von den Leistungsempfängern zurückzufordern". Schließlich formulieren die Kläger die Frage, inwieweit "bei einen Verzicht des Leistungsträgers gegenüber dem Unterhaltsschuldner, gegen welchen die Ansprüche nach § 33 SGB II auf den Leistungsträger übergegangen sind, auch bei rechtswidriger Leistungsgewährung an die ursprünglichen Leistungsempfänger die Grundsätze von Treu und Glauben, Regelungen über den Vertrauensschutz - etwa nach § 45 II SGB X - sowie des widersprüchlichen Verhaltens bei der Beurteilung, ob eine Rückforderung den Leistungsempfängern gegenüber, nach Maßgabe der Regelungen der §§ 44 ff. SGB X zulässig ist, zu beachten" sind.

62. Die damit unter verschiedenen Facetten aufgeworfene Frage, ob § 33 SGB II Vorrang gegenüber §§ 45, 50 SGB X hat, ist nicht klärungsbedürftig.

7a) Eine Rechtsfrage ist unter anderem dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie zwar höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, die Antwort auf die Frage aber praktisch von vornherein außer Zweifel steht ( - BSGE 40, 158, 159 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 15 f; - SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8; - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 17; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 100). So kann es etwa dann liegen, wenn die vom Beteiligten aufgeworfene Frage bislang weder in Rechtsprechung noch Literatur kontrovers diskutiert worden ist. Umgekehrt kann die Klärungsbedürftigkeit allerdings noch nicht zwingend daraus abgeleitet werden, dass einzelne Stimmen in der Literatur eine abweichende Auffassung vertreten (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 94). Anders verhält es sich, soweit ein einzelner, aber sehr gewichtiger Widerspruch im Schrifttum vorliegt oder eine gewichtige Argumentation in der Nichtzulassungsbeschwerde selbst erfolgt (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 94).

8b) Gemessen hieran sind die aufgeworfenen Fragen nicht klärungsbedürftig, weil die Antworten auf die von den Klägern aufgeworfenen Fragen praktisch außer Zweifel stehen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Regelungen über den Anspruchsübergang nach § 33 SGB II die Regelungen über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (§ 45 SGB X) und über die Erstattung von bereits erbrachten Leistungen nach Aufhebung eines Verwaltungsakts (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) verdrängen. Bereits der Wortlaut der Normen bietet keinen Anhalt dafür, dass zwischen ihnen ein Verhältnis verdrängender Spezialität bestünde, was auch die Kläger einräumen. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien gibt es für die Rechtsauffassung der Kläger keinen Anknüpfungspunkt. Der Zweck des § 33 SGB II, den Nachranggrundsatz (§ 5 SGB II) durchzusetzen ( - SozR 4-4200 § 60 Nr 4 RdNr 27 mwN; zu § 90 BSHG bereits - Buchholz 436.0 § 90 BSHG Nr 19, juris RdNr 18) und dem Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einen (im Fall der rechtswidrigen Leistungsgewährung weiteren) Schuldner zu verschaffen, steht der von den Klägern vertretenen Rechtsauffassung ebenfalls entgegen. Infolge eines gesetzlichen Anspruchsübergangs soll ein Leistungsberechtigter nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden als ohne einen solchen Übergang (vgl - SozR 4-4200 § 33 Nr 2 RdNr 21).

9Die von den Klägern aufgeworfenen Fragen werden auch in Rechtsprechung und Literatur nicht kontrovers diskutiert. Die Kläger betonen gerade, dass die von ihnen gesehenen Rechtsfragen in Rechtsprechung und Literatur kaum behandelt werden. Soweit die Literatur das Verhältnis von § 33 SGB II zu §§ 45, 50 SGB X behandelt, wird die These der Kläger, dass der Rückgriff gegen den Drittschuldner nach § 33 SGB II Vorrang vor der Rückforderung vom Leistungsempfänger habe, nicht vertreten. Auch das BVerwG hat zu § 90 BSHG, der Vorläufernorm des § 33 SGB II, entschieden, dass hierdurch die Inanspruchnahme Dritter ermöglicht werden soll, ohne den abschließenden Charakter der §§ 45, 50 SGB X hinsichtlich der Rückabwicklung erbrachter rechtswidriger Leistungen zu durchbrechen ( - Buchholz 436.0 § 90 BSHG Nr 19, juris RdNr 16).

10Dass sich das LSG mit dieser Frage befasst hat, beruht schließlich allein auf dem entsprechenden Vorbringen der Kläger im Klage- und Berufungsverfahren, verleiht der Frage aber ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung.

11Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:190320BB4AS3820B0

Fundstelle(n):
AAAAH-78295